Ausschliesslich nicht-militärische Mittel zur Konfliktlösung oder im Fall eines drohenden Genozides doch der Einsatz einer UNO Truppe? Braucht man bewaffnete Einheiten zum Schutz von Zivilbevölkerung oder birgt jede Bewaffnung bereits Unrecht und Grenzüberschreitung? Diese Meinungsbreite wird hier in Arendsee bei der Jahrestagung des Versöhnungsbundes angeregt diskutiert.

Die Diskussionskultur wird groß geschrieben beim Versöhnungsbund. „Das geht aber nicht“, protestiert die Zuhörerschaft, als nach einem Vortrag gesagt wird, es sei keine Zeit mehr für Fragen. Und prompt wird irgendwie noch eine viertel Stunde hergezaubert. In einer sehr offenen, beinahe familiären Atmosphäre erhebt fast jeder einmal das Wort. Pazifist ist nicht gleich Pazifist. Was alle trotzdessen vereinigt, ist das Streben nach einer Kultur des Friedens. Sei es nun auf einem ökologischen Bauernhof, auf dem auch die Kühe gewaltfrei behandelt werden, indem man Flüchtlinge unterstützt oder vor Büchel demonstriert.

Bemerkenswert ist auch die Altersspanne. Von sechs Monaten bis 98 Jahren sind alle Altersklassen vertreten. Während die Kinder im Gelände herumturnen, sitzen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der Wiese im Jugendforum zusammen. Sie erzählen sich von Aktionen, Begegnungen und inspirieren sich gegenseitig. Viele von ihnen sind sozusagen hineingeboren in den Versöhnungsbund. Clara Tempel zum Beispiel, die als Referentin eingeladen war, erzählt, wie sie schon mit ihren Eltern gemeinsam Atommülltransporte blockiert hat. Jetzt organisiert sie bundesweit Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Braunkohle, Atomkraft und Militarismus im Jugendnetzwerk für politische Aktion.

Pazifismus bedeutet nicht Wehrlosigkeit

In den Vorträgen geht es um die Herausforderungen, die der Pazifismus heutzutage hat. Obwohl alle Kriege nach 9/11 restlos gescheitert seien, so Andreas Zumach, UNO Korrespondent in Genf und Publizist, gebe es keinerlei Diskussion und die Einsätze werden weiter befürwortet. Behauptete Menschenrechtsverletzungen führten zum Einsatz, während in anderen Fällen, in denen gravierende Verletzungen nachweislich begangen werden, wie in Ruanda, die Weltgemeinschaft nicht reagiert hätte. Aber seine Forderung einer echten UNO Truppe (echt bedeutet in diesem Fall: nicht aus Kontingenten der Nationalstaaten bestehend, sondern wirkliche UNO-verpflichtete Soldaten), die im Fall eines drohenden Genozides eingreifen kann, stösst bei Ulrike Laubenthal von der gewaltfreien Aktion Freie Heide, auf Ablehnung: „Diejenigen, die militärische Mittel besitzen, sind nicht die Verfechter der Menschenrechte.“ Sie ist schockiert, dass so wenige PazifistInnen übrig geblieben seien und dass Krieg für Deutschland wieder zu einem legitimen Mittel der Konfliktlösung geworden sei. Auch Ullrich Hahn, Präsident des Versöhnungsbundes, lebt einen radikalen Pazifismus. Es gebe eine Eigendynamik bewaffneter Einheiten, die immer zu Grenzüberschreitungen und Rechtsübertretungen führe. Und: „Wenn eine bewaffnete Einheit vorhanden ist, dann ist Gewalt nie das letzte Mittel.“

Pazifismus bedeute nicht Wehrlosigkeit, aber das sei noch immer, was die Menschen damit verbinden, erklärt Susanne Luithlen, Leiterin der Akademie für Konfliktforschung, in ihrem Vortrag. „Wir müssen die Friedenslogik in der Politik etablieren“, fordert sie. „Und zwar auf offensive Weise.“ Lust am Kämpfen sei zwar nicht gerade eine typische Eigenschaft von PazifistInnen, sei aber dringend nötig, um „das Produkt, das gut sei“ zur Geltung zu bringen und den allgemeinen Diskurs zu verändern.

Optimismus verbreitet Egon Spiegel, Theologe und Publizist, der eine Tabuisierung des Krieges bis 2075 prognostiziert. Genau so, wie die Sklaverei in den USA tabuisiert wurde oder die physische Gewalt in der Kindererziehung, werde Krieg etwas nicht-tolerierbares werden. Die Empfindsamkeit nehme zu. Tierschutz, Veganismus: „Die jungen Leute können kein Huhn mehr schlachten. Was wird passieren, wenn ihnen im Kampfgetümmel das erste Mal ein abgetrennter Arm um den Kopf fliegt?“

Kriege sind nicht mehr gewinnbar und nicht-militärische Konfliktlösung daher notwendig

In vielen Workshops werden diese und weitere Themen vertieft. Es geht um offene Grenzen oder gewaltfreie Alternativen für Syrien. Zwei Syrer erzählen über ihre Kriegsdienstverweigerung und Flucht. Man kann in verschiedenen Kursen gewaltfreie Konfliktlösung, zivilen Ungehorsam oder wie man mit Rechtspopulismus umgeht, erlernen.  Die Inderin Tina Shubhamoorty vom Gandhi Center Samuday in Indien erzählt von der Arbeit, die sie mit der armen Landbevölkerung, vor allem mit Kindern und Frauen machen.

Otmar Steinbicker ist jahrzehntelanger Publizist in Sachen Frieden. In seiner Diskussionsrunde fordert er die Pazifisten dazu auf, den sicherheitspolitischen Konsens, der den Diskurs beherrsche, aufzubrechen. Dieser beruhe immernoch auf der Annahme, dass Kriege zu gewinnen seien. Steinbickers Überzeugung, die sich unter anderem auf Aussagen vieler hochrangiger Militärs gründet: „Ein weiträumiger Krieg ist nicht mehr zu gewinnen. Wenn die Bundeswehr in so einen einsteigen sollte, bedeutet das die Vernichtung.“ Daraus folge, dass ein Umdenken stattfinden müsse und nicht-militärische Mittel zur Konfliktlösung entwickelt und angewendet werden müssten. Der Politik scheine allerdings die notwendige Kompetenz zu fehlen, um die Lage einzuschätzen und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Hier könne die Expertise der Friedensforscher und –aktivistInnen ansetzen.

„No justice, no peace“

Der Internationale Versöhnungsbund ist 1914 als Reaktion auf den Kriegsausbruch von ökumenisch gesinnten Christen verschiedener Länder, die sich von den Kriegstreibern nicht auseinander dividieren lassen wollten, gegründet worden.  1916 bereits bildete sich der deutsche Zweig. In Arendsee war als Repräsentant des Internationalen Versöhnungsbundes Lucas Johnson anwesend. Der Versöhnungsbund trete für einen revolutionären Pazifismus ein. „No justice, no peace“ bedeute, es könne keinen Frieden ohne eine gerechte Gesellschaft geben. Die Verknüpfung zwischen Gerechtigkeit für alle und Frieden machte auch Martin Luther King, der Mitglied des Versöhnungsbundes wurde, nachdem er sah, dass sich Versöhnungsbündler in Memphis dem Kampf um die Bürgerrechte anschlossen. Im Hinblick auf den Vietnamkrieg sagte er später: „Ich könnte nie wieder meine Stimme erheben gegen die Gewalt der Unterdrückten in den Ghettos, wenn ich nicht zuerst deutlich zu dem größten Gewalttäter der heutigen Welt gesprochen hätte: meiner eigenen Regierung.“

Film von Ezequiel Monteros:

Bilder von César Aranguren:

Jugendforum
Mosaikgruppen
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Besuch vom Gandhi Center in Bihar, Indien
Workshop
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Berthold Keunecke
Ulrike Laubenthal
Andreas Zumach
Pressenza Medienteam
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