Über 120 Journalistinnen und Journalisten sind seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei verhaftet worden. In keinem anderen Land der Welt sitzen so viele Medienschaffende hinter Gittern, nur weil sie ihre Arbeit gemacht haben. In einer grossen Kampagne von Amnesty International setzen sich 250’000 Menschen für ihre Freilassung ein – darunter bekannte JournalistInnen, KarikaturistInnen und Künstlerinnen und Künstler.
Zum heutigen internationalen Tag der Pressefreiheit finden in zahlreichen Städten der Welt Demonstrationen statt. So organisiert Amnesty International zusammen mit Reporter ohne Grenzen eine Kundgebung vor der türkischen Botschaft in Berlin. Im Anschluss gibt es ein Konzert vor dem Brandenburger Tor. Zugleich publiziert Amnesty International den neuen Bericht «Journalism is not a crime. Crackdown on media freedom in Turkey» («Journalismus ist kein Verbrechen. Die Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei»).
Kritische Stimmen mundtot gemacht
«Zahlreiche unabhängige Journalistinnen und Journalisten sitzt hinter Gittern. Sie werden über Monate ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten oder es wird ihnen auf Grundlage vager Anti-Terrorismus-Gesetze der Prozess gemacht», sagt Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty.
«Heute sind unsere Gedanken mit allen Journalistinnen und Journalisten weltweit, die im Gefängnis sitzen und Drohungen oder Repressalien ausgesetzt sind. Einen besonderen Fokus aber richten wir auf die Türkei, wo die freie Meinungsäusserung immer stärker unterdrückt wird. Wir fordern die türkischen Behörden auf, sofort und bedingungslos alle Journalistinnen und Journalisten freizulassen, die nur in Haft sind, weil sie ihre Arbeit gemacht haben», forderte Salil Shetty.
Seit dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 wurden mindestens 156 Medienhäuser und -publikationen geschlossen. Rund 2’500 Journalisten, Fotografinnen und weitere Medienschaffende haben ihre Stelle verloren. Journalistinnen und Journalisten wurden verhaftet und terroristischer Verbrechen beschuldigt – wegen der Verbreitung von Nachrichten auf Twitter, der Zeichnung von Cartoons oder dem Verfassen kritischer Kommentare. Die Unterdrückung der Medienfreiheit geht einher mit einer breiten Repression gegen mutmassliche Regierungsgegner, die zur Verhaftung von 47’000 Menschen und zur Entlassung von 100’000 Beamtinnen und Beamten geführt hat.
«Wagt bloss nicht, Eure Meinung zu sagen!»
Eines der vielen Schicksale ist dasjenige des Journalisten Mahir Kanaat, der zusammen mit sechs Berufskollegen am Weihnachtstag verhaftet wurde: «Meine Hände waren hinter meinem Rücken verbunden und eine Spezialeinheit (Polizeikräfte) drückte mich zu Boden. Ich schrie: ‚Meine Frau ist im neunten Monat schwanger, warum zwingt ihr auch sie auf den Boden‘. Ich versuchte aufzustehen. Es kam zu einer Rauferei. Man trat mir ins Gesicht». Mahir Kanaat kam ins Gefängnis und konnte die Geburt seines Sohnes nicht miterleben. Noch heute wartet er hinter Gittern auf seinen Prozess.
Die Notstandgesetze ermöglichen langandauernde Untersuchungshaft; und diese wird von den Behörden routinemässig verhängt. Die Anklagepunkte sind oft frei erfunden, manchmal offensichtlich absurd. Meist fehlen jegliche Beweise für die angebliche Straftat.
Der frühere Zeitungsredaktor Ahmet Altan wurde im September 2016 zusammen mit seinem Bruder, dem Wissenschaftler Mehmet Altan, verhaftet. Beide wurden angeklagt, am Vortag des Umsturzversuches während einer Fernseh-Diskussion ‚unterschwellige Botschaften‘ an die Putschisten verbreitet zu haben. Auch der Moderator des Programms, Nazlı Ilıcak, wurde festgenommen und sitzt bis jetzt in Untersuchungshaft.
Der Investigativ-Journalist Ahmet Şik ist seit Dezember hinter Gittern. In der Anklageschrift werden ihm acht Tweets, zwei Interviews und ein Artikel zur Last gelegt, mit denen er drei verbotenen Gruppierungen geholfen haben soll; dies obwohl die drei gegensätzliche Positionen und Ziele haben. Seine Frau sagte zu Amnesty International: «Ahmeds Verhaftung ist eine Botschaft an alle anderen: Wagt bloss nicht, Eure Meinung zu sagen!»
250’000 Menschen fordern: #FreeTurkeyMedia
Über eine Viertelmillion Menschen haben die Online-Petition zur Freilassung der türkischen Journalistinnen und Journalisten bereits unterschrieben. Tausende haben sich auf Twitter der Aktion #FreeTurkeyMedia angeschlossen. Die Kampagne von Amnesty International wird von zahlreichen weiteren Organisationen unterstützt. Sie ruft Journalistinnen und Journalisten und alle engagierten Menschen dazu auf, ihre Solidarität mit den Verhafteten auszudrücken.
Unter den Tausenden von Menschen, die die Aktion unterstützt haben, sind der Künstler Ai Weiwei, Dutzende Cartoonisten sowie zahlreiche bekannte Journalistinnen und Journalisten. Dazu gehören Peter Greste, Mohamed Fahmy und Baher Mohamed, drei Al Jazeera-Journalisten, die 2013 in Ägypten verhaftet worden waren und nach über 400 dank einer internationalen Solidaritätskampagne Tagen frei kamen.
«Zu wissen, dass sich Menschen rund um die Welt für unsere Freilassung einsetzen, hielt uns in diesen mehr als 400 Tagen in Ägypten stark», schreiben Peter Greste und Mohamed Fahmy in einem Artikel, der heute in mehreren Zeitungen weltweit erscheint. «Es war das Richtige, sich für uns einzusetzen (…) Es ist das Richtige, sich für alle Journalisten einzusetzen, die nur ihre Arbeit machen. Deshalb machen wir bei der Aktion #FreeTurkeyMedia mit.»