Jedes Jahr verlassen in Deutschland fast 50.000 junge Menschen die Schule ohne einen Abschluss. Einige führt ihr Weg nach Berlin an die Schule für Erwachsenenbildung (SFE). Dort gibt es keine Noten, keinen Wettbewerb und keinen Leistungsdruck. Alexander Kleider zeigt in seiner Dokumentation „Berlin Rebel High School“ diese ganz andere Art von Schule. Sein Film kommt jetzt in die Kinos.

Stress mit Lehrern oder Mitschülern, Mobbing, Langeweile, Faulheit, Probleme mit Hierarchien und Gehorsam, Frust oder massenweise Fehlstunden: Es gibt unzählige Gründe, warum junge Menschen von der Schule die Schnauze voll haben, hinschmeißen und sie ohne Abschluss verlassen.

In Deutschland sind es fast 50.000 Schulabbrecher pro Jahr. Das ist eine traurige Zahl, vor allem wenn man bedenkt, das Lernen eigentlich Spaß bringt und deshalb jeder mit Begeisterung zur Schule gehen sollte. Aber schon das harmlose Wörtchen „eigentlich“ deutet an, dass der Schulbesuch oft genug als Belastung empfunden wird.

Ich selbst fand die Schule überwiegend öde, den Umgang, zu dem ich meinen Teil beigetragen habe, schrecklich und habe viele schlechte Erinnerungen. Sie kreisen um das stupide Auswendiglernen uninteressanter Dinge, die ewige Nörgelei bei jedem Fehler, den leidenschaftslosen und blutleeren Sound der Lehrkörper und das wie eine Monstranz angereichte falsche „wir“, als würde ein Notenverteiler eine ehrliche Gemeinsamkeit mit dem Notenempfänger haben: Haben wir eine Fünf in Mathe? Ne, ich habe sie und du hast sie mir gegeben … Arschloch!

Dieser Gipfel der Falschheit regt mich heute noch auf, zieht er sich doch wie ein Lindwurm durch alle Bereiche der Lebenswelt, in denen vertikale Strukturen existieren und somit Macht auf Ohnmacht trifft.

Geht es auch ohne große Nerverei? Klar. Bildet Banden, bildet euch! Und schaut euch diesen Film an: Alexander Kleider stellt in seiner Dokumentation „Berlin Rebel High School“ (Kinostart: 11. Mai 2017) mit der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin-Kreuzberg eine völlig andere Art von Schule vor.

Simon, ein Mathelehrer, der gerne das alternative Schulkonzept vertritt. © Neue Visionen Filmverleih

Simon ist Mathelehrer an der SFE, die ein alternatives Schulkonzept verfolgt. (Foto: ©Neue Visionen Filmverleih)

An der SFE begegnen sich Schüler und Lehrer auf Augenhöhe. Es gibt keine Noten, keinen Direktor und keine Hierarchien. Die Lehrkräfte werden von den Schülern bezahlt. Theoretisch könnten sie ihre Lehrer sogar feuern! Denn die 1973 als basisdemokratisches Projekt gegründete SFE versteht sich als Kollektiv. Jeder hat eine Stimme und jeder bestimmt mit. Beraten wird regelmäßig in einer Vollversammlung.

Eine Kündigung dürfte jedoch Theorie bleiben, schließlich geht um viel mehr. Es geht um das Lernen ohne Wettbewerb und befreit vom externen Leistungsdruck. Der Schulabschluss ist das gemeinsame Ziel. Dabei wird selbst das Unmögliche möglich: Eine Schülerin bringt ihren Hund zum Unterricht mit.

Schulabbrecher, die im normalen Schulsystem als hoffnungslose Fälle deklariert werden, blühen an der SFE auf und streben in einer Atmosphäre aus Vertrauen, gegenseitigem Respekt und ohne Bevormundung durch Amtsautoritäten zum Abitur.

Alexander Kleider lässt nicht nur Lena (Schulabbruch in der 9. Klasse), Hanil (über 60 Fehlstunden und wegen Konsum von Marihuana von der Schule geflogen) und Alex (vier Schulabbrüche) von ihren vorherigen Karrieren an den staatlichen Lehreinrichtungen berichten: Über Mobbing unter Schülern, die Schwierigkeiten, sich an Regeln zu halten, Schulstunden als sinnfreie Pflichtveranstaltungen zu erleben und sich ständig unfrei zu fühlen.

Kleider schafft es, die feinen Schlüsselmomente menschlicher Begegnung mit der Kamera einzufangen: Die Augenblicke, in denen der frühere Frust der Schulversager und Außenseiter in Eigenmotivation und Begeisterung umschlägt und den Hunger nach Bildung freisetzt.

Die Freude, wenn etwas gelingt. Der Wille, das gemeinsame Ziel zu erreichen und die Erkenntnis, dass der Weg dorthin gesäumt ist von schwierigen Aufgaben, zu deren Bewältigung Eigendisziplin gehört, Fleiß und das eklige Büffeln von Faktenwissen, um sich nach drei Jahren endlich der Abiturprüfung zu stellen. Nur eben mit dem Unterschied, dass diese ganzen Erkenntnisse nicht von oben diktiert werden, sondern aus den jungen Menschen selbst entspringen.

Die Pauker haben daran ihren Anteil. „Du musst du selber sein“, sagt der Deutschlehrer Klaus Trappmann im Film, „und deine Begeisterung vorleben. Dann ziehen die Menschen mit und freuen sich …“.

Mehr als 10.000 Schulabbrecher haben an der SFE ihren Abschluss geschafft. Der Dokumentarfilmer Alexander Kleider war einer von ihnen. Jetzt bringt er seine ehemalige Schule, die einzige ihrer Art im deutschsprachigen Raum, in die Kinos.


Berlin Rebel High School

Dokumentarfilm, Deutschland 2017, 92 Minuten
Buch und Regie: Alexander Kleider
Darsteller: Klaus Trappmann, Alex Bäke, Lena Christof, Beate Ulreich, Marvin Metag, Hanil Altunergil, Florian Geissler
Kinostart: 11.05.2017

Der Originalartikel kann hier besucht werden