Pedro Sanchez hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er weiß, dass jede sozialdemokratische Partei dem Untergang geweiht ist, wenn sie weiterhin dem Weg der neoliberalen Strategie folgt, auf dem nur wirtschaftliche Interessen zählen.
Komplettiert sich auf der Iberischen Halbinsel der politische Linksruck? Nach Portugal besteht nun auch in Spanien die Möglichkeit, dass eine linke Koalition die konservative Regierung zeitnah ablöst.
Am Sonntag stand fest, dass der neue und alte Parteichef der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) Pedro Sanchez heißt. Er konnte sich bei der Wahl um den Posten des Generalsekretärs gegen Susana Díaz, der Ministerpräsidentin und Sozialistenführerin Andalusiens, und auch gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten des Baskenlandes, Paxti López klar durchsetzen.
Danach sah es bis kurz vor der Abstimmung nicht aus. Díaz, deren Kandidatur vom früheren Premier Felipe González Márquez unterstützt wurde, ging als Favoritin ins Rennen. Bei der Urabstimmung erhielt sie nur knapp 40 Prozent der abgegebenen Stimmen. Paxti López kam auf rund zehn Prozent.
Sánchez, der nach den letzten Parlamentswahlen einer Zusammenarbeit mit der antikapitalistischen Partei Podemos offen gegenüberstand und eine Minderheitsregierung der amtierenden Partido Popular (PP) nicht tolerieren wollte, handelte sich den Zorn der „Barone“ ein. Gemeint sind die ehemaligen Parteichefs und Ministerpräsidenten Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero sowie ihre engsten Vertrauten.
Der Rücktritt von Sánchez erfolgte vor knapp acht Monaten. Aber er kündigte frühzeitig eine erneute Kandidatur um den Parteivorsitz an: Eine Kampfansage an die Barone.
Bereits im Februar stellte Sánchez der Öffentlichkeit ein Papier mit dem Titel „Auf eine neue Sozialdemokratie“ vor – ein Konzept zur Erneuerung der PSOE. Sánchez versteht die Schrift aber nicht als ein in Stein gehauenes Programm, sondern als einen Entwurf, an dem alle Parteimitglieder und Sympathisanten der PSOE mitarbeiten können.
Das Sánchez-Papier dürften die Altvorderen der sozialistischen Arbeiterpartei und deren Anhänger als einen Affront empfunden haben. Sánchez will nicht nur völlig neue Wege gehen, sondern übt scharf Kritik an führenden Köpfen.
Sánchez hat die Entwicklung seiner Partei und ihre Stärken und Schwächen analysiert. Unter anderem legt Sánchez den Finger in die Wunde, indem er deutlich macht, dass gerade unter Felipe Gonzalez, der zwischen 1982 bis 1996 Ministerpräsident und von 1974 bis 1997 Generalsekretär der PSOE gewesen ist, die erste Welle der Privatisierung über Spanien hereinbrach – beeinflusst durch die damalige Politik von US-Präsident Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher.
Allerdings sollten Kritiker der Politik von Felipe Gonzalez nicht zu schnell urteilen, denn Spanien befand sich gerade in den 1980er Jahren in einer schwierigen Situation.
Die Demokratie war noch sehr jung und man wollte den Anschluss an Europa. Es muss erwähnt werden, dass der Beitritt Spaniens zur EU 1986 gerade einmal zehn Jahre nach Ende der Franco Diktatur erfolgte.
Aus der damaligen Position wurden alle sozialen und wirtschaftlichen Änderungen als fortschrittlich angesehen. Es gab allerdings auch kritische Stimmen, die aber nicht gehört wurden.
Julio Anguita, der frühere Chef der Kommunisten, warnte vor einem Cocktail aus neoliberaler Politik, Korruption, mangelnder Vergangenheitsbewältigung, sozialer Ungleichheit und ungelösten Problemen, die ein Vielvölkerstaat mit sich bringt. Und er warnte vor einer gemeinsamen Währung. Heute sieht sich Spanien mit dieser giftigen Mixtur konfrontiert.
Pedro Sánchez hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er weiß, dass jede sozialdemokratische Partei dem Untergang geweiht ist, wenn sie weiterhin dem Weg der neoliberalen Strategie folgt, auf dem nur wirtschaftliche Interessen zählen.
Die Belange der Bevölkerung wurden in Spanien dermaßen in den Hintergrund gedrängt, dass sich fast eine ganze Generation dazu gezwungen sah, ihr Glück im Ausland zu versuchen. Die Auswanderungswelle, eine unter dem Deckmantel der Freizügigkeit versteckte Wirtschaftsflucht, ist ungebrochen.
In dem Entwurf von Sánchez werden nahezu alle Herausforderungen aufgezählt, vor denen die Menschen in der aktuellen Situation stehen: Vom Klimawandel über die Überalterung der westlichen Gesellschaften bis zur zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und dem dschihadistischen Terror und den damit verbundenen Flüchtlingsströmen – es wird alles angesprochen.
Die Lösungsvorschläge die Sanchez anbietet sind natürlich auf Spanien abgestimmt, aber er verliert Europa nicht aus den Augen.
Eine seiner Botschaften ist wichtig für die Sozialdemokratie Europas und insbesondere für die in Deutschland: Sánchez will dem Neoliberalismus den Rücken kehren, denn er sieht darin eine Gefahr für die Demokratie.
Er wird es allerdings nicht so leicht innerhalb seiner Partei haben. Seine Gegner sind zwar geschwächt, sie könnten ihm dennoch das Leben schwer machen.
Ob Sánchez die enttäuschten PSOE-Wähler mobilisieren kann, die sich abgewendet haben, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit hatten sozialistische Regierungen viel soziales Porzellan zerschlagen und in der Opposition vieles von dem geduldet, was den Bürgern zum Nachteil gereicht ist: Rentenkürzungen, Abbau der Sozialsysteme, Privatisierungen, Niedriglohnpolitik und Spardiktat.
Fast unbeachtet und unkommentiert vom restlichen Europa, werden in Spanien seit 2015 die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Das sogenannte Knebelgesetz wurde mithilfe der Sozialisten durchgeboxt – eine schwere Bürde für Sánchez.
Jetzt steht er mit seiner PSOE vor einer substanziellen Entscheidung: Weiter wie bisher oder harter Kurswechsel.
In seinem Zukunftsentwurf hat Sánchez die regierende PP angeprangert und sich zur Zusammenarbeit mit fortschrittlichen linken politischen Kräften bereit erklärt. Damit ist Podemos gemeint.
Der erste konsequente Schritt wäre daher die Unterstützung des Misstrauensantrags von Unidos Podemos gegen die Minderheitsregierung um Ministerpräsident Mariano Rajoy, auch um der Korruptionsplage innerhalb der amtierenden Regierungspartei ein Ende zu setzen.
Alles andere wäre für die PSOE gleichbedeutend mit dem totalen Verlust der Glaubwürdigkeit und dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit.