Manfred Kannenberg vom Freiburger Institut für soziale Gegenwartsfragen im Gespräch mit Ulrike von Wiesenau von „Gemeingut in BürgerInnenhand“.

Manfred Kannenberg: Grundgesetzänderungen, Autobahn- und Schulprivatisierung – ein schwer durchschaubares Szenario steht da im politischen Raum. Können Sie die Zusammenhänge kurz erläutern?

Ulrike von Wiesenau: Vor der Bundestagswahl im September steht Deutschland eine massive Privatisierungsoffensive ins Haus. 13 Grundgesetzänderungen sollen in den nächsten Wochen im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden, um die rechtliche Grundlage für die Privatisierung der Autobahnen in Deutschland zu schaffen. Die Gesetzesänderungen schmälern das Eigentum und die Rechte der Länder und zentralisieren den Besitz an den Autobahnen in einer privatrechtlichen verfassten Infrastrukturgesellschaft unter Bundesregie, die künftig allein für Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen zuständig sein soll. An der Öffentlichkeit vorbei will die Große Koalition die Voraussetzungen schaffen, dass zukünftig Betriebs- und Nutzungsrechte der bundesdeutschen Autobahnen an private Finanzinvestoren übertragen werden können. Vagabundierendes Kapital findet so hochprofitable und sichere Anlagemöglichkeiten – und das nicht nur im Bereich der Autobahnen, denn die Grundgesetzänderungen schaffen die Voraussetzung für Privatisierungen in anderen Bereichen, z.B. auch im Schulbau. Mit anderen Worten: Das geplante Vorhaben stellt den bislang massivsten Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur dar, doch die Menschen im Land wissen praktisch nichts davon!

Bisher wurde das Änderungspaket in der Öffentlichkeit fast ausschließlich unter dem Aspekt der Autobahnprivatisierung diskutiert. Sie sind offenbar der Ansicht, dass es bei den umfangreichen Grundgesetzänderungen auch um Privatisierungen im Schulbereich geht. Können Sie das näher erläutern?

Auch Bau und Sanierung von Schulgebäuden mit privaten Investoren über Projekte der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP/PPP) sollen im Rahmen des geplanten Gesetzespakets rechtlich abgesichert werden. Bildungsfragen sind bislang in weiten Bereichen Ländersache. Dieser Grundsatz soll nun in Frage gestellt werden, indem das sogenannte Kooperationsverbot gelockert wird. Mit der Einfügung des Artikel 104c ins GG würde der Bund Gemeinden Finanzhilfen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur leisten dürfen. Es ist offensichtlich, dass die Bundesregierung hier versucht, die Misere im Bildungswesen zu nutzen, um privaten Investoren Zugang zu Fördergeldern des Bundes zu verschaffen. In den Gesetzentwürfen werden ÖPPs im Schulbau dann auch explizit als förderfähig aufgeführt. Bildungspolitiker, die feiern, dass bald 3,5 Milliarden Euro an finanzschwache Kommunen gehen, verschweigen, dass die Schulen damit Gefahr laufen, zum Anlageobjekt von Konzernen zu werden. Die personell ausgedünnten Bauämter in den Kommunen werden demnächst Gelder in Aussicht haben, die möglichst schnell abgerufen werden müssen. Da Kapazitäten in den kaputtgesparten Ämtern fehlen, ist das Einfallstor für die Privaten abzusehen:

Überall werden „Infrastrukturgesellschaften“ gegründet werden und eine Schule nach der anderen wird unter ÖPP-Regie fallen.

Öffentlich-private Partnerschaften, also eine Partnerschaft zwischen der öffentlichen und der privatwirtschaftlichen Seite, das hört sich erst einmal nicht so schlecht an.

„ÖPP“ lautet seit Jahren die Zauberformel in vielen Kommunen und beim Bund, obwohl sich das Geschäftsmodell längst diskreditiert hat. Der Kern von ÖPP sind privatrechtliche Geheimverträge, die von internationalen Kanzleien entworfen werden, und geheime Schiedsgerichte, die die parlamentarische Kontrolle durch ihre Paralleljustiz aushebeln. Denken wir an die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Rahmen von ÖPP: auch hier gab es Geheimverträge und private Schiedsgerichte. Was die Behauptung angeht, die Privaten seien effizienter, so haben die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder 18 ÖPP-Projekte untersucht. In 80 Prozent der Fälle fehlte der Nachweis des von privaten Beratern behaupteten Effizienzvorteils, die ÖPP- Projekte waren teurer als in öffentlicher Durchführung. ÖPP ist definitiv keine Partnerschaft auf Augenhöhe sondern eine institutionalisierte Form, Gewinne zu privatisieren und Verluste der Allgemeinheit aufzubürden.

Sehen Sie denn Öffentlich-Private-Partnerschaften im Bereich der Bildungsinfrastruktur durchweg kritisch?

Es wäre dringend an der Zeit, der Finanznot der Kommunen durch eine gerechtere Aufteilung von Geldern und Lasten zu begegnen. Die Ursache für den Sanierungsstau im Bereich der kommunalen Infrastruktur ist die Unterfinanzierung der Kommunen. Stattdessen stellt der Bund Kommunen Geld zur Sanierung von Schulen in Aussicht, mit der Empfehlung, auf ÖPP zurückzugreifen. Nun schließt das Begleitgesetz zwar nicht aus, Schulen mit einer rein staatlichen Finanzierung instandzusetzen, aber die Kommunen verstoßen damit häufig gegen die Vorgaben der Schuldenbremse, die für ÖPP-Projekte bezeichnenderweise keine Gültigkeit hat, obwohl diese den Staat am Ende viel teurer zu stehen kommen. Inzwischen gibt es genug Fälle, die den Irrweg der Privatisierungen im Schulbetrieb belegen. Im Landkreis Offenbach wurden 90 Schulen per ÖPP vergeben. Jetzt müssen die Kommunen Kredite aufnehmen, um die laufenden Kosten zu decken.

Was bedeutet ÖPP konkret für die betroffenen Schulen?

Über die privatrechtlichen ÖPP-Verträge bekommen die Investoren weitreichenden Einfluss auf den Schulbereich. Die Schule gehört zwar formell weiter dem Staat, aber das Hausrecht über die Schulräume läge künftig bei den Investoren, sie bestimmen dann auch darüber, wie die Schulen nach dem Unterricht, am Wochenende und in den Ferien genutzt werden. Selbst die Lehrer-Parkplätze könnten künftig bewirtschaftet werden. Die Schulausrüstung, die technische Ausstattung, das Schulessen, die Reinigung wird von ihnen festgelegt werden, die Instandhaltung und Reparatur liegt in ihren Händen. Sie können darüber hinaus alles verwerten, was sich zu Geld machen lässt. Nach 30 Jahren findet die Rückübergabe statt, es ist absehbar, in welchem Zustand die Gebäude sein werden, wenn das Gebot der Gewinnmaximierung den Betrieb dominiert. Zu den bildungspolitischen Auswirkungen zählt, dass der demokratische Einfluss auf die Gestaltung des Schulwesens reduziert wird, weil die privaten Betreiber über ihre Vertragsgestaltung keinen Einfluss zulassen. Die kommunalen Parlamente haben keinen Einblick in die Vertragsgestaltung und werden nur noch reduziert entscheidungsbefugt sein. Es liegt auf der Hand, dass auch die Qualität der Bildung auf Dauer von der Privatisierung betroffen sein wird.

Vertreter der Großen Koalition behaupten, dass niemand vorhätte, Autobahnen und Schulen zu privatisieren und der Bund Eigentümer bleibe…

Das ist eine massive Täuschung der Öffentlichkeit. Entscheidend ist: Sobald eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft gebildet wird, kann man Privatisierungen gar nicht ausschließen. Denn die Entscheidung wird dann nicht mehr im Bundestag, sondern im Vorstand der Gesellschaft gefällt. Auch der Bundesrechnungshof hat die Gesetzesänderungen als Privatisierung durch die Hintertür bezeichnet. Der Tatbestand, dass Schulen und Autobahnen im öffentlichen Eigentum bleiben, schließt aber die zahlreichen Privatisierungsmöglichkeiten nicht aus, weder Öffentlich-Private Partnerschaften noch stille Beteiligungen und andere eigenkapitalähnliche Anlageformen. Ganz wichtig ist jetzt: die Vertreter der Regierungsparteien müssen in dieser wichtigen Frage gezwungen werden, Farbe zu bekennen. Das Gesetzespaket muss aufgeschnürt werden, damit über die einzelnen Teile separat abgestimmt werden kann.  Bildung ist eines der höchsten Güter, eine fortschreitende Privatisierung im Bildungsbereich schädigt unsere Gesellschaft. Dass die Bundesregierung für eine solche Privatisierung das Grundgesetz ändern möchte, trifft die Gesellschaft im Innersten. Die immer weitere Entmachtung der Parlamente durch privatrechtliche Geheimverträge und die Paralleljustiz der geheimen Schiedsgerichte höhlen die Demokratie aus. Dem müssen wir in aller Entschiedenheit entgegentreten.


Ulrike von Wiesenau arbeitet als Beraterin von NGOs, internationalen Organisationen und Regierungsdelegationen und setzt sich als Demokratie- Expertin bei »Gemeingut in BürgerInnenhand« für den Erhalt und die Demokratisierung der Daseinsvorsorge ein.