Während in Deutschland das Thema Flüchtlinge aus dem Bewusstsein der Bevölkerung weitgehend verschwunden ist, so als sei das ein kurzes Abenteuer gewesen, das im Jahr 2015 das Land einmal kurz durchgeschüttelt hätte und sich jetzt irgendwie wieder – genau wollen wir garnicht wissen wie – erledigt zu haben scheint, ist die Realität: Tausende Menschen, die weiterhin übers Mittelmeer kommen, falls sie es schaffen, unhaltbare Zustände an Europas Peripherie, vor allem in Griechenland und Italien, und große Planlosigkeit sowie fehlende Solidarität der Europäischen Länder.
Eine halbherzige Abmachung der Europäischen Länder vor einem Jahr war das Relocation Programm: insgesamt 160 000 Geflüchtete sollten aus Italien und Griechenland auf andere EU Staaten umverteilt werden. Die meisten Europäischen Länder blockieren dies. Und Deutschland tut sich besonders schwer. Hierher sollten 27 500 kommen, insgesamt 2 042 sind tatsächlich bisher angekommen. Europaweit wurden nur knappe 10% Geflüchtete aus Italien und Griechenland geholt, ein Tropfen auf dem heissen Stein in Anbetracht von 180 000 Menschen in Italien und 60 000 in Griechenland, darunter etwa 15 000, die auf den griechischen Inseln festsitzen. (Bericht des UNHCR)
Es fehle nicht an Unterbringung, Tausende Plätze stünden inzwischen leer, und es ginge auch nicht um Geld. „Es fehlt an politischem Willen“, so Günter Burkhardt von Pro Asyl.
„Alles, was dort passiert, wird von Freiwilligen organisiert.“
Während Politiker_innen die Abschottung versuchen durch Aussitzen zu verwirklichen, gibt es allerdings immernoch sehr engagierte Bürger_innen. Einige sehr willensstarke und einsatzfreudige Initiativen organisieren Hilfslieferungen nach Griechenland, unterstützen in den Lagern und machen sich für die Ansiedlung von Flüchtlingen direkt bei ihren Kommunen stark. Dazu gehören die Osnabrücker Initiative 50 aus Idomeni und Potsdam-Konvoi, die bei einer Pressekonferenz von Pro Asyl anlässlich der Übergabe der Petition „Relocation jetzt umsetzen“ an das Innenministerium am 1.März, anwesend waren.
Lea Russell von Potsdam-Konvoi, die selbst mehrfach auf Lesbos war, erzählt über die katastrophalen Zustände dort. Viele seien in Zelten untergebracht, die nicht wasserdicht sind, geschweige denn beheizbar. In ihrer Verzweiflung verbrennen die Leute alles, auch Plastik, für ein wenig Wärme. Dadurch sei es zu den bisherigen fünf Toten gekommen, die eine Kohlenstoffmonoxidvergiftung erlitten. Die Hälfte der dort lebenden Geflüchteten seien Kinder. Mehrere Geburten hätten in diesen prekären, hygienisch katastrophalen Verhältnissen stattgefunden. Die staatlichen Organe sind überfordert. „Alles, was dort passiert, sei es Essen, Hygiene, Schlafplätze, ärztliche Versorgung, wird von Freiwilligen organisiert“, so Russell.
Vulnerable Gruppen haben kaum Chance auf Relocation
Die Gruppe 50 aus Idomeni setzen sich, wie ihr Name schon verrät, bereits seit einem Jahr dafür ein, 50 Geflüchtete nach Osnabrück zu holen. Die Kommune befürwortet das, das Geld für den Transport ist da, Unterkünfte sind organisiert und ein Netzwerk von Menschen, die den Ankommenden helfen würden. Laut Dr. Renate Vestner-Heise, einer der Initiatorinnen von 50 für Idomeni, haben sie persönlichen Kontakt zu denjenigen, die sie aufnehmen wollen, ausgesucht vor allem danach, dass sich bereits Familienangehörige in Osnabrück befinden. Aber trotzdem passiere nichts. Und die Wünsche der Flüchtlinge, wohin sie gebracht werden, spielten ebenfalls keine Rolle.
Karl Kopp, der Europareferent von Pro Asyl erklärt, dass man sich zwar dafür einsetzen könne, wohin welche Flüchtlinge umgesiedelt werden mit Argumenten von Familienzusammenführung und guter Vernetzung vor Ort, aber dass das nur selten die Entscheidungen der zuständigen Behörden beeinflusse. „Familienzusammenführung betrifft nur die Kernfamilie: Ehepartner, Kinder. Ob ein Onkel irgendwo ist, spielt keine Rolle.“ Kaum eine Chance auf Relocation hätten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder Menschen mit Behinderungen. „Gerade diese vulnerablen Gruppen aber sollten als erste aus den miserablen Verhältnissen geholt werden.“
Chance, Europa nochmal anders zu denken
Sichtlich bewegt nennt Karl Kopp die Forderungen von Pro Asyl: die Geflüchteten auf den griechischen Inseln sollten auf das Festland gebracht werden, die Unterbringungen müssten humanitären Standards entsprechen, vor allem vulnerable Gruppen müssten umverteilt werden und dabei müsse vor allem auf Familienzusammenführung geachtet werden. In all der Diskussion über Europäische Werte und wie sich Europa in Zukunft aufstelle, sei „dies eine Chance, Europa nochmal anders zu denken, nämlich als ein Europa der Werte und der Solidarität“.
Doch diese Chance wird anscheinend momentan nicht ergriffen. Zur Übergabe der Petition hatte De Maizière den Leiter des Stabs „Koordinierung der Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahme“ Thiermann vorgeschickt, der beschämenderweise wegen „wichtiger Termine“ keine Zeit für ein Gespräch mit den angereisten Initiativen hatte.