Aus der neuen Reihe: Bewegendes aus den Wissenschaften
Australische Forscher konnten mithilfe der Analyse der Erbinformation von Haarproben australischer Ureinwohner die Besiedlungsbewegungen des Kontinentes nachzeichnen. Im Wissenschaftsmagazin Nature vom März 2017 schlussfolgern sie, dass Australien nach Ankunft der ersten Menschen vor etwa 50 000 Jahren über die damals existierende Landbrücke zu Neu Guinea sehr schnell entlang der östlichen und westlichen Küste bis in den Süden besiedelt wurde. Die Immigranten spalteten sich demnach bereits kurz nach ihrer Ankunft im Norden in die bis heute zu findenden Subpopulationen auf. Nach der ersten Wanderzeit, die nur 2000 bis 3000 Jahre dauerte, scheinen sich sehr bodenständige, wenig reisefreudige Jäger und Sammler Gruppen gebildet zu haben, die dort blieben, wo sie sich zuerst angesiedelt hatten – über Zehntausende von Jahren hinweg. In Anbetracht der Geschichte der Europäer, die sich in einem viel geringeren Zeitraum und mit massiven Wanderungsbewegungen abspielte, ein ausserordentliches Durchhaltevermögen. Durch den dadurch fehlenden Austausch von Erbinformation zwischen den Verwandtschaftslinien der Aborigines verewigte sich dies in der großen Diversität der genetischen Information innerhalb Australiens, welche für Genetiker wie eine Chronik gelesen werden kann.
Ausharren, auch bei schlechtem Wetter
In dieser gesamten Zeit des Ausharrens änderte sich das Klima mehrmals drastisch. Vor ungefähr 21 000 Jahren führte die Hochphase der letzten Eiszeit zu einer starken Abkühlung und der Verwüstung Zentral-Australiens. Überall auf der Welt löste die Eiszeit umfangreiche Migrationsbewegungen aus, nicht so in Australien. Die australischen Populationen blieben, wo sie waren und passten sich den Umständen an. Die Autoren der Studie vermuten, dass sie lokale Rückzugsgebiete innerhalb ihres Territoriums fanden, in denen sie überleben konnten. Die genetische Auswertung lässt auch vermuten, dass nicht einmal ein starker Bevölkerungsrückgang in dieser Periode zu verzeichnen war.
Die Erwärmung vor 9000 Jahren und der dadurch ansteigende Meeresspiegel führten zu der geographischen Isolation des Kontinentes. Aber auch vorher schon hatte es keine genetische Verbindung zu den Neu Guineern mehr gegeben, wie die Daten untermauern. In dieser jüngeren Phase, in welcher sich in verschiedenen Teilen der Erde erste Hochkulturen entwickelten, findet auch in Australien ein großer Innovationsschub in Kunst und Technologie statt und die Bevölkerungszahl nimmt stark zu.
Ein Projekt in enger Zusammenarbeit mit den Aborigines
Die untersuchten Haarproben stammen aus anthropologischen Untersuchungen der Zwanziger bis Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die auch eine umfangreiche Sammlung von geographischen Daten und kulturellen Aufzeichnungen in Form von Foto und Filmmaterial mit einbezog. Die Forscher befürchteten damals, dass die Zwangsmassnahmen gegen die Urbevölkerung wie Umsiedelungen und Kindswegnahme durch die Kolonisten das Vermächtnis der Aborigines zerstören würden. Jetzt kommt diese Kollektion der Rekonstruktion der australischen Geschichte zugute, denn in Verbindung mit den genetischen Daten lassen sich die ausgeprägten, geographisch stark differenzierten kulturellen Charakteristiken besser verstehen.
Möglich war diese Forschung nur durch eine enge Zusammenarbeit der Forscher mit Gemeinschaften und Familien der Aborigines, deren Einverständnis und Mitarbeit sie für die Analyse der Haarproben einholten. Besonders sie haben Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen über ihre Herkunft und Geschichte und fühlen sich durch die Studie in ihren Überlieferungen bestätigt. So sagte der an der Studie beteiligte Kaundra Elder: „Wir Aborigines haben immer gewusst, dass wir seit dem Anfang unserer Zeit auf unserem Land lebten, aber es ist wichtig, dass die Wissenschaft dies dem Rest der Welt zeigt.”
In dieser Reihe von wöchentlich erscheinenden Artikeln möchte ich Erkenntnisse aus den Wissenschaften erklären und diskutieren, die bewegend sind, weil sie gesellschaftliche Veränderung bedeuten oder das Verständnis von uns und der Welt verändern und vertiefen. Ich hoffe, damit Debatten und Denkprozesse anzustossen oder einfach zu inspirieren.