Aziza Brahim ist eine Sängerin, die sich für die Unabhängigkeit ihres Landes, der Westsahara, einsetzt und in Einem die Tragödie und die Hoffnungen der zahlreichen Flüchtlinge in der ganzen Welt verkörpert.

Sie trägt Schleier, sie hat ein Lied von Jimi Hendrix als Handyton ausgewählt, sie möchte, dass man sie duzt und spielt Tabal (ein Schlagzeug der Westsahara, das ausschließlich für Frauen vorgesehen ist). Die Enkelin der berühmten sahrauischen Dichterin Ljadra Mint Mabrouk, Aziza Brahim sucht als Autorin und Sängerin den Spuren ihrer Ahnin und verstößt gegen die Klischees. Sie gilt als die bedeutendste Sängerin ihres Landes und auch als seine eifrige Verteidigerin. Die Künstlerin kämpft auf der Bühne, auf dem Gebiet der Worte und Emotionen und denunziert mit ihrer klaren und kräftigen Stimme die vom Volk der Westsahara und allen Flüchtlingen der Welt erlittene Gewalt und Qualen. Gewogen von den feinen Melodien, die an den Blues aus Mali und der Gitanos erinnern und von außerordentlichen Musikern vorgeführt werden, sind die Worte von Aziza Brahim eine erhobene Faust in einem Samthandschuh, die nicht unversehrt lässt. Die Musikerin war im letzten Monat anlässlich eines einzigartigen Konzerts beim AMR in Genf und sang vor einem randvollen Saal.

Für Aziza Brahim war die Musik zu Beginn ein Zufluchtsort, ein Weg, um in den Flüchtlingslagern zu überleben, ein Mittel, um das erlittene Leid zu verwandeln. „Die Frauen sangen in meiner Familie immer, vor allem am Freitag, als sie sich zu den geistigen Gesängen zusammenfanden. Ich klatschte in die Hände und so lernte ich Tabal spielen. Sobald ich sechs oder sieben Jahre alt war, nahm mich meine Großmutter zu ihren Dichterlesungen mit. Da wir keine Spielsachen hatten, wurde die Musik zu unserem Spielzeug “, erzählt sie. 1976 geboren, wuchs Aziza mit ihren neun Geschwistern in einem algerischen Flüchtlingslager auf. Dorthin war ihre Mutter ein Jahr zuvor von der marokkanischen Besatzung der Westsahara geflohen. Aziza Brahim hat mehrmals die Erfahrung des Exils gemacht. Wer kann besser als diese Frau über das Leid und die Träume des sahrauischen Volkes oder sogar aller Vertriebenen singen?

Von den Dünen in die Karibik

Als elfjähriges Mädchen erhält Aziza Brahim wie zahlreiche andere sahrauische und afrikanische Kinder dieser Zeit ein Studienstipendium, um in Kuba zu studieren. Sie erinnert sich voller Emotionen daran. „Kuba hat zahlreiche afrikanische Länder im Kampf unterstützt. Das Land war eine Schlüsselkomponente des Kampfes der Sahrauis und hat zahlreichen Jugendlichen unseres Volkes die Möglichkeit geboten, eine schulische und berufliche Ausbildung zu erlangen. Viele kubanische Ärzte kamen auch in die Flüchtlingslager, um uns medizinisch zu betreuen.“Für die Sängerin ist Kuba wie eine zweite Heimat. „Ich habe mehr Zeit in Kuba als in meiner Heimat verbracht… die ich nie betreten habe! Es war natürlich nicht immer einfach in Kuba, da ich während der Sonderperiode dort war [während der Wirtschaftskrise zu Beginn der 1990er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, AdR], aber das kubanische Volk hat uns warmherzig empfangen. Und wir haben auch seine Revolution unterstützt “, betont die Aktivistin.

Die Musik als Werkzeug des Widerstandskampfes

In Kuba spielt und singt die junge Studentin in den Gruppen der Schulen. Sie träumt, Musik zu studieren, aber dieser Antrag wird von ihren sahrauischen Betreuern abgelehnt. „Sie haben abgelehnt, weil sie uns auf « ernsthaftere » Themen lenken wollten, die einen Einfluss auf unser Volk nehmen sollten, sobald sich der sahrauische Staat nach der Unabhängigkeit organisieren sollte.“Die Enttäuschung ist groß. Obwohl Aziza Brahim die Beweggründe versteht, auf die sich ihre Betreuer berufen, zieht sie es vor, ihr Studium in Kuba zu unterbrechen, lieber als auf ihre Leidenschaft zu verzichten.
1995 kehrt sie ungebeugt in die Flüchtlingslager zurück, wo sie anfängt, ihre eigenen Themen zu komponieren. Sie wird allmählich bekannt, bis sie dann im Jahre 2000 nach Spanien zieht. „Für mich ist die Musik der stärkste Einfluss überhaupt. Sie lässt mich vibrieren und ist eine Bedingung für den Kampf. Sie ist der direkteste und wirkungsvolle Vektor, um das Leid, den Kampf und die Hoffnung zu teilen. Sie heilt auch meine Wundmale, indem sie sie verwandelt und meine Erfahrung in den Flüchtlingslagern, die heute so viele Menschen durchleben, übermittelt. Meine Musik berichtet über all dies“, sagt sie. Ihr letztes Album Abbar el Hamada («Durch die Hammada», das Felsplateau in der algerischen Tindouf-Provinz, wo die Flüchtlinge seit 40 Jahren überleben), ist ein vibrierender Appell an die „Zerstörung der Mauern, die die Völker voneinander trennen“ und im Besonderen der Festungen aus Sand, die von den marokkanischen Behörden an der Grenze zur Westsahara errichtet wurden, um die Sahrauis m Exil daran zu hindern, in ihre Heimat zurückzukehren.

Botschafterin

Wenn man sie über ihre Einflüsse fragt, spricht Aziza Brahim vor allem von afrikanischer und arabischer Musik. Sie erwähnt Ali Farka Touré, „den für mich größten afrikanischen Künstler“, Salif Keita, Rokia Traoré, Miriam Makeba, aber auch Los Van Van (Kuba), die Rockmusik von Jimi Hendrix, Queen, Pink Floyd und den US-Blues, vor allem den von Big Mama Thornton. Ihr Werk bleibt diesem Eklektizismus treu: von des Wüstenechos im Lied «Calles de Dajla» (Die Straßen von Dakhla) bis zu den afro-kubanischen Akzenten im Lied «La Cordillera negra» (Die schwarze Kordillere), zweiTitel aus ihrem letzten Album.
Aziza Brahim, die manchmal mit Billie Holiday verglichen wird, macht keinen Hehl aus ihren politischen Ansichten. „ Der Großteil meiner Musik verfolgt das Ziel, den Forderungen meines Volkes Raum zu verschaffen. Mein Volk sieht mich wie eine Art Botschafterin. Ich fühle mich dazu verpflichtet und gleichzeitig auch glücklich über diese Gelegenheit “. Aziza Brahim ist aber vor allem die Botschafterin der sahrauischen Frauen, die in ihrem Werk einen wichtigen Platz einnehmen.
„Unsere Gesellschaft ist matriarchalisch. Die Frauen haben die Hosen an. Als ich als Kind in den Flüchtlingslagern lebte, gab es keine Männer. Sie waren alle an der Front, um die marokkanischen Truppen zu bekämpfen. Die Frauen machten alles, organisierten das Lager, die Versorgung, die Hygiene, die Pflege, die Traditionen, die Lebensmittel, den Bau von Schulen und Krankenhäusern… Die sahrauischen Frauen sind ein Symbol des dauernden Kampfes, der Entschlossenheit, der Fähigkeiten und des Mutes. Sie sind für mich ein folgenswertes Beispiel.“ Ein Erbe, das Aziza Brahim ehrt. Und Ende 2016 erreicht sie die Spitzenposition der World ­Music Charts Europe, einer Klassifizierung auf der Grundlage der Playlisten der Radiosender 24 europäischer Länder.

von Laura Hunter  für Le Courrier, übersetzt von Milena Rampoldi und herausgegeben von  Fausto Giudice, Tlaxcala

Der Originalartikel kann hier besucht werden