Im Interview mit Rudolph Bauer, Politikwissenschaftler und Künstler, erzählt er uns, was seine neuen Ausstellung „Commedia Divina“ mit der Friedensbewegung zu tun hat. Bauer bezieht das höllische „Inferno“ und das Läuterungs-„Purgatorio“ des Dante-Epos auf die Kriege und Schrecken der Gegenwart. Indem er den „Paradiso“-Teil der „Göttlichen Komödie“ jedoch aus dem ursprünglich christlichen Jenseits-Kontext bei Dante herauslöst und sich für einen diesseitigen „Himmel auf Erden“ ausspricht, deutet er an, dass es im Zeichen des Antimilitarismus und Pazifismus eine Zukunft geben kann – eine Zukunft jenseits von Kriegen, Militarismus und Waffengewalt. – Die dem Interview beigegebenen Bilder sind nicht Teil der aktuellen Ausstellung. Sie entstanden als kritische Kommentare des Künstlers anlässlich der Fluchtbewegungen des Jahres 2016 und der politischen Kontroversen zur Willkommenskultur in der Bundesrepublik.
Warum der Titel „Göttliche Komödie“?
Der Titel meiner Ausstellung „Commedia Divina“ nimmt Bezug auf Dantes großartiges Epos, das im Deutschen als „Göttliche Komödie“ bekannt ist. Die Bezeichnung „Komödie“ ist für uns heute etwas irreführend; nämlich insofern, weil damit landläufig das Lustspiel oder die Comedy assoziiert werden. Zur Zeit Dantes, gegen Ende des 13. und zu Beginn des 14 Jahrhunderts, bezog sich die Bezeichnung „Commedia“ auf den positiven Ausgang des Dargestellten, hier: auf das glückliche Ende der Dante’schen Jenseitswanderung.
Wovon handelt Dantes Jenseitswanderung?
Der Weg im Jenseits, auf dem Dante von Vergil, dem römischen Dichter des berühmten Epos „Aeneis“ begleitet wurde, führt vom Inferno der Hölle über das Purgatorio des Läuterungsberges in den Himmel des Paradiso. Das Attribut „divina“, göttlich, fügte später Bocaccio hinzu, um den genialen Charakter der Dante’schen Dichtung zu unterstreichen. Meine Arbeiten in der aktuellen Ausstellung nehmen Bezug auf Dante und sein bedeutendes episches Werk. Dante Alighieri war aus Florenz verbannt worden und lebte als politischer Flüchtling im Exil. Im Exil schrieb er die „Commedia“, von der sich zahlreiche Komponisten und Bildende Künstler seither haben inspirieren lassen.
Was können wir heute von Künstlern wie Rodin, Blake und Botticelli lernen, die sich in ihrem Schaffen auf Dantes Werk bezogen haben?
Diese Künstler haben Illustrationen geschaffen oder, wie Rodin, das jenseitige „Höllentor“ als bronzenes Portal nachzubilden versucht. Ihre Arbeiten stellen den Versuch dar, die literarischen Imaginationen von Dante bildnerisch umzusetzen. Was können wir heute daraus lernen? Als zeitgenössische Künstler müssen wir einen Schritt weiter gehen. Wir lassen die früheren Illustrationsversuche hinter uns, weil man letztlich scheitert bei dem Versuch, Dantes dichterische Welt „ins Bild“ setzen zu wollen.
Sondern?
Es ist notwendig, Dantes Dichtung mit der gegenwärtigen Realität zu verbinden, eine Adaption zwischen Dichtung und Wirklichkeit zu leisten, die „Commedia“ zu aktualisieren bzw. ihre Aktualität zu erkennen. Das ist der Grund, weshalb ich Arbeiten geschaffen habe, die keine Dante-Illustrationen sind, deren Titel aber durch Zitate aus der „Göttlichen Komödie“ auf diese verweisen. Auf solche Weise entsteht eine neue Verbindung von Gegenwart und historischer Dichtung. Es zeigt sich, dass einerseits das Inferno und das Purgatorio, wie sie Dante vorschwebten, eine Entsprechung in unserer schrecklichen Gegenwart haben. Andererseits verlangt die Vision des Dante’sche Paradiso eine künstlerische Herangehensweise, die das Hier und Jetzt transzendiert.
Wie haben wir uns das vorzustellen?
Ich gebe zwei Beispiele aus der Inferno-Abteilung der Ausstellung: In einem Erker des Ausstellungsraumes werden mehrere Bildmontagen mit Erdogan und Frau Merkel gezeigt. Ein Schild verweist auf den neunten Höllenkreis des dreiundzwanzigsten Gesanges, „wo die bestraft werden, die ihre früher willkommen geheißenen Gäste verraten“. Das ist eine Anspielung auf Merkels Flüchtlings-Deal mit der Türkei. Ganz aktuell handelt es sich auch um eine Art Kommentar zum heutigen Stand der Nato-Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und der Türke.
Und das zweite Beispiel?
Eine weitere Bildmontage zeigt in leichter Verfremdung den ehemaligen Bundeskanzler Schröder und seinen Vizekanzler Fischer. Beide haben in ihrer Regierungszeit die sozialpolitischen Hartz-IV-Verschärfungen eingeführt und durch Bruch der Verfassung und des Völkerrechts die Teilnahme der Bundeswehr am Kosovo-Krieg zu verantworten. Als eine Art Richterspruch zitiert der Titel des Bildes aus dem achten Gesang des „Inferno“ die Passage: „Wie viele, die einst große Herren schienen, siehst du den Säuen gleich im Kote stehn, und nichts als Schimpf und Schande bleibt von ihnen.“
Ihre Beispiele lassen erkennen, dass Sie an der Schnittstelle zwischen Kunst und Literatur auch das Friedensthema ansprechen. Oder sehe ich das falsch?
Nein, das ist richtig. Die Ausstellung schlägt Brücken zwischen Kunst und Literatur, zwischen Geschichte und Gegenwart – und beides in der bewussten Absicht, einerseits Kriege, Militarismus und Waffengewalt zu verurteilen sowie ihren Befürwortern eine Absage zu erteilen. Andererseits thematisiert die Paradiso-Abteilung mit den dort ausgestellten bunten Aquarell- und Tuschearbeiten die lichte Hoffnung auf Frieden und eine gerechte Welt. Die Sehnsucht nach einer Welt im Frieden kommt beispielsweise in einem Zitat aus dem vierzehnten Paradiso-Gesang zum Ausdruck, wo es heißt: „Wie, wenn am Himmel neue Lichter sich verbreiten, so sah ich dort jetzt neue Wesenheiten beginnen zu erscheinen.“
Ihre Bemerkung leitet über zu meiner Frage, welche Friedensbewegung Sie sich im Jahre 2017 wünschen?
Ich wünsche uns ganz unbescheiden eine weltweite Friedensbewegung, die kraftvoll und geschlossen auftritt. Denn, wie schon der römische Historiker Sallust wusste, durch Eintracht wächst das Kleine, durch Zwietracht zerfällt das Große. Die Friedensbewegung 2017 sollte in der Lage sein, als ersten, aber wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Welt ohne Kriege das vorhandene Atomwaffen-Arsenal abzuschaffen. Die Zeichen dafür stehen gut.
Was lässt Sie hoffen und optimistisch sein?
Die UN-Vollversammlung hat unlängst die Ächtung der Atomwaffen beschlossen. Wir müssen hierzulande endlich die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses aus dem Jahre 2010 einfordern, der sich für den Abzug der Atomwaffen ausgesprochen hat. Statt, wie jetzt vom USA-Militär bei uns in der Bundesrepublik geplant, die in Büchel gelagerten Atomwaffen zu „modernisieren“, d. h. ihre Sprengkraft zu vertausendfachen, sollten die Ausgaben dafür im Kampf gegen den Hunger eingesetzt werden. Am besten fangen wir schon mal hierzulande an, die Kinderarmut aufzuheben und in den Wohnquartieren der Unterprivilegierten die Schulbildung zu verbessern.
Welches sollte nach Ihrer Meinung ein Fernziel der Friedensbewegung in der Bundesrepublik sein?
Für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik wünsche ich, dass unser Land und seine Menschen als späte Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg endlich die Initiative ergreifen für mehr wirkliche Verantwortung im Sinne des Pazifismus und einer gerechten Weltordnung. Eine Verantwortung, die sich auf Waffen stützt, wie sie u. a. von Herrn Gauck und Frau von der Leyen propagiert wird, ist Heuchelei und in Wahrheit der Gipfel von Verantwortungslosigkeit. Das trägt nur dazu bei, die bestehenden Verhältnisse zu versteinern.
Was können wir heute dem Militarismus und seinen Geldgeschäften entgegensetzen?
Wir können zweierlei entgegensetzen: Zum einen die Überzeugung und das Bewusstsein, dass der gegenwärtige Zustand der kriegerischen Selbstzerstörung des von Menschen bewohnten Planeten nicht das Ende der Entwicklung unserer Zivilisation und unserer Kulturen sein kann und darf. Es gibt Hoffnung. Die Unterdrückten und Ausgebeuteten werden sich im zähen Widerstand gegen ihre Unterdrücker und Ausbeuter durchringen zu einer künftigen Weltgesellschaft des Friedens, der Toleranz und Verständigung, des Glücks und der Schönheit. Es gibt wahrlich keine andere Alternative. Falls dieses Friedensprojekt nämlich scheitert, können wir dem Militarismus und seinen Geldgeschäften nur das Bild der Hölle und der totalen Vernichtung des Lebens auf unserem Planeten entgegensetzen. Der Schrecken des irdischen Infernos wird alles und alle erfassen, und zwar ausnahmslos.
Zionismus und Brüderkriege bestimmen den Nahen Osten. Wie kann man sich hier noch den Frieden vorstellen und sich dafür einsetzen?
Die schier ausweglose Situation, unter welcher die Mehrheit der Menschen im Nahen Osten leidet und der wir ohnmächtig beiwohnen, muss uns ein Ansporn sein, das drohende Menetekel zu erkennen und bewusst handelnd dagegen vorzugehen. Im Augenblick sind die Kräfte der Zukunft noch in der Minderzahl. Die herrschende Politik kennt aber nur noch ein Sich-Aufbäumen, bevor sie in sich zusammenbrechen wird wie ein Kartenhaus. Davon bin ich überzeugt. Für diese Überzeugung steht auch Dantes „Divina Commedia“ und seine Vision des Paradiso.
Handeln Sie sich damit nicht den Vorwurf ein, gutgläubig, naiv und realitätsblind zu sein?
Diese Meinung gibt es. Sie ist gegenwärtig noch die herrschende, angeblich realistisch, cool und überlebenstüchtig. Wir begegnen ihr überall. Aber verhält es sich in Wahrheit nicht anders herum? Ist nicht derjenige zynisch, inhuman und perspektivlos, der realitätsgläubig an das Weiter so glaubt, der nicht erkennen kann oder will, dass es Entwicklung und Fortschritt gibt? Die Welt steht nicht still. Die Menschen haben sich über Jahrtausende hinweg entwickelt. Warum sollte damit Schluss sein?
Sie glauben an das irdische Paradies, an so etwas wie ein kommunistisches Eden?
Zugegeben, bei Dante ist die Vorstellung des Paradieses noch in den christlichen Glaubenskanon eingebunden und in einem Jenseits angesiedelt. An uns liegt es, das Paradies als säkulares Diesseitsprojekt der Aufklärung mit all seinen Widersprüchen zu entwerfen und nach Kräften an seiner demokratischen Verwirklichung zu arbeiten. Auf diese Weise kann es gelingen, den unheiligen religiösen Fanatismus von Zionisten, Islamisten, Hindunationalisten und christlich-fundamentalistischen, evangelikalen Kreationisten zu entkräften. Es geht um den Himmel auf Erden. Einen anderen Himmel gibt es nicht.