Am 58. Jahrestag des Volksaufstands in Tibet (10.3.) hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) der chinesischen Regierung vorgeworfen, Menschenrechte von Tibetern systematisch zu ignorieren und zu verletzen, um rücksichtlos ihr Konzept von „Entwicklung“ durchzusetzen.
„Doch was Chinas politische Führung als ‚Fortschritt‘ und Garantie für mehr ‚Stabilität‘ preist, bedeutet für die Tibeter Entwurzelung, Marginalisierung und Zerstörung ihrer Kultur, Religion und Gesellschaft“, erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius am Freitag in Göttingen. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang hatte auf dem Nationalen Volkskongress in dieser Woche die Entwicklung Tibets als bedeutendsten Garanten für Stabilität in der Region bezeichnet.
Der Ministerpräsident hob vor den Parlamentariern lobend hervor, dass das Bruttoinlandsprodukt in der Autonomen Region Tibet im Jahr 2016 um 11,5 Prozent gestiegen sei. Besonders betonte er den Ausbau der Infrastruktur und von Verkehrswegen. Erst am Montag wurde ein neuer Terminal des zweitgrößten Flughafens Tibets eingeweiht. Dieser Terminal des nahe der indischen Grenze gelegenen Flughafens Nyingchi Mainling soll schon im Jahr 2020 rund 750.000 Passagiere abfertigen können. Zudem werden ständig neue Eisenbahnstrecken und Schnellstraßen in Tibet errichtet, um den Verkehrsfluss mit den städtischen Ballungszentren im Osten Chinas zu erleichtern.
„58 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands von Tibetern haben die chinesischen Machthaber noch immer keine Lehren aus dem Aufbegehren gezogen. Tibeter werden nie gefragt, welche Vision sie von ‚Entwicklung‘ haben und wie ihre Lebensbedingungen verbessert werden können“, kritisierte Delius. „Chinas Entwicklungsanstrengungen gehen vollkommen über die Köpfe der Betroffenen hinweg und für die meisten von ihnen verschlechtern sich dadurch Arbeits- und Lebensbedingungen.“
So verlieren Nomaden ihr Land und ihre Herden, Bergbau schürt Umweltprobleme und Zerstörung. Der Bau neuer Eisenbahnlinien und Flugplätze fördert die Zuwanderung von Angehörigen der Han-Mehrheitsbevölkerung aus China, die Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft in Tibet immer mehr dominieren. Davon profitiert Chinas Wirtschaft, die sich billige Rohstoffe sichert. „Das chinesische Entwicklungsmodell ist ein Rezept für ein Desaster für Tibet. Es fördert nicht mehr Stabilität, sondern nur mehr Frustration und Ärger unter Tibetern“, erklärte Delius.
Bei der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands vom 10. März 1959 gegen die chinesische Herrschaft kamen mindestens 87.000 Tibeter zu Tode.