Die italienischen Medien haben den Sieg von Pablo Iglesias während des Kongresses von Podemos als Linksruck bezeichnet, als Triumph einer radikale Linie gegenüber dem gemäßigteren Rivalen Iñigo Errejón, aber stimmt das so? Darüber haben wir mit Gabriela Amaya, Redakteurin von Pressenza Madrid, gesprochen.
Ist Errejón wirklich gemäßigter als Iglesias und ist er zu einer Koalition mit PSOE (Spanische sozialistische Arbeiterpartei) bereit? Und wenn das so nicht stimmt, wie würdest Du die Lage beschreiben?
Wenn wir von Revolutionären in den klassischen Begriffen von rechts und links sprechen, von permanenten im Konflikt begriffenen Fraktionen, bei der einer des anderen bedarf, und die darum „kämpfen“ müssen, um zu überleben, dann ist das Bild von Iglesias als viel Radikaleren, das in vielen spanischen und ausländischen Medien präsentiert wird, korrekt, umso mehr, wenn sich „radikal“ an marxistischen Positionen orientiert.
Wenn wir aber von einem tieferen gesellschaftlichen Wandel sprechen, von neuen Werten, von Formen neuer Aktionen und davon, eine neuen Realität näher am menschlichen Wesen zu schaffen, dann scheint mir Iñigo Errejón viel näher an all dem zu sein, dann scheint er der Revolutionär. Einige Medien und auch das Umfeld von Pablo Iglesias sind sich dieser Gefahr bewusst. Diese Tatsache, zusammen mit dem Durst nach Macht, hat eine erbarmungslosen Kampagne – auch wenn in einem abgeschwächten Ton – gegen Errejón hervorgebracht, bei der Pablo Iglesias selbst, eine Gruppe ihm nahestehender Personen sowie einige große Kommunikationsmedien interveniert haben.
Im Bezug auf eine mögliche Allianz mit der PSOE hat Iglesias selber öffentlich sein Interesse an einer Regierung zusammen mit den Sozialisten erklärt. Die jedoch haben sich dafür entschieden, mit den Konservativen von Ciudadanos („Staatsbürger“; spanische Partei 2006 in Barcelona gegründet) zusammenzuarbeiten.
Welche sind Deiner Meinung nach die tatsächlichen Unterschiede in den Programmen und politischen Inhalten der zwei Vertreter von Podemos?
Die großen spanischen und ausländischen Medien haben in übertriebener Weise die Positionen vereinfacht und Errejón und Iglesias in stereotype und klassische Kategorien eingeteilt. Dies geschah auch bereits, als die Bewegung der Indignados („Empörte“) entstand, oder 15M („Bewegung 15. Mai“). In Wirklichkeit kann man die Position von Iglesias als links und traditionell marxistisch bezeichnen, die übrigens auch mit dem Trotzkismus der Antikapitalisten assoziiert wird, weil beide Gruppen ein Interesse in diesem Sinne haben. Es ist eine Form, die in Spanien Schwierigkeiten hat, bei den Wahlen über eine gewissen Anzahl an Stimmen hinauszukommen.
Diese Position muss auch im Zusammenhang mit der Lage von Iglesias und anderen Führungspersönlichkeiten im Strom der „Retter“ des Volkes gesehen werden. Sie glauben an mit Intelligenz und den Medien überlegenen Qualitäten ausgestattete Persönlichkeiten. Und das haben wir gesehen in der Art und Weise, wie sich Pablo dem Generalsekretariat als Kandidat vorgestellt hat. Er hat keine Projekte vorgestellt, sondern nur Namen genannt, die Teil seiner Mannschaft sein werden.
Errejón und die von ihm repräsentierte Strömung hingegen streben in Richtung der Ideale von M15. Tatsächlich kommen viele seiner Mitstreiter aus dieser Bewegung. Sie verteidigen zum Beispiel die berühmte Transversalität, von der in diesen Tagen viel gesprochen wurde, und die einige sehr schlecht gemacht haben. 15M und auch Podemos sagten am Anfang, „Wir sind weder rechts noch links“ und wollten so die Mehrheit der Bevölkerung erreichen und repräsentieren, die von einer Minderheit hintergangen wurde, die sie beraubt, um selber jeden Tag reicher zu werden. Sie vertreten den Standpunkt, dass Podemos, um die an der Macht vertreiben zu können, transversal sein muss und sich mit dieser großen Mehrheit verbinden muss, indem sie die klassischen Schemata von rechts und links überwinden und neue Allianzen und Aktionen mit anderen Organisationen planen.
In diesem Zusammenhang unterstützt die Strömung um Errejón unter anderem die Horizontalität in der internen Struktur und auch nach außen, die direkte Demokratie ebenfalls innen wie außen, die Gewaltfreiheit als Methodologie, die Arbeit an der Basis und im Team, und sie setzt Schwerpunkte auf die Schaffung einer neuen Realität mehr als auf die Anklage dessen, was schiefläuft. Darüber hinaus konnten wir feststellen, dass sie sich untereinander gut behandeln und auch andere gut behandeln.
Iglesias und andere ihm nahe Stehende hingegen haben ziemlich harte Erklärungen Errejón gegenüber abgegeben, auch wenn manchmal verkleidet in weicherer Form, während Errejón und seine Mitstreiter immer einen korrekten Ton beibehalten haben. Ich glaube, dass in den letzten Tagen Errejón und einige andere begonnen haben, den orchestrierten Verrat ihnen gegenüber zu begreifen.
Warum hat die Basis von Podemos aus Deiner Sicht Iglesias einen solch überwältigenden Sieg beschert?
Errejón hat sich vor allem deshalb nicht so sehr präsentiert, weil er Iglesias nicht die Parteiführung streitig machen wollte, eine Tatsache, die Iglesias und die Seinen immer wieder betonten, um zu rechtfertigen, was sie taten.
Zudem will ein Teil der Basis von Podemos weiterhin an das Projekt glauben und hat sich an den meist wiederholten Begriff während des Kongresses geklammert – Einheit. Ich glaube, sie können nicht verstehen, was passiert und das ist auch verständlich, denn es würde ihnen sonst die Hoffnung rauben.
Dann gibt es da noch einen anderen Teil, der sich nicht öffentlich zeigen wollte. Viele der bei Izquierda Unida („Vereinigte Linke“) Eingeschriebenen sind Podemos beigetreten und haben für Iglesias gewählt, so wie auch die Antikapitalisten (Trotzkisten), die ihn momentan unterstützen, weil sie ähnliche Sensibilitäten haben.
Und noch ein anderer Fakt zeigt, wie sehr sich die Dinge innerhalb Podemos verändert haben: früher waren in der Führung viele Leute, die von 15M kamen, während heute alle, die dem Generalsekretär Iglesias nahestehen, aus der kommunistischen Partei oder von Izquierda Unida (Spanische kommunistische Partei), kommen.
Welche Aussichten sieht Du jetzt in Spanien für eine reale politische und soziale Alternative zu den traditionellen Parteien?
Es ist sicherlich schwierig für eine neue Kraft so schnell zu wachsen, wie es Podemos getan hat, deren Gründer es gut verstanden, die durch das Phänomen und die Struktur von 15M entstandene Welle auf intelligente Weise zu reiten, aber es gibt nicht nur Podemos.
Da sind auch die „Ayuntamientos del Cambio“ („Gemeinden des Wandels“), Kommunen, bei denen Leute mitmachen, die von den sogenannten „Maree“ kommen, da ist eben auch 15M, da ist Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona, die aus einer anderen Basisbewegung kommt, der „Plataforma de Afectados por las Hipotecas“, da ist „Compromís en la Comunidad Valeniana“… Und zudem existiert durchaus die Möglichkeit, dass in Zukunft aus der Strömung um Errejón eine neue politische Kraft entsteht. Es gibt viele offenen Möglichkeiten.
Welche Zukunft siehst Du für Basis- und Bürgerbewegungen, die dieses Jahr sehr viele Menschen mobilisiert haben?
Ich glaube nicht, dass die Richtungsänderung von Podemos eine Gefahr für diese Bewegungen darstellt. In Wirklichkeit war nicht die traditionelle Linke hinter ihnen. Die war am Dahinsiechen und hat die Gelegenheit erkannt und genutzt, sich zumindest temporär wiederzubeleben. Und sie hat es getan, indem sie sich des neuen Projektes – Podemos – bemächtigt hat. Das ist es, was passiert ist.
Aber parallel dazu haben all die, die schon vorher aktiv waren, oder die im Zuge dessen aktiv wurden, weitergearbeitet und nie aufgehört. Zum Beispiel die ganze Bewegung, die die öffentliche Gesundheitsversorgung verteidigt oder die Plataforma de Afectoados por las Hipotecas, der es gelungen ist, die Räumungsbefehle zu stoppen, die tausende Familien obdachlos machten und Selbstmorde produzierten, schwere Krankheiten und anderes. Und viele andere Organisationen.
Andererseits glaube ich, dass es notwendig ist, die Beziehungen zwischen den vielen Basisbewegungen zu stärken und Seite an Seite zu arbeiten, indem man das sucht, was vereint, um neue Realitäten in verschiedenen Bereichen zu schaffen. Und bei dieser Basisarbeit ist das Wichtigste, mit viel Freiheit alte Überzeugungen und Modelle, seinen sie persönlich oder kollektiv, in Frage zu stellen und Instrumente zu suchen, die uns helfen, das Vertrauen in die Zukunft zu nähren.
Ich erinnere mich an eine großes Manifest an der Puerta del Sol, das besagte: „Wir sind die 99%, die unten sind, wenn wir uns auf die Seite bewegen, wird das 1 %, welches auf unseren Schultern steht, herunterfallen.“ Das ist eine der ersten Überzeugungen, die wir übernehmen müssen. Auf der anderen Seite existiert die neue Welt bereits, getragen von neuen Technologien; eine Welt in der es immer weniger Arbeit und immer mehr Wohlstand geben wird. Die Lösung besteht in der gerechteren Verteilung des Reichtums, der allen gehört. Die reale Möglichkeit, dass die Menschheit in würdigen Bedingungen und größerer Freiheit lebt, existiert bereits.
Es wird sehr spannend und hier in Spanien gibt es Bewegungen, die bereits in diese Richtung arbeiten. Wir müssen nur den Schleier einiger Überzeugungen, die uns noch die Augen verdecken, zerreißen und aufwachen.
Die Iglesianer und das, was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, sind nur ein Detail mehr eines Systems, dass nicht untergehen will, ein Versuch, zu Altem zurückzukehren, aber das kann die neuen Generationen nicht mehr aufhalten. Die Zukunft ist offen und sie ist zu erbauen.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter