Er hat Assads Foltergefängnisse überlebt, in Deutschland einen Neuanfang gewagt und mit seinem Humor die Herzen vieler Menschen im Sturm erobert. Über Nacht wurde Firas Alshater wohl zum „bekanntesten Syrer“ in Deutschland, als er Anfang 2016 sein Video „Wer sind diese Deutschen?“ online stellte und damit innerhalb weniger Tage mehr als eine Million Menschen erreichte. Viele fragten sich, wer ist dieser Mann? Jetzt liefert er mit seinem Buch „Ich komme auf Deutschland zu“ die Antwort. Die GfbV-Onlineredakteurin Michaela Böttcher traf Firas während seiner Lesereise und sprach mit ihm über Syrien, Integration und wie es ist, so bekannt zu sein.
Du bist in Syrien aufgewachsen, einem Land, das viele Menschen heute mit Krieg und fanatischen religiösen Gruppen assoziieren. Wie war es vor der Revolution und dem Krieg?
In Syrien hatte ich Freunde, die verschiedene Religionen haben. Sunniten, Alawiten und auch zu vielen Christen hatte ich Kontakt. Mich persönlich interessiert Religion nicht so sehr. Was mich interessiert, ist, wie der Mensch ist, wie er mit mir umgeht. Muslim oder Christ ist mir scheißegal. Wenn er scheiße zu mir ist, dann mag ich die Person nicht. Wenn er nett zu mir ist, dann ist es schön. Egal, an welche Religion er glaubt oder ob er Atheist ist.
Gab es denn trotzdem Menschen in deinem Freundeskreis, die sich stark über ihre Religion oder Ethnizität definiert haben?
Ich selbst war als Kind sehr religiös. Ich hatte auch Freunde, die sehr religiös waren. Aber das heißt doch nicht, dass man andere beeinflussen muss. Auch in Deutschland habe ich Menschen getroffen, die sehr religiös sind. Sowohl Muslime als auch Christen. Mich stört das nicht. Solange diese Person mir nicht sagt: „Du kommst in die Hölle, weil du nicht an meine Religion glaubst.“ Oder: „Du wirst bombardiert, weil du nicht an Gott glaubst.“
Es gibt in Syrien natürlich auch verschiedene ethnische Minderheiten. Sie haben jetzt endlich die Chance zu sagen: „Wir sind eine Minderheit. Wir hatten keine Rechte in Syrien.“ So wie die Kurden, die früher in Syrien fast ohne Rechte waren. Fast 500.000 Kurden hatten nicht mal eine Staatsbürgerschaft. Aber das ist ein anderes Thema. Was mir wichtig war und ist, ist, wie die Menschen mit mir umgehen, egal wer sie sind oder an was sie glauben.
In deinem Buch beschreibst du, dass sich am Anfang der Revolution alle beim Freitagsgebet getroffen haben, ob sie Sunniten waren oder Atheisten oder Christen, um gemeinsam zu den Demonstrationen zu gehen. Wie hat sich das für dich angefühlt?
Dieser Moment war so schön. Wir kommen rein, schauen den anderen an und lächeln, weil wir genau wissen, dass die andere Person christlich ist, aber er ist aus genau demselben Grund hier wie ich. Ich glaube nicht an Gott, aber ich bin auch dort. Wir lächeln den anderen an und wissen, wenn das Gebet zu Ende ist, beginnen wir mit der Demo. Das ist, als ob du in einen Club kommst und deine Freunde siehst. Du lächelst, weil du weißt, dass ihr später gemeinsam Drogen nehmen wollt und dann fliegen werdet. Nur für uns waren die Demonstrationen die Drogen. Das war Energie pur.
Du warst aktiv an den Demonstrationen in Syrien beteiligt. Dabei war die Kamera immer deine Waffe. Später hast du dann in Syrien mit „Syria Inside“ eine Dokumentation über die syrische Revolution gefilmt, bist für die Produktion nach Deutschland gekommen und dann hier geblieben.
Ja, genau. Den Film kann man sich auch noch im Internet wie beispielsweise bei YouTube anschauen. Der ist aus der Zeit vor dem IS. Aber man kann immer noch viel von dem Film lernen.
Mittlerweile bist du in Deutschland zu einem bekannten YouTuber geworden. Manche sprechen auch vom „Flüchtlings-YouTuber“. Wie stehst du zu diesem Begriff?
Ich hasse dieses Wort. Flüchtling. Man muss es immer benutzen, aber ich hasse es. Es ist, als ob jemand eine schwere Krankheit hat oder behindert ist. Behindert zu sein ist nicht deine Entscheidung und genauso ist Flüchtling zu sein nicht deine Entscheidung. Was mich richtig aggressiv macht, ist das Wort „Asylanten“. Das Wort „Geflüchtete“ ist ganz okay. Auch „Flüchtling“, solange es nicht böse gemeint ist oder als Schimpfwort benutzt wird. Man muss schauen, wie das gemeint ist. Von Person zu Person ist das unterschiedlich.
Jetzt hast du ein Buch veröffentlicht. Darin beschreibst du dein Leben in Syrien und in Deutschland. Und – wie in deinen Videos auch – sprichst du auch über Integration. Darin ist zu lesen, dass man in Deutschland für Integration „nichts“ machen sollte.
Ich meinte damit, dass man nichts pushen sollte. Man muss der Integration Zeit geben. Erstmal müssen wir nichts machen. Wer später hier bleiben will, der bleibt. Wer gehen will, sucht sich einen anderen Ort. Deutschland hat über Jahrzehnte Millionen Flüchtlinge und sogenannte Gastarbeiter aufgenommen. Vielleicht haben sie sich nicht hundertprozentig integriert, aber sie haben das Land auch nicht kaputt gemacht. Deutschland hat 80 Millionen Einwohner, jetzt sind vergangenes Jahr eine Million Flüchtlinge gekommen. Das ist immer noch ein Verhältnis von eins zu 80. Wenn also diese Eins die 80 verändern kann, dann war die 80 nicht stark. Sorry, aber es ist so. Man muss schon an sich selbst glauben und an sein Land, seine Kultur. Und dann weiß man, dass Deutschland das schafft. Es hat vorher alles geschafft. Und es schafft es jetzt auch.
Die Diskussionen in Deutschland beschäftigen sich neben Integration auch mit der aktuellen Asylpolitik. Wenn du daran etwas ändern könntest, was wäre das?
Ich würde allen, die das wollen, das Recht geben, hier zu bleiben. Und ich würde ihnen das Recht geben zu arbeiten, damit sie nicht Drogendealer werden oder klauen, weil sie nicht genug Geld haben. Jeder Mensch hat das Recht, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen zu haben und einfach an einem Ort in Sicherheit zu sein. Das muss jedem Menschen in Deutschland zustehen. Egal, ob sie Deutsche sind oder nicht.
In deinen Videos geht es oft um Integration und Flüchtlinge. Themen, die in Deutschland stark emotional diskutiert werden. Und doch hast du selten Hasskommentare auf deiner Facebook-Seite oder bei YouTube. Was ist dein Geheimnis?
Das ist der Vorteil, wenn du mit Humor umgehst. Dann bekommst du weniger Hass. Ich habe Hasskommentare bei ARD, ZDF oder anderen Medien gesehen, wenn sie etwas über mich gepostet haben. Aber die Menschen, die mir folgen, sind Menschen, die mich mögen, die mich unterstützen. Es gibt ab und an auch mal Hasskommentare, aber es sind sehr wenige. Wenn ich sehe, dass ich mit einer Person reden kann, dann mache ich das. Wenn ich aber merke, dass die Person nur Hass abladen will, dann blockiere ich sie. Da habe ich keinen Bock drauf.
Wenn ich auf meine YouTube-Seite gehe und nur mal das neueste Video, das ich veröffentlicht habe, aufrufe, sind da ganz viele positive Kommentare. Es ist Wahnsinn, wie viele Leute mir nette Sachen schreiben. Die meisten sind in meinem Alter, aber ich habe auch viele jugendliche Follower, die mich teils sogar als Vorbild sehen und mir schreiben.
Ich versuche, wirklich alle Anfragen zu beantworten. Aber ich schaffe das nicht immer. Ich habe so viele E-Mails und Nachrichten, die noch nicht gelesen sind, die ich noch beantworten muss. Es ist einfach viel, aber ich versuche immer zu antworten. Viele schreiben mir, dass sie mein Buch gelesen oder es irgendwo gesehen haben. Oder sie wollen mit mir über Gott und die Welt reden. Und ich finde das schön. Es ist wirklich das Allerbeste, wenn die Leute mir so nette Nachrichten schreiben. Dann weiß ich, dass es für meine Arbeit einen Sinn gibt, dass ich weitermachen sollte und muss.
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“ trägt den Titel „Flüchtlinge und Migranten in Deutschland: Wollt ihr unsere Geschichten hören?“. Wir veröffentlichen ausgewählte Artikel zum „Hineinschnuppern“. Das vollständige Magazin gibt es im Online-Shop der GfbV.