Die Bundeswehr wirbt offensiv um Rekruten und schickt auch Minderjährigen Werbebriefe zu. Das Mindestalter für eine militärische Laufbahn beträgt 17 Jahre, steht fett auf einem der Flyer. Einem Schüler ging die Militärpost gegen den Strich. Er schrieb im November einen Brief an das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, um das Abonnement für Infoschreiben abzubestellen. Eine Antwort bekam er bisher nicht. Hier ist sein Brief.
XXXXXXXX, 15. November 2016
Vorgangsnummer: 42
Bitte im Schriftverkehr stets angeben
Betreffend Ihr »zweites Infoschreiben«: »Karrieremotor Bundeswehr! Zahlreiche Ausbildungen, Studienmöglichkeiten und sinnvolle Tätigkeiten.«
Sehr geehrte Damen und Herren des »Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr«,
wie Sie schon treffend in Ihrem »zweiten Infoschreiben« festgestellt haben, dass dies ein »zweites Infoschreiben« ist, habe ich von Ihnen ein zweites Infoschreiben bekommen. Diesem ist noch mehr Werbung beigelegt für – welch Wunder! – die Bundeswehr.
Stellen Sie sich mal vor, es wäre jetzt nicht die Bundeswehr, die derart penetrant versuchte, mich als Rekruten zu gewinnen, sondern ein ganz normales Unternehmen, das noch nicht einmal für die zweifelhaften Aktionen der Bundeswehr stünde, zu denen ich noch kommen werde, das mich derart umwürbe.
Was gäbe das für einen Aufschrei, wenn irgendein Konzern – der nicht einmal »Heckler & Koch« oder »Krauss-Maffei Wegmann« heißen müsste – mir mehrmals namentliche »Infoschreiben« zuschickte, die auf den Daten der kommunalen Meldebehörden basierten und deren Verfassen und Zustellen mit öffentlichen Geldern bezahlt würde!
Aber Sie berufen sich auf »§ 58c des Soldatengesetzes«, um das – zu Recht! – bestehende Verbot der Werbung für die Bundeswehr an Schulen zu umgehen. (So eines gibt es doch, oder? Angesichts der aktuellen Realität bin ich mir da gerade ein wenig unsicher.) Als »Arbeitgeber Bundeswehr« bezeichnen Sie sich. Nach Aufhebung der Wehrpflicht, so hieß es doch, wollten Sie auf dem Arbeitsmarkt um künftige Berufssoldaten kämpfen.
Ja, der Arbeitsmarkt – auf dem Sie einfach mal mit meinen persönlichen Daten, dem Recht, diese entsprechend einzusetzen ausgestattet sind und mir dann in einer gigantischen PR-Kampagne – inklusive einer YouTube-Serie, die, ganz auf das junge Publikum zugeschnitten, ebendiesem die Werte der Bundeswehr eintrichtern möchte, und zu der ich im Folgenden noch kommen werde – weismachen wollen, das zu machen, »was wirklich zählt«: In den Reihen der Bundeswehr für das »Vaterland« zu sterben. dienen.
»Verantwortung übernehmen« ist ein weiteres Stichwort, das in Ihren Broschüren reichlich Verwendung findet. Verantwortung übernehmen – das soll Deutschland in der Welt, mit meiner treuen Unterstützung bis in den Tod. Verantwortung übernehmen: Ein allgemeinbekanntes Chiffre für »Auslandsübungseinsätze« der Bundeswehr. Der Begriff (also sowohl »Auslandsübungseinsatz« als auch »Verantwortung übernehmen«, damit zu dem Substantiv auch ein entsprechendes Verb verwendet werden kann) wurde, wie Sie ja wissen, nach dem Ersten und dem Zweiten großen Auslandsübungseinsatz – die damals noch anders hießen – der Bundeswehr – die damals ebenfalls noch anders hieß – eingeführt, um den Anschein zu vermeiden, es handele sich bei den Auslandsübungseinsätzen der Bundeswehr um Angriffskr… äh … Auslandsübungseinsätze (Sie wissen schon, was ich meine).
Verantwortung übernehmen: Das wohl derzeit immer noch in den breiten Schichten der Bundesbürger bekannteste Beispiel dafür ist der immer noch andauernde Auslandsübungseinsatz in Afghanistan. Nachdem also die Kommunisten in Kabul 1978 an die Macht kamen (eindeutige Bestätigung der Domino-Theorie, schließlich war ja erst drei Jahre zuvor trotz der Massakrierung der vietnamesischen Bevölkerung der indochinesische Dominostein auf dem Grand Chessboard an den Iwan gefallen und fiel nur wenige Monate später das immerhin von einem maoistischen – also nicht UdSSR-nahen – Terrorregime regierte Kambodscha ebenfalls an die – vietnamesischen – Kommunisten), befanden die amerikanischen Strategen, den islamistischen Widerstand mit finanzieller und materieller (Waffen-) Unterstützung zum Erfolg zu verhelfen, wodurch sich die Sowjetunion 1986 [Anm. d. Redaktion: Der Einmarsch war im Dezember 1979. Die Ungenauigkeit wurde bemerkt, als der Brief schon in der Post war.] gezwungen sah, die Demokratische Volkspartei mittels einer Invasion wieder die Macht zu sichern, woraufhin die Amis beschlossen, die Mudschaheddin einfach noch mehr aufzurüsten und in ihrem Guerillakrieg gegen die Sowjets zu unterstützen, was die Russen dann auch angesichts ihres zunehmenden Imperial Overstretch dazu bewegte, das Land zu verlassen, allerdings die Situation eines islamistischen, durch (die Amis und) den Anbau von Opium finanzierten Warlord-Regimes, einer Keimzelle des Terrors, eben eines neuen Schurkenstaates zur Folge hatte, der als – Juhu! – islamistischer Gottesstaat nach der Einstellung der Militärhilfe der dann als aufständisch definierten Kommunisten durch Russland 1992 den Westen nicht mehr interessierte, bis dem Herrn Weltoberwachtmeister nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und nach aus der schönsten Stadt der Welt organisierten Terroranschlägen auf die Sinnbilder des Kapitalismus (Twin Towers) sowie des Imperialismus (Pentagon) einfiel, es könnte das Land wieder e pluribus unum machen, wenn es einen gemeinsamen, wenn auch schwer definierbaren und vor allem schwer bekämpfbaren äußeren Feind – nämlich den Terror –, hätte, und dementsprechend 2001 das zuvor erst an die Macht gebrachte Regime wieder stürzte, um seitdem in Afghanistan den Terror zu bekämpfen und (Welcher Idiot hat sich dies eigentlich ausgedacht?) eine pluralistische Demokratie zu errichten.
Kurz zusammengefasst – wir wollen doch nicht vom Thema abschweifen – hat die von den USA geführte atlantische Allianz seit fast vierzig Jahren Schach (mit Domino-Steinen, nur ohne Würfel) in/um Afghanistan gespielt, und wundert sich nun, dass alle Figuren tot sind.
Selbstverständlich beteiligt sich auch die Bundeswehr daran, also sie verschanzt sich in Masar-e-Scharif oder wo auch immer, erschießt ab und zu ein paar Eindringlinge oder greift hin und wieder ein paar Zivilisten an: Bei dem durch *[deutsche Militärs] befohlenen Luftangriff im September 2009 auf einen sich angeblich in der Hand zweier Taliban befindlichen Tanklastwagen wurden über einhundert zivile Personen, darunter einige Kinder, grausam getötet.
Den Angehörigen der Opfer wurde der juristische Anspruch auf Schadensersatz durch den Bundesgerichtshof aberkannt. Zur besseren medialen Darstellung der Bundeswehr ließ man ihnen ein paar Pakete Mehl, Reis und Bohnen zukommen. Die ja auch gar nicht von politischer Motivation geleitete **Bundesanwaltschaft stellte auch das Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechens gegen *[die Verantwortlichen seitens Deutschlands] ein.
Da übernimmt also die Bundeswehr Verantwortung. Sie übernimmt selbstverständlich Verantwortung – deshalb beginge sie ja auch nie Kriegsverbrechen, und wenn doch (aus Versehen), dann ginge sie auch verantwortungsvoll mit den Opfern beziehungsweise deren Hinterbliebenen um, gar keine Frage. Aber wie soll denn die Bundeswehr sich für ein Kriegsverbrechen verantwortlich zeigen, wenn es gar keinen Krieg gab, in dem man ein entsprechendes Verbrechen hätte begehen können? Es handelte sich ja doch nur um einen Auslandsübungseinsatz.
Wie bringt man also Schulkindern bei, was es heißt, verantwortungsvoll zu handeln? Wie bringt man ihnen nahe, dass es aus … Gründen halt manchmal wichtig ist (»wirklich zählt«), in ein anderes Land einzumarschieren, ohne gleich diese drastischen Worte benutzen zu müssen? Wie lege ich einem Kind nahe, dass Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt werden muss, wenn es weder weiß, dass mit Hindukusch ein 5.000 Kilometer entfernter Gebirgszug in Asien gemeint ist, noch den Begriff »Freiheit« kennt? (Was heißt schon Freiheit? Ein siebzig Jahre altes kapitalistisches System?)
Doch Ihre Hybrid-warfare-Experten haben es wahrlich vollbracht, all diese Fragen zu lösen: Man muss sich halt auf die Ebene der Schulkinder herabbegeben. Ihnen nicht im Real Life, sondern in ihrer RTL-II-Reality-Show-Welt begegnen. Nur eben noch besser, noch näher: Eine Webserie! So funktioniert es!
Chapeau! Aufgrund der offensichtlichen Tatsache, dass ich in diesem Brief bereits diese YouTube-Serie – Die Rekruten, ad nominem nominandum – erwähnt habe, ja, ihr sogar vorgeworfen habe, ein wenig die Meinung ihres jungen Publikums, sagen wir mal: zu formen, und die Werbung für die Werbeserie auf dem Werbe-Beilagenzettel in dem Werbe-Infoschreiben in mir wirklich die Neugier geweckt hat – herzlichen Glückwunsch an Ihre PR-Abteilung! –, was das denn für eine Serie sei, habe ich es hinter mich gebracht, die ersten drei Folgen, also den »Tag 1« der Serie anzusehen. Nach einem »Moin, na.« aus dem Hintergrund beginnt ein Jerome Demelius (steht auf Tattoos und Fitness): »Leute, wie Ihr seht, binnich im Zug, ’n bisschen aus ’er Puste; steh hier gerad’ am Bahnhof; will garnix Böses; – Digger! – Du hast Dein Zugticket zuhause, ja? Bin gerennt wie ein Gestörten, viel schnell[er] als süße Boys.«
Das Niveau blieb im Folgenden konstant auf dem des Genossen Demelius – eben ganz der Zielgruppe entsprechend (Warum sollte man denn Schulkindern aus dem intellektuellen Prekariat nicht die Möglichkeit geben, zu träumen, einmal von einer glorreichen eigenen Zukunft zu träumen, als siegreicher Held zur Verteidigung des eigenen Vaterlandes zu sterben? Korrektes Hochdeutsch verunsicherte die Autoschrauber-Kinder doch nur).
Propaganda bezeichnet nach Schubert und Klein »die schriftliche, mündliche und anderweitige, neuerdings auch elektronische (Internet) Verbreitung [von] Überzeugungen, oft in Verbindung mit weiterer persönlicher Überzeugungsarbeit.« Sie sollten sich – und das meine ich ganz ernst und auch ein wenig schockiert – darüber klar werden, dass Ihre Kampagne zur Gewinnung von Schulkindern dieser Definition – und allgemeineren erst recht – entspricht. Trotz alledem muss ich Ihnen auch ein wenig Lob zu gestehen. Ich habe selten so herzlich gelacht, zumal die Sendung auch ganz ehrlich mit politischen Halbkorrektheiten umgeht: So gibt es halt hie und da ein wenig Lob für die Lokation der Ausbildungsstätten und hie und da ein wenig offenen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, so zum Beispiel im sich mit der Einkleidung befassenden Teil 3 des »Tag 1«: »Bist ’n Grieche?« – »Nö.« – »Schau an, ham wir was gemeinsam.«
Ich habe mich wirklich totgelacht; ich könnte mir die Stelle sicher hundertmal ansehen, ohne dass sie dafür an Witz einbüßte.
Wissen Sie was, geehrte Damen und Herren der Bundeswehr? Eigentlich bin ich gar nicht empört über Sie – ganz im Gegenteil: Ich bin wirklich erfreut darüber, dass Sie Germany great again machen.
Ich weiß, dass Sie eine große Verantwortung tragen, die bestehenden Schachpartien weiter zu spielen, und habe erkannt, dass Sie voll und ganz der Verantwortung gerecht werden, gefallene Figuren durch neue zu ersetzen. Damit machen Sie, was wirklich zählt: Lassen Sie uns gemeinsam für eine militarisierte Welt kämpfen, nein, noch besser: diese Welt erobern.
Über eine Einladung zu einem Gespräch oder zu einem Truppenbesuch würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Als Postscriptum sei an dieser Stelle noch ein Zitat angebracht:
»Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen, / so wie sie es mit uns heute immer noch tun. / Und du hast ihnen alles gegeben – deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.« — aus Hannes Wader: Es ist an der Zeit; nach Eric Bogle: No Man’s Land
Post-Postscriptum: Das Abonnement für Infoschreiben der Bundeswehr würde ich gerne abbestellen. Da muss ich wohl versehentlich irgendwo mal im Darknet ein Häkchen zuviel gemacht haben; jedenfalls: ich habe die Botschaft jetzt verstanden. Vielen Dank für Ihre Mühe.
*Hinweis: Name(n) von der Redaktion entfernt.
**Anmerkung: Die politische Motivation der Bundesanwaltschaft im Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechens ist umstritten. So schreibt das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), eine NGO mit Sitz in Berlin:
„Die Einstellung des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft scheint rein politisch motiviert. Strafrechtliche Ermittlungen und möglicherweise Anklagen gegen Bundeswehrsoldaten sind in der aktuellen Afghanistandebatte um eine neue Strategie und einen möglichen Truppenabzug nicht gewünscht. Zudem soll offensichtlich ein Präzedenzfall im Umgang mit strafrechtlich relevantem Verhalten deutscher Soldaten in Auslandseinsätzen geschaffen werden.“