Am Sonntag, dem 4. Dezember, fand im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin die Vorführung des Dokumentarfilms „Tupac Amaru – Etwas verändert sich“ statt. Das Event wurde von Argentinos para la Victoria-Provincia 25, dem Colectivo Argentinos en Alemania sowie weiteren Gruppierungen und in Zusammenarbeit mit Pressenza organisiert.
Der 65-minütige Dokumentarfilm von Magalí Buj und Federico Palumbo porträtiert eindrucksvoll die soziale Bürgerbewegung Tupac Amaru in Argentinien, die in ihrem über zehnjährigen Bestehen tausenden von Menschen half, eine besseres und würdigeres Leben zu führen. Aus eigener Initiative heraus schufen sie Arbeitsplätze und bauten Häuser, Fabriken, Schulen sowie Sport- und Gesundheitszentren. Die Verbesserungen der Lebensbedingungen, die so in den letzten Jahren erreicht wurden, drohen nun, wieder zerstört zu werden.
Seit 16. Januar diesen Jahres ist Milagro Sala, Gründerin und Leiterin von Tupac Amaru sowie Abgeordnete des Parlasur, zusammen mit anderen Mitgliedern der sozialen Bewegung unrechtmäßig inhaftiert. Trotz Appellen von Amnesty International und einer Resolution der Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen der Vereinten Nationen bleibt sie bis auf weiteres die erste politische Gefangene der neuen neoliberalen Regierung, die seit Herbst 2015 im Amt ist.
Nach der Vorführung des Films, der in spanischer Originalsprache mit deutschen Untertiteln gezeigt wurde, fand eine Skype-Konferenz mit Milagro Salas Rechtsanwältin Elizabeth Gomez Alcorta in Argentinien statt. Sie lieferte wertvolle Hintergrundinformationen und erörterte die aktuelle juristische und politische Lage; auch Fragen aus dem Publikum wurden beantwortet:
Tupac Amaru entstand in der Provinz Jujuy, die inzwischen vom Junior-Koalitionspartner, der Unión Cívica Radical unter Gerardo Morales, regiert wird. Zusammen mit der konservativen Partei von Mauricio Macri bilden sie die neue Regierung, unter der es bereits zu mehreren Fällen von Unterdrückung sozialer Bewegungen kam. Dies ist Ausdruck einer besorgniserregenden Entwicklung, die nicht nur in Argentinien, sondern auch in anderen Teilen Lateinamerika stattfindet. Neben zahlreichen Protesten im ganzen Land gibt es nun auch die Initiative „Weihnachten ohne politische Gefangene“, einem Motto, das aus den Jahren der Militärdiktatur stammt. Die aktuellen Ereignisse in Argentinien erinnern stark an diese dunkle Zeit.
Der Protest richtet sich hauptsächlich gegen die unrechtmäßige Inhaftierung. Sowohl die Resolution der UN-Arbeitsgruppe, als auch die Organisation Amerikanischer Staaten bezeichneten die Inhaftierung als illegal und forderten die argentinische Regierung auf, Milagro Sala freizulassen. Der kanadische Premierminister Trudeau hatte kürzlich bei seinem Besuch in der argentinischen Hauptstadt die Freilassung von Milagro Sala offen angesprochen und somit den internationalen Druck noch weiter erhöht. In Folge sind sechs Personen, darunter Salas Lebenspartner, freigelassen worden. Sie selber und weitere 7 Personen der Bewegung sind weiterhin in Haft.
Nach zahlreichen konstruierten Anschuldigungen soll jetzt endlich ein rechtlicher Prozess in Gang kommen, bei dem sie nun wegen „Anstiftung zu Protesten gegen den Gouverneur Morales“ angeklagt werden. Die Tupaqueros hatten mit einem Protestlager vor dem Regierungsgebäude in Jujuy friedlich demonstriert und um einen konstruktiven Dialog mit dem neuen Gouverneur gebeten.
Die erste gerichtliche Anhörung soll am 15. Dezember stattfinden. Angesichts der Tatsache, dass die Haft rechtlich gesehen unhaltbar ist, erwartet man, das noch vor Weihnachten Bewegung in die Sache kommt. In Argentinien haben sich 50 Komitees zur Befreiung Milagro Salas gebildet, im Ausland 9 weitere, darunter auch das italienische Comitato per la Liberazione di Milagro Sala, das das Event in Berlin mit unterstützt hat.
Tupac Amaru existiert in 16 weiteren Provinzen Argentiniens, die dort aufgebauten Strukturen funktionieren zwar noch, in Jujuy hingegen haben sie bereits großen Schaden genommen. Die Kooperativen und Fabriken sind lahmgelegt, die Schulen und Gesundheitszentren können nur noch mit Mühe und Not aufrecht erhalten werden. Man versucht, durchzuhalten; laut Elizabeth Gomez Alcorta sind Milagro Sala und die anderen Inhaftierten den Umständen entsprechend in guter moralischer Verfassung.
Obwohl nun endlich eine juristische Aufarbeitung stattfinden soll, fehlt bis jetzt noch jegliche Auseinandersetzung auf politischer Seite. Stattdessen wurde von den zwei beherrschenden Medienkonglomeraten eine regelrechte Hetzkampagne gegen Milagro Sala und Tupac Amaru in Gang gesetzt, bei der sie in äußerst negativer und verleumderischer Weise dargestellt wurden. So verwundert es auch nicht, dass der professionell produzierte Dokumentarfilm, der in Zusammenarbeit mit dem nationalen Institut für audiovisuelle Künste entstand, bis jetzt nur im kleinen Kreis im Umfeld der Komitees und von Filmfestivals gezeigt wurde.
Nun soll ein weiterer Dokumentarfilm entstehen, der die aktuelle Situation aufzeigen will. Das neue Projekt wurde am Schluss der Veranstaltung vorgestellt. Es sieht unter anderem auch ein Interview mit Milagro Sala im Frauengefängnis der Provinz Jujuy vor. Auf der Webseite Welcome to the Cantri gibt es weitere interessante Hintergrundinformationen dazu sowie eine Crowdfunding-Kampagne, um die Finanzierung des Dokumentarfilms zu unterstützen.
Das auf Basisdemokratie und Gleichberechtigung basierende soziale Modell, das Tupac Amaru in Argentinien geschaffen hat, ist ein Beispiel dafür, dass Armut durch Solidarität und Zusammenarbeit erfolgreich bekämpft werden kann. Angesichts der Tatsache, dass auch in der Europäischen Union inzwischen fast 24% der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, ist die Geschichte von Tupac Amaru heute aktueller und relevanter als je zuvor.
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Einige Impressionen des Events vom 4. Dezember in Berlin: