Vertreter von 30 Mitgliedsparteien der Europäischen Linken (EL) und 100 lateinamerikanischen Parteien aus dem Umfeld des Foro de São Paulo versammelten sich am am 14. und 15. Dezember im Berliner ND-Gebäude. Beim letzten Treffen des Foro de São Paulo in El Salvador im Juni 2016 wurde das Programm dieses Seminars definiert, das ein Forum für Austauch einer breiten Linken über zwei Kontinente hinweg ermöglichen sollte.
Die nicaraguanische Botschafterin Karla Beteta überbrachte den Botschaftergruß der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerika (ALBA), wohl weil das nächste Seminar in Managua Mitte 2017 stattfinden wird. Der frühere Finanzminister Venezuelas, Rodrigo Cabezas, bereicherte die Sitzung im Münzenbergsaal mit Analysen zur Finanzialisierung des Kapitalismus und Forschungsergebnissen zu dessen gegenwärtigen Überakkumulationskrise.
Zur geostrategische Ausrichtung wurde betont, dass die NATO umgebaut werden müsse zu einem Moskau einschließenden Sicherheitsbündnis – wie dies realisierbar wäre, angesichts der Kräfteverhältnisse innerhalb des von den USA geleteiteten Kriegsbündnisses, blieb allerdings offen. Der scheidende EL-Vorsitzende Pierre Laurent bezeichnete zudem Kiew als außerhalb Europas gelegen, womit er die offizielle Rhetorik übernahm, nach der die EU mit Europa gleichzusetzen sei, um ihre Sakralisierung durch die hegemonialen Medien abzurunden. Hans Modrow korrigierte diese europhile Volte Laurents in seinem Beitrag.
Monica Valente, die Vorsitzende des Foro de São Paulo, und Obey Ament von der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) hoben hervor, dass wir von dem Ethikpakt der ecuadorianischen Regierung lernen sollten: der Präsident Ecuadors, Rafael Correa, erließ einen Volksentscheid, welcher im Februar 2017 gleichzeitig mit den Wahlen stattfinden wird und der es allen Amtsträgern verbieten wird, Aktiva in Steuerparadiese zu besitzen. So eine konkrete Maßnahme ist auch in der BRD sofort umsetzbar und sollte von uns übernommen und unterstützt werden. Dies wäre ein erster Schritt auch hier im induastrialisierten Norden, um die Steueroasen auszutrocknen!
Der neoliberale Konstitutionalismus (EU-Verträge seit 1957) wurde oberflächlich kritisiert. So wurde drei Stunden über den Stand der Integration in Europa und Lateinamerika debattiert, aber die Hinweise auf ALBA, Bank des Südens und SUCRE kamen im Abschlusspanel, als die Ergebnisse aller Debatten vorgestellt wurden, kaum noch vor. Dafür wurde auf das historische Projekt von Simón Bolívar der Patria Grande rekurriert und seinen Impuls zur lateinamerikanischen Einheit betont. Einig war man sich, dass das Handelsbündnis Mercosur, das auf einem relativ niedrigen Integrationsniveau stagnierte, nun definitiv von Deintegration bedroht ist, nachdem Venezuela herauskomplimentiert wurde – eine von den neoliberalen Eliten, welche Träger der gegenwärtigen konservativen Restauration in Südamerika sind, hervorgebrachte Eskalation, vergleichbar mit der Schäuble-Drohung des Grexit von Anfang Juli 2015.
Der Kuba-Solidaritätsaktivist Harry Grünberg rät auch für Europa multiklassistische Bündnisse: Eine „antimonopolistische Allianz“ wie sie in vielen ALBA-Ländern besteht, mit Hilfe mittlerer und kleinerer Unternehmen. Er hob hervor, dass gegen die US-Hegemonie weltweit nur ein breites Bündnis, eine Volksfrontpolitik auf nationaler Ebene, auch in Europa, unverzichtbar sei. Als kleinsten gemeinsamen Nenner für zukünftige Bündnisstrategien bezeichneten die Seminarteilnehmer den Kampf für Frieden und soziale Wohlfahrt. Eine mexikanische Teilnehmerin von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) beanstandete, dass zu wenig Raum für Diskussion und Austausch blieb.
Geschichte der europäischen Integration schöngefärbt
Wie bei diesem Seminar so herrschte auch schon bei der diesjährigen Sommeruniversität der EL in Chianciano, Toskana, im Juli dieses Jahres die Chimäre vor, die EU sei im Grunde aus einer internationalistischen Idee erwachsen und dann seit Maastricht vom rechten Weg abgekommen. Sicherlich gab es das antifaschistisch-fortschrittliche Manifest von Ventotene. Doch die Geschichte des real existierenden „europäischen Hauses“ baut auf den Großindustrieabsprachen der Zwischenrkiegszeit, insbesondere dem Stahlkartell unter deutscher Führung, sowie auf erste Ansätze eines deutschen Europas im Zweiten Weltkrieg auf.
Europäische Integration unter deutschem Vorzeichen
Die umstrittenen Gründerväter der europäischen Integration sprechen für sich: Zunächst Robert Schuman, Vordenker der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), war 1940 im ersten Kabinett von Maréchal Pétain vertreten.
Und auch gern zitierte liberale „Vater Europas“ Jean Monnet, der vor seiner Rückkehr nach Frankreich Mitte der 1940er Jahre lange Zeit für US-Banken gearbeitet hatte und auch für die USA de Gaulles Umfeld um 1945 herum ausspionierte.
Es ist ein Trugbild, dass die EU zu Beginn eine progressiv-linke Idee gewesen sei. Ihre großindustriell-banquierlastige Geschichte wird in Brüssel bewusst verschwiegen. Dies haben mittlerweile auch Wissenschaftler eingestanden, die in der Beilage von Das Parlament publizieren:
„So hat Brüssel sich an seine eigene Geschichte kaum näher herangetraut als durch Kurzdarstellungen in Informationsbroschüren, die eher die hehren Ideale und aktuelle Integrationsergebnisse in den Vordergrund rückten“
(APuZ v. 21.12.15, Wim van Meurs, „Europa und die Eule der Minerva. Retrospektive und Krisennarrative der europäischen Integration“).
Wie aus Pariser Archiven hervorgeht, forderten Repräsentanten der französischen Eliten bereits 1941 bei einer Unterredung mit dem Vorsitzenden der Bank Société Générale in der Botschaft des Deutschen Reichs in Paris einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt mit einer einheitlichen Währung!
Wenn man manchen Brüsseler Illusionskünstler des angesichts der Unterstützung Kiews und anderer reaktionärer Regime abstrus werdenden EU-Demokratismus anhört, wirkt es geradeso, als hätte sich eine Bankiersgeschichte in eine Geschichte der reinen Wohltätigkeit verwandelt.
Passend zu dieser postnationalen Schönfärbung der real existierenden europäischen Integration wählte die EL im Anschluss an dieses Seminar Gregor Gysi, der laut WikiLeaks dem US-Botschafter in Berlin ein baldiges Abfallen seiner Partei vom Anti-NATO-Kurs in Aussicht gestellt hatte, zu ihrem neuen Vorsitzenden.