Der Schweizer Autor und Publizist JürgmeierArbeitet heute als Schriftsteller, Redaktor «Infosperber» und Erwachsenenbildner. Letzte Publikationen: Der Mann, dem die Welt zu gross wurde. Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss. «Tatort», Fussball und andere Gendereien. Diesen Herbst erscheint sein Essay «Die Schule ist nicht zum Lernen da oder Lernen verhandeln» in: Lernen ist meine Sache, hep verlag. Im Interview mit ihm geht es vor allem rund um den Dialog und deren Hindernisse, u.a. mit Einbeziehung des Gender-Diskurses.
Milena Rampoldi: Sie sehen eine Dialektik zwischen der Tat (als männlichem Drang zur Gewalt) und dem Wort als positive Alternative dazu. Wie kamen Sie zu diesem Projekt und wie wichtig ist es in unserer schwierigen Zeit des Militarismus und des Terrors?
Jürgmeier: Ich glaube nicht, dass es einen männlichen «Drang» zur Gewalt gibt; es ist vielmehr das Konzept «Mann», das den real existierenden Männern tendenziell Gewalt abverlangt, das heisst: Gewalt macht «Männer». Weil Gewalt die Welt in «meine Welt» verwandelt und denen, die zum Zauberstab der Gewalt greifen, die Illusion verschafft, alles unter Kontrolle zu haben. Was zentraler Bestandteil von Männlichkeitskonstruktionen ist. Es ist ja so, dass auch Frauen Gewalt ausüben, aber Gewalt macht Frauen nicht zu «Frauen».
Das Wort steht u.a. für den Versuch, auf Gewalt in einer nicht gewalttätigen Form zu antworten, das heisst die Handlungsoptionen zu erweitern, zum Beispiel durch Verhandeln. Das gilt auch in der so genannten Zeit des Terrorismus – die, übrigens, zumindest in Europa, trotzdem eine äusserst friedliche Zeit ist –, denn wer den Terror mit Gewalt beziehungsweise mit Kriegserklärungen bekämpft, setzt die Logik der Gewalt und des Terrors fort. Die Gewaltfreien lächerlich zu machen, «Wort»-Menschen als Feiglinge zu diskreditieren, die nicht handelten, verengt die Optionen auf Nicht-Handeln und Handeln=Gewalt. Aber das ist eine Form der Kapitulation vor der Logik der Gewalt.
Das Wort steht auch für den utopischen Versuch, die Optionen zu erweitern, der Gewalt in einer anderen Form, das heisst gewaltfrei zu begegnen; zum anderen ist das Wort möglicherweise auch die einzige Option derer, die nicht die Möglichkeit zur Gewalt haben – weil ihnen die Waffen fehlen, weil sie physisch nicht stark genug sind.
Am Ende bleiben wir immer im Paradox stecken, dass Gewalt mit Gewalt nicht zu beenden ist, aber die Gewaltlosigkeit die Opfer der Gewalt auch nicht wirklich zu schützen vermag. Siehe das bekannte Dilemma zwischen «Nie wieder Krieg» und «Nie wieder Auschwitz».
«Worte statt Taten.» Solange Menschen reden (und zuhören) wird nicht geschossen. Das ist genau auch das Prinzip von ProMosaik. Welches sind die Haupthindernisse? Welches sind Strategien, um eine Kultur des Dialogs aufzubauen?
Der Griff zum Zauberstab der Gewalt, ist der Versuch, die Angst, die Ohnmacht, die Trauer zu beseitigen. Das bedeutet umgekehrt, dass die Unfähigkeit zur Trauer, zur Ohnmacht und zur Angst – die vor allem für das Konzept «Mann» konstitutiv, dem sich aber auch Frauen unterwerfen können – uns daran hindert, gewaltfrei zu handeln, weil die Gewaltfreiheit, zumindest scheinbar, nichts gegen die Gewalt zu bewirken vermag. Aber am Ende bleibt immer nur das Reden, das Verhandeln, nach jedem Krieg, am Ende jeder Terrorserie.
Die interessante Frage ist, ob es gelingen könnte, schon im Vorfeld realer Gewalt (am besten ganz früh in menschlichen Leben) andere Formen der Konfliktlösung zu entwickeln, die, vermutlich, meist mit Kommunikation, Dialog usw. zu tun hätten. Wo das Gespräch nicht abgebrochen wird, ist kein Platz für Gewalt. Gewaltfreiheit ist der utopische und immer wieder zu wagende Versuch, wider jede Erfahrung, zu allen Menschen in eine Beziehung zu treten und gewaltfreie Kommunikationsformen beziehungsweise Konfliktlösungen zu entwickeln.
Wie können wir als Autoren und Journalisten dazu beitragen, dass Menschen soziopolitisch handeln und an der Förderung einer multikulturellen Gesellschaft ohne jegliche Form von Diskriminierung beitragen?
Autor*innen und Journalist*innen können in erster Linie durch ihre Art des Schreibens mithelfen, dass Vorurteile überwunden werden beziehungsweise erst gar nicht entstehen, dass Menschen nicht zu Feind*innen gemacht werden, dass Kollektiven keine (rassistischen) Stereotype zugeschrieben werden usw. Der Gewalt geht im Allgemeinen eine sprachliche Vorbereitung voraus, durch die jene, denen später Gewalt angetan wird, in gewisser Weise «ent-menschlicht» werden, so dass ihre Ausgrenzung oder Ermordung als legitim erscheint. Im Extremfall: Die Beseitigung von «Läusen» ist eine Frage der «Hygiene»; wenn Menschen Menschen und ihre Beseitigung Mord genannt wird, dann ist den meisten das Morden unmöglich.
Flüchtlingskrise: Grosszügigkeit als Lösung. Wie lassen sich hier Strategien finden, damit die Flüchtlingskrise nicht den Rechtsradikalen zugutekommt?
Die Vorstellung der Lösung ist schon Teil des Problems. Die Flüchtlingsfrage kann nicht einfach so gelöst werden, dafür müsste die Welt eine andere werden als sie ist. Also werden wir vorderhand immer mit unlösbaren Situationen konfrontiert sein. Wobei es für die meisten von uns die Situation anderer ist, die nicht gelöst werden kann. So paradox und beklemmend es ist, Grundlage eines respektvolleren Umgangs mit Flüchtlingen ist das Eingeständnis, dass «wir» nicht allen helfen können, die ein Recht auf Hilfe hätten. Die unsägliche Formel «Wir helfen allen, die es nötig haben» führt dazu, dass die Mehrheit Flüchtender und Not leidender Menschen als «unechte» Flüchtlinge, die nur ein «besseres Leben» wollten, diffamiert werden. Denn nur so ist die Formel «Wir helfen allen, die es nötig haben» einzulösen. Das aber bedeutet – wir helfen diesen Menschen nicht nur nicht, sondern wir treten sie auch noch mit Füssen. Aber eine Lösung ist das für die Betroffenen natürlich noch lange nicht. Eine «Lösung» zu skizzieren, übersteigt meine Möglichkeiten, und vieles ist schon gesagt. Im Kampf gegen den Rechtsradikalismus müssen wir uns und anderen eine Welt zumuten, die so komplex ist wie unsere Realitäten, in der es keine einfachen Lösungen gibt, was vor allem für die direkt Betroffenen, nicht für uns, beunruhigend und beängstigend ist.
Im folgenden Werk von Jürgmeier findet sich ein grösseres Kapitel über Gewalt und Geschlecht:
Jürgmeier/Helen Hürlimann: «Tatort», Fussball und andere Gendereien – Materialien zur Einübung des Genderblicks. Luzern/Zürich: Verlag Interact/Verlag Pestalozzianum. 2008.
Link auf die Website des Autors: http://www.wort.ch/Tatort.html
Schweizer Autor und Publizist Jürgmeier: *1951, Studien in Psychologie, Soziologie, Pädagogik. MAS Cultural & Gender Studies. Seit über 40 Jahren in publizistischen, soziokulturellen und Bildungszusammenhängen tätig, u.a. bei Radio DRS (heute SRF), an einer Höheren Fachschule (heute FH) im Sozialbereich und an einer Berufsfachschule, u.a. als Lehrer/Leiter Allgemeinbildung.