Palästina, Westjordanland. Mein Aufenthalt in dieser Gegend öffnete mir die Augen für die Realität, nicht nur im Bezug auf die unterschiedliche Gesundheitsversorgung zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, sondern auch durch meine zahlreichen Begegnungen mit Männern und Frauen, die im medizinischen Bereich tätig sind. Die militärischen Kontrollen in den Gebieten zwischen Ramallah, Hebron und Jenin führen auch oft zu Zwischenfällen in den Krankenhäusern, wodurch Ärzte und Krankenpflegepersonal an der Ausübung ihrer medizinischen Aufgaben gegenüber der Bevölkerung gehindert werden.
Durch dieses mit Mohammad geführte Interview, einem gynäkologischen Arzt im Krankenhaus von Jericho, möchte ich seine Erfahrungen und seine Ratlosigkeit im Bezug auf seinen Beruf angesichts der militärischen Belagerung wiedergeben.
Mohammed wurde 1967 in Ramallah als Sohn einer Flüchtlingsfamilie geboren, die während der Nakba 1948 ihres Landes beraubt wurde. Wie so oft in dieser Gegend wurden damals viele Familien auseinander gerissen; sie mussten sich eine neue Existenz zwischen Unterdrückung und Armut anderswo aufzubauen, verloren die wenigen Reichtümer, die sie hatten und überlebten nur durch das Festhalten an den eigenen Wurzeln. Mohammed wuchs in einer großen Familie mit zwölf Kindern in Saudi-Arabien auf, so wie der Großteil der Palästinenser.
Was hat Dich dazu bewogen, den Beruf des Arztes zu ergreifen?
Ich entschied mich für diese Fakultät, weil sie durch europäische Schulen viele Möglichkeiten eröffnete; es waren andere Zeiten, für einen Studenten war es damals viel leichter, nach Italien oder Frankreich einzureisen. In Palästina ist die Aufnahme an die Universität eng mit dem Gymnasium verbunden, das man besucht hat, nur wer sein Abitur in Wissenschaften gemacht hat, kann sich auf einer medizinischen Fakultät einschreiben. Das beinhaltet auch eine eingeschränkte Berufswahl für die Zukunft, ich hatte also nur wenig Auswahl und entschied mich so, diesen Weg zu gehen.
Nachdem Du Dein Diplom in Perugia gemacht hattest, was hat Dich dazu bewogen, nach Palästina zurückzukehren?
Seit unserer Kindheit an tragen wir unsere Vergangenheit in uns, der Kampf und der Wille für Gerechtigkeit. Ich kam also in Italien bereits mit dem Bewusstsein an, in einer nicht allzu fernen Zukunft zurückzukehren, um meinen Leuten helfen zu können. Ich dachte schon erst einmal daran, zu bleiben, aber etwas zog mich zurück, wie ein Ruf meiner Heimat. Ohne sie wäre mein Leben kein glückliches. Ich blieb für 5 Jahre in Italien, die längsten meines Lebens. Ich konnte in der Zeit nie zurückkehren, denn man weiß nie, ob das Visum nicht eingezogen wird, wenn die Grenze erst einmal passiert hat, und ob man überhaupt wieder zurück kann, um sein Studium zu Ende zu führen. Sobald ich mein Diplom hatte, verstand ich, dass ich nichts mehr zu verlieren hatten, nahm mein Visum, Pass und Taschen und kehrte nach Palästina zurück, in dem Wissen, dass ich für immer dort bleiben würde.
Ist es ein großer Unterschied, Arzt in Palästina oder Europa zu sein?
Absolut, von den fundamentalen Menschenrechten gar nicht zu sprechen, sind schon alleine die Technik und Gerätschaften in den Krankenhäusern, die uns im täglichen Ablauf zur Verfügung stehen, anders. Zum Beispiel kann ich Dir sagen, dass die Laparoskopie bei uns erst seit fünf Jahren durchgeführt wird. Es fehlen Strukturen, Geräte und Medikamente, auch Generika. Oft ist unsere größte Schwierigkeit die Heilung von Krebs, wir haben keinen freien Zugang zu Chemotherapie. Aber nicht nur das, in Palästina gibt es überall Militärkontrollen, wenn bei mir ein dringender Anruf von einem Patienten eingeht, kann ich manchmal nicht antworten, denn wenn ich die Hand in die Nähe meiner Tasche bewege, riskiere ich, getötet zu werden. Deshalb passiert es auch, dass sich Patientenbesuche um mehrere Stunden verzögern. Wenn man auf der Straße aufgehalten wird, weiß man nie, wie lange es dauert, bis man wieder freigegeben wird. Ich bin ein Arzt, der in einem Land des Terrors für das Leben arbeitet. Aber ich glaube an das Leben und ich werde auch weiterhin Kinder zur Welt bringen, denn das ist meine Mission.
Was sind die größten Schwierigkeiten in der Beschaffung von Medikamenten?
Unüberwindbare Schwierigkeiten begegnen uns oft im Bereich der chemotherapeutischen Medikamente. Wir sehen uns gezwungen, auf den Bestand von anderen Krankenhäusern zurückgreifen zu müssen, und so auch leider oft Kranke für bestimmte Zeit ohne Versorgung lassen zu müssen.
Was passiert, wenn in Ländern wie Italien Medikamente gesammelt und in die dritte Welt geschickt werden?
Ich erzähle Dir meine Erfahrung und die der anderen palästinensischen Ärzte zu diesem Thema, Danke dafür, dass Du es anschneidest. Ja, die Medikamente kurz vor Verfallsdatum, die Ihr sammelt, kommen tatsächlich in diesen Gebieten an, aber leider kommt es oft vor, dass ein Medikament, dass noch sechs Monate zu gebrauchen wäre, beim Zoll an der Grenze für lange Zeit hängen bleibt. Wenn sie dann endlich ankommen, sind diese Medikamente oft nicht mehr brauchbar, da sie aufgrund der von der israelischen Regierung angeordneten langen Lagerung inzwischen abgelaufen sind. Wir sehen uns deshalb einer Situation gegenüber, die außerhalb unserer Kontrolle liegt.
Gibt es Schikanen des medizinischen Personals seitens der israelischen Regierung?
Ja, wir werden andauernd bedroht. Oft, wenn eine Verletzer in unser Krankenhaus kommt, haben wir Maschinengewehre des Militärs auf uns gerichtet, die uns daran hindern, intervenieren zu können, und wenn wir es doch tun, erschießen sie uns. Manchmal werden auch Ärzte und Krankenschwestern getrennt und aus den Korridoren entfernt, so dass wir aus der Entfernung mit ansehen müssen, wie Menschen auf dem Boden an ihren Wunden verbluten, und leider kommt das nicht selten vor. Als Ärzte sind wir angreifbar, wir haben auf rechtlicher Ebene keinen Schutz, wenn wir nur den kleinsten Fehler begehen, werden wir ohne Prozess eingesperrt. Wir haben diesen Beruf gewählt, um Menschen zu retten, aber leider müssen wir uns oft selber retten.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter