Bei dem von Oberst Klein am 4.9.2009 befohlenen Bombardement auf 2 Tanklastzüge in der Nähe von Kunduz waren weit über 100 Unbeteiligte, darunter zahlreiche Kinder, ums Leben gekommen. Die Bundesregierung hatte zwar anfangs zugesagt, die Opfer rasch angemessen zu entschädigen, rückte davon aber bald wieder ab. So blieb den Opfern nur der Klageweg zu den deutschen Zivilgerichten.
Die Verfahren ruhen großenteils beim Landgericht Bonn; nur ein Verfahren ging durch die Instanzen. Das Landgericht Bonn hielt die auf das deutsche Amtshaftungsrecht gestützte Klage für zulässig und prüfte demgemäß, ob Oberst Klein das Kriegsvölkerrecht nach den Genfer Konventionen von 1949 eingehalten hatte, das die Tötung Unbeteiligter bei militärischen Aktionen möglichst ausschließen will. Auch das OLG Köln sah kein Problem in der Berufung auf die Amtshaftung. Die beiden Gerichte kamen zum Ergebnis, dass ein Verstoß zumindest nicht nachgewiesen werden könne. Nach der von Oberst Klein vorgenommenen Aufklärung habe er zu Recht annehmen dürfen, dass es sich bei den ums Leben gekommenen Zivilisten um bewaffnete Kämpfer gehandelt habe. Dagegen richtete sich die Revision mit der Rüge, die Beweismittel seien nicht ausgeschöpft worden.
Das Revisionsurteil des 3. Zivilsenats von gestern lehnt nun den Schadensersatzanspruch der Kläger grundsätzlich ab. Das deutsche Amtshaftungsrecht sei auf bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht anwendbar. Das OLG Köln hatte im vergleichbaren Fall Varvarin im Jahr 2005 en Standpunkt eingenommen, dass der Ausschluss des Amtshaftungsrechts regelmäßig bedeute, jeglichen Anspruch des einzelnen Opfers für jedes noch so schwerwiegende unrechtmäßige staatliche Handeln zu verneinen. Damit bliebe die Verletzung sanktionslos. Die moderne Völkerrechtsauffassung sieht es ähnlich: auch im bewaffneten Konflikt gebe es keinen rechtsfreien Raum, wie sich an den Genfer Konventionen von 1949 und ihren Zusatzprotokollen zeige.
Der 3. Zivilsenat des BGH war bereits mit den ähnlichen Fällen Distomo und Varvarin befasst. Im Falle Distomo war die Anwendung des deutschen Amtshaftungsrechts verneint worden, weil zur Zeit des Vorfalls im Jahr 1944 mit Griechenland für diese Fälle keine Gegenseitigkeit vereinbart gewesen sei. Eine entsprechende gesetzliche Regelung sei in Griechenland erst nach dem Krieg getroffen worden. Im Fall Varvarin konnte der Senat die Frage, ob unter der Werteorientierung des Grundgesetzes die Amtshaftung auch für das Handeln von Soldaten in Auslandseinsätzen gelte, offenlassen, weil die Zurechnung des Bombardements zur Bundeswehr verneint worden war. Jetzt war es zu entscheiden – leider nicht im Sinne der Opfer von Kriegsverbrechen. Bereits der IGH hatte mit seiner Entscheidung im Fall Distomo, indem er die Vollstreckung der italienischen Gerichtsentscheidungen in deutsches Staatsvermögen in Italien untersagte, der modernen Auffassung widersprochen. Jetzt stoppt mit der Kunduz-Entscheidung auch der BGH diese Entwicklung im Sinne der Staatenimmunität.
IALANA sieht die Entwicklung mit Sorge. Oberst Klein ist nicht verurteilt oder auch nur gemaßregelt worden für den schrecklichen Angriff in Kunduz – er wurde stattdessen befördert. Mehrere NATO- Staaten haben in den letzten Jahren Versuche unternommen, die gerichtliche Überprüfung der Handlungen ihrer Soldaten bei Auslandseinsätzen auszuschließen oder zumindest zu erschweren. Zu nennen sind die Maßnahmen der USA, finanzielle oder militärische Unterstützung abhängig zu machen von Verträgen, durch die ihre Soldaten der lokalen Gerichtsbarkeit entzogen werden. Auch in Frankreich und Großbritannien sind Maßnahmen getroffen worden oder im Gang, die Strafverfolgung ihrer Soldaten einzuschränken oder zu erschweren. In jüngster Zeit hat die Türkei Ermittlungen gegen Kommandeure und Soldaten des Generalstabs abhängig gemacht vom Einverständnis des Ministerpräsidenten; Verfahren sollen nur noch vor Militärgerichten verhandelt werden. In diesem Zusammenhang ist auch das unerbittliche Vorgehen gegen Whistleblower wie C. Manning zu nennen, die Kriegsverbrechen offenbart haben, die bis dahin verheimlicht worden waren.
IALANA setzt sich dafür ein, dass solche Versuche, rechtsfreie Räume zu schaffen, zurückgedrängt werden, und die zivilen Opfer militärischer Auslandseinsätze einen eigenständigen Anspruch auf Schadensersatz erhalten, dem nicht der Grundsatz der Staatenimmunität entgegen gehalten werden kann. Allerdings könnten die afghanischen Opfer ihre Schadenersatzansprüche vor deutschen Gerichten durchaus geltend machen – wenn die mit uns verbündete afghanische Regierung nur ein entsprechendes Abkommen mit der Bundesregierung abschließen würde. Das bleibt jetzt zu fordern.
Das Urteil des BGH führt im Übrigen auch zur Begründung rein politische Gesichtspunkte an, weshalb so habe entschieden werden müssen: es könnten sonst (durch Entschädigung für Kriegsverbrechen?) „die von Verfassungs- wegen geforderte Bündnisfähigkeit Deutschlands und des außenpolitischen Gestaltungsspielraums“ beeinträchtigt werden. Neue Macht – neue Verantwortung! Der Bundesgerichtshof hat es vernommen.