“In vielfacher Weise ist die Welt, in der wir leben ungerecht und unmenschlich, speziell für junge Menschen. Unser soziales Modell gründet auf grenzenlosem Wachstum, dem umfassenden Gebrauch der natürlichen Ressourcen, der Dominanz des Kapitals, von Herrschaftsstrukturen, Patriarchat, Konkurrenz, Gewalt, Konfrontation, Konflikt und Krieg. Kapitalismus und Militarismus verstärken sich gegenseitig und zerstören dabei die Lebensgrundlage aller Lebewesen.“ Damit beginnt der Entwurf einer Erklärung zu Demilitarisierung und Jugend, welcher in ersten Vorbereitungstreffen für das Youth Gathering (Jugendprogramm) des Abrüstungskongresses, der Ende September in Berlin anfängt, entstanden ist.
Frieden finanzieren statt Krieg
Der internationale Kongress, initiiert vom International Peace Bureau (IPB), möchte inmitten von weltweiter Aufrüstung, NATO-Übungen in Osteuropa, Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine, um nur einige Konfliktherde zu nennen, ein starkes, wissenschaftlich begründetes, rationales, aber auch bewegendes Zeichen für die Abrüstung und ein Klima des Friedens setzen. Tenor ist, durch Waffengewalt werden wir unsere Probleme nicht lösen. Die immensen Gelder (weltweit 1,7 Billiarden US$ im Jahr 2015), ausgegeben für Krieg und Kriegsgüter, steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Stattdessen sollte man Frieden in zumindest annäherndem Maße finanzieren, ökonomische Unterstützungsprogramme, kluge Projekte zur Mediation, Gewaltüberwindung und Versöhnung und viele andere, bereits entwickelte und erprobte Konzepte zur Konfliktbewältigung.
„Das besondere an dem Kongress“, sagt Lucas Wirl, der das Youth Gathering organisiert, „ist, dass er nicht nur Analysen gibt und Kritik übt, sondern dass wir auch einen gangbaren Weg aufweisen wollen, den wir mit allen gesellschaftlichen Bereichen diskutieren.“ So zählen internationale Gewerkschaften, Ökonomen, Umweltverbände und Vertreter verschiedener Religionen zu den Unterstützern und Teilnehmern des Kongresses. Zusätzlich diskutieren Wissenschaftler, die sich mit Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen, Experten zu Rüstungsfragen und Friedens- und Abrüstungsaktivisten.
Die Jugend ist in besonderer Weise Zielgruppe des Militärs
„Junge Menschen sind in besondere Weise von den militärischen Entwicklungen in der Welt betroffen“, sagt Wirl. Sie seien Zielgruppe zur Anwerbung von terroristischen Gruppierungen, aber auch von nationalen Armeen. Die Bundeswehr dringe immer intensiver in Schulen und Jugendbereiche vor, mache verlockende Angebote und suggeriere den jungen Menschen damit eine Sicherheit für ihre Zukunft, die im Widerspruch zu der hohen Wahrscheinlichkeit des Einsatzes in einem Krieg stehe. „Dem müssen wir etwas entgegensetzen“, so Wirl.
„Aber eine Diskussion, die wir führen werden müssen am Kongress, ist die Kritik am kapitalistischen System, welches die Vorbereitenden als eng verflochten sehen mit dem Militarismus. Der Konsum, die ungleichen Chancen, der Konkurrenzkampf: viele junge Menschen sagen, da stimmt doch etwas nicht.“ Einer hätte in den Vorbereitungen gesagt, die Regierenden seien verpflichtet, den jungen Menschen die Werkzeuge bereitzustellen, um die Welt zu gestalten: „Junge Menschen müssen sich nehmen, was sie brauchen. Sie sollten nicht nur nett nachfragen.“ Lucas Wirl sagt: „In der Erklärung geht es darum, eine Transformation zu einer Kultur der Kooperation und Gewaltfreiheit zu erreichen.“
Vermitteln und zuhören
Das konkrete Programm des Youth Gathering selbst interessiere ihn eigentlich nicht so sehr. Es werde Vorträge und Diskussionen und auch ein Freizeitprogramm geben. Wichtig sei es vor allem, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dass sich die 50 bis 80 Jugendlichen aus etwa 15 Ländern ihre Geschichten, Schwierigkeiten und Erfahrungen erzählen und am Ende zu einer gemeinsamen Erklärung kämen. „Vermitteln und zuhören“, erhofft Wirl sich, „und dass ein Gemeinschaftsgefühl entsteht.“ Das nächste große Ziel sei dann die Organisation eines unabhängigen Weltjugendkongresses für den Frieden.
Es können sich weiterhin noch junge Menschen anmelden für das Youth Gathering. Dabei betont Lucas Wirl, dass es keine Altersbegrenzung gebe. „Auch Leute, die sich jung fühlen oder welche, die mit jungen Menschen arbeiten, können dabei sein.“ Falls jemand keine Übernachtungsmöglichkeit habe in Berlin, habe der AstA angeboten, dass man bei ihm im Schlafsack schlafen könne. Und Wirl betont noch einmal die Wichtigkeit der Teilnahme: „Wir kommen nicht weiter, wenn junge Leute nicht anfangen, sich zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen.“
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„Der wichtigste Wert für mich ist Solidarität. Damit meine ich vor allem die Solidarität zwischen Starken und Schwachen. Ausserdem ist die Verständigung untereinander wichtig: das Aufeinanderzugehen, sich zuhören und voneinander zu lernen. Bestimmte Gruppen wollen einander nicht mehr verstehen. Es gibt regelrechte Kampagnen. Als drittes: Zeit, dass man über seine Zeit selbst und frei bestimmen kann.“ [In den Interviews frage ich meine Interviewpartner nach den Werten, die ihnen besonders wichtig sind, Anm. der Autorin]