Hier im Folgenden mein Interview mit der Journalistin und Feministin Sarah Aziza aus den USA. Vor kurzem hatte ProMosaik ihren Artikel über die großartige Twitter-Kampagne Can you Hear Us Now vorgestellt. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir mehr feministische JournalistInnen brauchen, vor allem, wenn es darum geht, muslimische Frauen zu unterstützen und ihre Stimme hörbarer zu machen.
Milena Rampoldi: Was bedeutet der Feminismus für dich persönlich?
Sarah Aziza: Der Feminismus befasst sich mit Menschenrechten – es ist eine Schande, dass wir die Tatsache explizit ansprechen müssen, dass Frauen Menschen sind, die in ihrer Gleichwertigkeit anerkannt werden müssen und auch denselben Wert haben wie ihre männliche Gegenseite. Aber so viele Aspekte der modernen Gesellschaften sind auf der Grundlage der weiblichen „Unterlegenheit“ strukturiert. Wir müssen daher bewusst daran arbeiten, um diese problematischen Einstellungen zu beleuchten und sie mit der Wahrheit zu verbessern: denn alle Menschen sind gleich wertvoll und gleich stark.
Sarah, welche sind deiner Meinung nach die Stärken des muslimischen Feminismus?
Der Islam vertritt einige tief verankerte Grundsätze hinsichtlich der Wertschätzung und der Würde allen Lebens. Der Aufbau auf den bereits in einer Kultur vorhandenen Stärken kann einen wichtigen Weg darstellen, um eine Veränderung von Innen zu bewirken, die sich dann auch auf die Außenwelt auswirkt. Ich erlebe zahlreiche muslimische Frauen, die sich auf ihren Glauben berufen, um positiven Paradigmenänderungen hervorzubringen. Des Weiteren ist es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, wie unterschiedlich die muslimischen Frauen sind. Wie alle anderen Gruppen oder Religionen besteht die muslimische Gemeinschaft aus einzigartigen Individuen. Und wenn jede einzelne Frau ihr persönliches Potential entwickelt, bereichert sie ihre Gesellschaft als Ganze ungemein.
Wie kann der muslimische Feminismus dazu beitragen, der Islamfeindlichkeit in den westlichen Gesellschaften entgegenzuwirken?
Hierzu möchte ich vor allem sagen, dass es ungerecht ist, Muslime für jeglichen Akt des Extremismus wie den des IS verantwortlich zu machen. Die muslimischen Feministinnen befinden sich aber im Kampf gegen die Islamfeindlichkeit in einer einzigartigen Position, um ein Gegennarrativ gegen so viele unwissende und falsche Anschauungen rund um den Islam zu entwickeln. Einer der verbreitetsten Mythen über den Islam besteht darin, dass alle muslimischen Frauen unterdrückt sind. Es reicht, wenn die muslimischen Frauen sie selbst sind, um unter Beweis zu stellen, dass diese Behauptung schlicht falsch ist.
Wie kann der muslimische Feminismus dazu beitragen, sich in den muslimischen Ländern für die Frauenrechte stark zu machen?
Hierzu möchte ich erneut auf meine feste Überzeugung hinweisen, nach der wahre und nachhaltigen Veränderungen innerhalb der Gesellschaften immer von Innen kommen müssen. Und ich bin zuversichtlich, dass die Frauen in den muslimischen Gesellschaften immer stärker werden, um über ihre Rechte zu sprechen und sich für die erforderlichen Reformen einsetzen werden. Westliche Aktivisten können zwar einen wichtigen Beitrag leisten, um die feministische Bewegung in diesen Ländern zu unterstützen, aber es sei darauf hingewiesen, dass Außenstehende den muslimischen Frauen die Möglichkeit geben sollten, die Veränderungen in ihren Gesellschaften selbst in die Hand zu nehmen.
Mit welchen Hauptthemen befasst du dich in deiner Arbeit?
Ich schreibe gerne Geschichten, die Menschen überraschen und ihre Anschauungen über den „Anderen“ herausfordern. Ich schreibe gerne über Gruppen oder Menschen, die als Minderheit gelten, z.B. über Migranten, Muslime oder Farbige. Ich versuche auch auf Geschichten von Menschen zu fokussieren, die sich für Veränderungen einsetzen oder Ungerechtigkeiten erfahren. Somit spreche ich von diesen Kategorien von Menschen und vor allem von Frauen, von wirtschaftlich benachteiligten Menschen und u.a. auch von Menschen mit Behinderung.
Warum ist der feministische Journalismus so wichtig? Wie können wir diese Welt ein wenig weiblicher gestalten?
Die Medien werden im Westen immer noch von weißen Männern beherrscht. Frauen und andere Minderheiten werden oft einfach aus dem Narrativ ausgeschlossen. Und dies ist an sich sehr gefährlich. Engagierte Journalisten sollten sich dessen bewusst sein und sich dieser „Standardeinstellung“ des Journalismus widersetzen, indem sie sich bewusst auf die Suche nach den Narrativen über diese marginalisierten Gruppen machen.
Sarah Aziza ist eine Autorin und Aktivistin, die derzeitig in New York City lebt. Sarah hat in der Vergangenheit neben den USA auch in Saudi Arabien, Algerien, Jordanien, Südafrika und im Westjordanland gelebt und gearbeitet. Ihre Interessensbereiche umfassen Außenpolitik, Migration und Minderheitsfragen, Menschenrechte, Gender, Sexualität und die Künste. Ihre Beiträge wurden u.a. bereits auf Slate, The New Republic, The American Prospect, Middle East Eye, Bustle, Huffington Post, The Village Voice, Waging Nonviolence und the Gothamist veröffentlicht.