Keine Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Syrien und ein Friedensprozess mit zivilen Mitteln: das sind die Kernforderungen der Kampagne „Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien“, die am 1. September, dem Antikriegstag, startet. Ziel ist die Verhinderung der Mandatsverlängerung, über die im Dezember im Bundestag abgestimmt werden wird. Beteiligt sind an der Kampagne zahlreiche Friedensorganisationen.
Susanne Grabenhorst, Vorsitzende des IPPNW (Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung), erklärte beim heutigen Pressetermin auf der Reichstagswiese: „Der Syrienkrieg ist eine menschliche und politische Tragödie. Er hat katastrophale Auswirkungen auf die Menschen und auf die internationale Politik.“ Aus dem Bürgerkrieg sei ein Stellvertreterkrieg vieler ausländischer Mächte geworden. „Statt den Flächenbrand des Krieges durch noch mehr militärische Unterstützung weiter zu unterhalten und anzufeuern, muss massiv in zivile Mittel investiert werden“, so Grabenhorst weiter. „Nichts ist gut in Syrien und mit jedem Tag wird es schlechter“, sagt auch Olaf Wohland von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden.
Die zivilen Mittel lägen einmal in der Stärkung des UN Verhandlungsprozesses und der Kommunikation auf allen Ebenen. Alle Konfliktparteien müssten involviert werden. „Keine der Konfliktparteien ist homogen“, so Grabenhorst. „Bei ihnen allen muss nach Anknüpfungspunkten für Dialog und Lösungen gesucht werden.“ Man solle auf erforschte und bewährte Strategien der zivilen Konfliktbearbeitung zurückgreifen, die von Gruppen wie den International Peace Brigades oder den Non Violent Peace Forces entwickelt und angewendet wurden. Dabei geht es um die Unterfütterung des Friedensprozesses auf lokaler Ebene zur Gewaltüberwindung, Versöhnung, Rehabilitation der Opfer und Resozialisierung der Täter.
Zum anderen müsse wirtschaftlich viel getan werden. Einen Marshallplan, der bereits jetzt ausgearbeitet werden müsse, fordert Wohland, so, wie bereits während des Zweiten Weltkrieges der Wiederaufbau Deutschlands geplant wurde. Auch die Nachbarländer Syriens bräuchten starke Unterstützung zur Stabilisierung. Für die Flüchtlinge bräuchte man einerseits sichere Ausreise aus den Kriegsgebieten, andererseits massive Unterstützung in Form von Qualifizierungsprogrammen, um ihr Land wieder aufzubauen und Repatriierungsprogramme. „All dies muss sofort gestartet werden, aber von den internationalen Akteuren existieren meines Wissens keinerlei Konzepte in diese Richtung momentan“, so Wohland.
Der dritte Strang der zivilen Mittel ist die Austrocknung des Krieges durch das Unterlassen von Waffenlieferungen vom Ausland. Hier ist Deutschland durch seine Waffenexporte in den Mittleren Osten ganz vorne mit dabei und auch hier geht die Entwicklung eher in Richtung mehr als weniger.
Auf die Frage, wie man einen Assad oder den IS mit gewaltlosen Mitteln bekämpfen könne, holt Grabenhorst weiter aus. Eine Demokratisierung Syriens habe mit dem jungen Assad angestanden. Aber ein solcher Prozess müsse immer gewaltfrei sein und sei ein langsamer Prozess. Der Griff zu den Waffen habe eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt, die durch noch mehr Gewalt sicherlich nicht zu stoppen sei. Ein Prozess zur Befriedung durch Dialog und Angebot statt Bestrafung sei sicherlich eine schwierige Gradwanderung. „Sicherlich kann man den IS mit Waffengewalt bekämpfen und wahrscheinlich schafft man das auch. Aber dann werden sie eben terroristisch weitermachen“, erklärt Wohland und fordert Ausstiegsprogramme für IS Kämpfer wie es sie auch für Leute aus der Rechten Szene gebe. „Einerseits verhält es sich wie eine Hydra, der man einen Kopf abschlägt, woraufhin viele weitere nachwachsen, andererseits werden die Attacken und Anschläge immer brutaler werden, solange wir nicht andere, gewaltfreie Mittel entwickeln, sie zu bekämpfen.“
Ob es für diese Einsichten auch Anzeichen in der deutschen oder internationalen Politik gebe? Grabenhorst sagt dazu: „Nach dem militärischen Scheitern im Irak und in Afghanistan hatte ich da Hoffnung, dass es ein Umdenken gibt. Aber momentan sieht es so aus, als hätten sich alle internationalen Mächte auf nur noch mehr militärische Intervention eingeschworen.“ Wohland glaubt, dass sie in gewisser Weise selbst verzweifelt seien, weil sie wüssten, dass es keine militärische Lösung gibt. Aber sie hätten keine andere Handlungsoption. „In Afghanistan haben sie eine militärisch-zivile Strategie ausprobiert und sind auch damit gescheitert.“ Gleichzeitig gebe es aber gesellschaftlich eine starke Bewegung hin zur gewaltfreien Konfliktlösung. In das deutsche Wertesystem sei die Ablehnung der Gewaltausübung bereits eingegangen. „Noch in den Siebziger Jahren gehörte das Schlagen von Kindern zur guten Erziehung. Inzwischen ist es verboten.“ Genauso wüsste die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile, dass militärisches Eingreifen zu nichts gutem führe. „Man sagt, der Pazifismus ist gescheitert. Aber meiner Meinung nach hatte er noch garkeine richtige Chance. Erst wenn genauso viel für die zivile Konfliktlösung ausgegeben wird wie für das Militär kann man beurteilen, ob der Pazifismus wirksam ist.“
Und hier noch einmal eine Liste ziviler Alternativen:
- ein Nachkriegsplan für die Region (Wiederaufbau, Demokratisierung, Sozialstaatliche Einrichtungen, Versöhnungsarbeit, …)
- die Stützung und Stabilisierung der Nachbarländer.
- der Aufbau von qualifiziertem Personal für die UN auf Abruf: Blauhelme, Polizei, Jurist_innen, Beobachter_innen für Menschenrechte, Personal für Versöhnungsarbeit, Traumaarbeit, Psychiatrisch-psychotherapeutisches Personal, Suchtkrankenhilfe.
- die Schaffung von Möglichkeiten, legal und sicher aus Kriegsgebieten nach Europa auszureisen.
- privilegierte Aufenthaltsmöglichkeiten für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten mit Rückkehroption und Rückkehrorientierung.
- ein Qualifizierungsprogramm für Flüchtlinge als Vorbereitung für die Wiederaufbauarbeit in ihrem Land: als Handwerker_innen, Polizist_innen, Juristen_innen, Mediziner_innen, Psycholog_innen, Sozialarbeiter_innen, Lehrer_innen.
- die Schulung von Konfliktbearbeiter_innen und Mediator_innen für die Phase nach dem Krieg.
- ein Programm für die Repatriierung von Flüchtlingen.
- das Austrocknen des Krieges und die Verhinderung der Möglichkeiten, Kriege in der Region zu führen: ein Programm zur Unterbindung aller Waffenverkäufe in die Region, internationale Prozesse gegen Waffenhändler, die dieses Embargo durchbrechen.
- ein Ausstiegsprogramm für ehemalige IS Kämpfer
- ein Bleiberecht für Deserteure aus Kriegsgebieten
- die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern der Region durch entsprechende Zahlungen an die UN.
- eine ständige Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten.
- der Dialog mit allen Konfliktparteien, auch bilateral, auch mit dem IS.
- die Einrichtung humanitärer Schutzzonen, UN-international geschützte „Kantone der sozialen Sicherheit und der sozialen Wohlstandes und der Demokratie“.
- der Aufbau eines Zentrums für Zivile Konfliktbearbeitung, zunächst angesiedelt beim Auswärtigen Amt und zukünftig in einem eigenständigen Ministerium.