Der gemeinsame Markt wird kleiner, die Kommission verliert an Verhandlungsmasse: Der Austritt der Briten aus der EU hat auf die TTIP-Verhandlungen mit den USA mehr Einfluss als sich die Verhandler wünschen. Nicht zuletzt schwächt er die Position der Europäer im Verhandlungspoker. Sechs Antworten auf die drängendsten Fragen.
Ist nach dem Brexit auch mit TTIP Schluss?
Mitte Juli steht in Brüssel die nächste TTIP-Verhandlungsrunde an. Sie sollte als Gradmesser dafür dienen, ob sich Amerikaner und Europäer bis Ende des Jahres auf einen gemeinsamen Vertragstext würden einigen können.
Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström gibt sich kämpferisch: „TTIP bis Ende des Jahres ist möglich.“ Aber die EU-Verhandler werden nur mit halbem Herzen dabei sein. Zu sehr sind die Europäer derzeit damit beschäftigt, sich zu sortieren. Mittelfristig werden in der EU-Kommission viele Beamte gebraucht, um den Brexit zu managen. Viel spricht dafür, dass die Verhandlungen nun langsamer voran gehen – oder ganz auf Eis gelegt werden.
In jedem Fall verändert sich das Gewicht der EU. Der gemeinsame Markt wird kleiner, die Kommission verliert an Verhandlungsmasse. Viele zentrale Fragen wie die Vergabe für öffentliche Aufträge, die Einfuhrquoten für Fleisch oder die Liberalisierung der Finanzmärkte müssen neu bewertet werden.
Manche Experten in Brüssel erwarten eine Verhandlungspause von rund zwei Jahren. Dann haben die USA einen neuen Präsidenten, Frankreich und Deutschland gewählt, und ist klar, welche Rolle Großbritannien in Europa noch hat. Danach müsste sich dann zeigen, ob die europäischen Regierungen weiterhin willens sind, das Abkommen voranzutreiben.
Was war den Briten bei TTIP besonders wichtig?
Der größte Wirtschaftszweig in Großbritannien ist der Finanzmarkt. Die britische Regierung hat sich stets dafür stark gemacht, dass die EU im Rahmen von TTIP die Finanzmärkte öffnet, und dass sie künftig gemeinsam mit den USA Bankgeschäfte reguliert.
Die Amerikaner haben das stets abgelehnt. Sie wollen sich auf keinen Fall durch einen völkerrechtlichen Vertrag daran binden, wie sie ihren Finanzmarkt regulieren müssen.
Gehen die TTIP-Verhandlungen weiter, würde ein bedeutender Streitpunkt wegfallen. Matthias Bauer vom European Center for International Political Economy (ECIPE) in Brüssel schätzt, dass eine Regulierung der Finanzmärkte ohne die Briten dann nicht mehr im Rahmen von TTIP thematisiert werde.
Sitzen die Briten weiter am Verhandlungstisch?
Solange kein offizieller Antrag auf den Austritt gestellt wurde, ändert sich in Brüssel fast nichts. Die britischen Beamten bleiben auf ihren Posten. Allerdings könnte es politisch heikel werden, wenn britische Beamte ein Abkommen auf Seiten der EU weiter verhandeln, das für sie gar nicht gelten wird. Interessenkonflikte liegen auf der Hand.
Auch seltsam: Die britische Regierung hätte weiterhin einen Einblick in die strikt geheimen Verhandlungen, während die Bürger der EU außen vor bleiben. Außerdem leitet mit Colin Brown ausgerechnet ein Brite die EU-Delegation für das umstrittene Thema Schiedsgerichte.
Wie reagieren die USA?
Bisher ist US-Regierung ist derzeit vorsichtig und hält sich mit Äußerungen zurück. US-Finanzminister Jack Lew sagte nach dem Brexit, dass TTIP „weiterhin Priorität habe, weil man schon mehrere Jahre verhandele“. Auch der amerikanische Chefverhandler Michael Froman hält an den bisherigen TTIP-Plänen fest: „Wirtschaftlich und strategisch spricht weiterhin viel für TTIP,“ sagte er nach dem Referendum.
Die ehemalige Verhandlerin der US-Handelsbehörde Miriam Shapiro sieht zudem gute Chancen, ein eigenes Abkommen mit den Briten schnell abzuschließen, „weil Großbritannien offener als die anderen EU-Mitgliedstaaten für Freihandel“ sei. Shapiro sieht die Chance, TTIP schneller zu beschließen, wenn parallel mit den Briten verhandelt wird.
Wird Großbritannien einen eigenen Freihandelspakt mit den USA schließen?
Für die Briten wird die Lage nach einem Brexit kniffelig. Sie müssen darauf hoffen, dass die USA ein eigenes Handelsabkommen mit ihnen verhandeln. Der konservative EU-Abgeordnete Daniel Caspary sagt: „Das werden sie wohl versuchen. Dabei wünsche ich ihnen viel Glück.“ US-Präsident Obama hat angekündigt, dass er einen Handelspakt mit Großbritannien erst nach einem TTIP-Abkommen abschließen wolle. Die Republikaner sehen das anders. Ein Abkommen mit den Briten lässt sich nach Meinung der Republikaner einfacher mit den US-Gesetzen vereinbaren.
Eine Möglichkeit wäre, dass die Briten TTIP beitreten. Dafür müssten die EU und die USA beschließen, dass sich auch Drittstaaten dem Abkommen anschließen können. Bisher haben das beide Seiten ausgeschlossen.
Freuen sich die britischen TTIP-Kritiker über den Brexit?
Ja – für sie ist TTIP mit dem EU-Austritt des Landes erstmal erledigt. Der prominenteste britische TTIP-Gegner John Hilary, der die NGO „War on Want” vertritt, sagt, dass es bei künftigen Verhandlungen von Freihandelsabkommen einfacher wird, die britische Regierung verantwortlich zu machen. „Großbritannien steht, genauso wie die EU, für eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Für uns wird es einfacher, unsere eigenen Institutionen zu bekämpfen als die gesichtslosen Bürokraten in der Kommission“, sagt der Handelskritiker Hilary auf Anfrage von CORRECTIV.
Und zum Schluss: Was ist mit CETA?
Großbritannien wird noch Mitglieder der EU sein, wenn im Sommer über das CETA-Abkommen mit Kanada abgestimmt wird, obwohl der Handelspakt für sie nicht gelten wird, sobald sie aus der EU ausgetreten sind.
Hinzu kommt: Großbritannien ist unter allen EU-Staaten der größte Handelspartner mit Kanada. Ein Drittel des gesamten EU-Handels mit Kanada läuft über britische Firmen. Das könnte die kanadische Regierung bewegen, CETA noch einmal zu überdenken.
Von CORRECT!V
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