Am morgigen Dienstag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Staatschef, der seit seiner Amtsübernahme im Dezember 2015 vom deutschsprachigen Medien-Mainstream als “größter Hoffnungsschimmer“ für Lateinamerika gelobt wird: Argentiniens Präsident Mauricio Macri. Doch ein Blick auf Macris Werdegang offenbart eine Chronik beispielloser Korruption und Kollaboration mit der blutigsten Militärdiktatur des Kontinents. Frederico Füllgraf über den neuen Partner der europäischen Eliten.
Nach den Gesprächen mit Merkel am kommenden Dienstag sieht Macris Protokoll Treffen mit den Konzernspitzen von Mercedes Benz, Siemens und Volkswagen vor, die der argentinische Präsident zur Reaktivierung ihrer Investitionen in Argentinien motivieren will.
Mauricio Macri geht in Europa auf Goodwill-Tour. Am 11. Juli reist seine Außenministerin Susana Malcorra nach Moskau zu Gesprächen mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und einem Treffen mit russischen Geschäftsleuten.
Lawrow dürfte sich ein paar Fragen an Malcorra notiert haben. Zum Beispiel, warum vor wenigen Wochen RT aus dem Kabelangebot des staatlichen Televisión Digital Argentina geschmissen wurde. Der Sendebeginn des spanischen Programms von RT auf dem Kabelträger des staatlichen Radio y Televisión Argentina wurde mit einer Telekonferenz am 9. Oktober 2014 von den Staatspräsidenten Wladimir Putin und Cristina Kirchner feierlich zelebriert.
Deutscher Mainstream: Korrupt sind die anderen
Über die Ära Kirchner – die Amtszeit Néstor Kirchners (2003-2007) und die seiner Witwe und Nachfolgerin, Cristina Fernández de Kirchner (2007-2015) – hatten deutschsprachige Leitmedien den Mund vollgenommnen und sich über die mutmaßliche Korruption der Kirchners die Finger wund geschrieben.
Schlagzeilen wie “Grassierende Korruption – Argentiniens Aasgeier sitzen in der Regierung” (Die Welt, 13.07.14) oder “Korruption während der Ära Kirchner – Der Staat als Selbstbedienungsladen”, Neue Zürcher Zeitung, 16.6.2016), lärmten selbst ein halbes Jahr nach Beendigung von Fernández de Kirchners Amtsperiode und färbten die Berichterstattung mit ähnlichen schrägen Tönen, wie der den brasilianischen Putsch-Medien nachgeplapperte und niemals erwiesene Vorwurf, Dilma Rousseff sei “korrupt”.
Vergessen oder erst gar nicht recherchiert, wurde von den gleichen Medien der spektakuläre Aufstieg des Macri-Clans unter Führung des italienisch-stämmigen Einwanderers Franco Macri – dem Vater des Präsidenten – dem zu Beginn der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) sieben Unternehmen und nach ihrem Sturz 46 Firmen gehörten.
Grundlage der von argentinischen Medien mitunter als obszön umschriebenen Bereicherung einer Handvoll einheimischer Milliardäre, war das mit bis zu 20-prozentigen, fetten Schmiergeldern gefütterte, staatliche Auftragsgeschäft der Diktatur und der ultraliberalen Ära Carlos Menem (1989-1999), von dem der Macri-Clan mit einem geschätzten Vermögen von rund einer Milliarde Euro profitierte. Die promiske Interaktion ging in die Geschichte ein als “patria contratista” – eingedeutscht: der “vaterländische Filz”.
Jedoch, “patriotisch” war das wirtschaftskriminelle Kartell stets nur beim Nehmen, denn schon 2012 wurde das Ausmaß der argentinischen Steuerflucht nach Steueroasen wie Panama auf exorbitante 320 Milliarden Euro geschätzt.
Die Visitenkarte Mauricio Macris ist daher keine Augenweide: Am 5. Juli trifft in Berlin ein Präsident ein, gegen den die Justiz seines Landes Ermittlungen wegen seiner Involvierung mit den Panama Papers, ergo wegen millionenschwerer Steuerflucht, führt.
Gespanntes Verhältnis EU-Mercosur – ein Rückblick
Wohl wenig von dieser Schattenseite beeindruckt, erhoffen sich Berlin und Buenos Aires von Mauricio Macris Besuch neue Bewegung in den seit Jahren stagnierenden Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, der gemeinsame Markt Argentiniens, Brasiliens, Paraguays, Uruguays und neuerdings Venezuelas, mit nahezu 300 Millionen Menschen.
Die Verhandlungen begannen im Jahr 2000. Damals strebte die EU ein umfassendes Abkommen über Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte, öffentliches Beschaffungswesen und Nachhaltigkeit an. Nach den Amtsantritten Luis Inácio Lula da Silvas, in Brasilien, und Néstor Kirchners, in Argentinien, wurden die Verhandlungen jedoch 2004 nach erheblichen Differenzen über den Zugang für Mercosur-Agrarprodukte zum europäischen Markt pausiert, zwar 2010 wieder aufgenommen, doch die effektive Assoziierung wurde immer wieder vertagt. Teils zu Unrecht wurde Cristina Kirchner die Schuld für die nicht zustande gekommenen Verträge gegeben.
Macris Besuch könnte also die ”Irrfahrt des Mercosur” wieder in die richtigen Bahnen lenken. So spekulieren Berlin und Brüssel.
Macri und die “patria contratista”
“Die Vergangenheit ist ein Prolog”, heißt das geflügelte Sprichwort eines genialen Unbekannten, und sie verfolgt Mauricio Macri, selbst wenn die Diplomatie bereit ist, beide Augen zuzudrücken.
Ob die Bundeskanzlerin vom Auswärtigen Amt und vom Bundespresseamt über Macris Aufstieg zum Multimillionär, bzw. über die promiske Beziehung zu seinem Jugendfreund und landesweit wegen korrupter Geschäftspraxis verrufenen Nicolás “Nicki” Caputo informiert worden ist? Caputo verkörpert die Kontinuität des “vaterländischen Filz” bis zur Perfektion.
In den acht Jahren Amtszeit Macris als Gouverneur von Buenos Aires, war Caputo sein Hauptberater, doch gleichzeitig hauptamtlicher Eigentümer zahlreicher Baufirmen, darunter Mirgor SA. Nach Angaben argentinischer Medien hat der Industrielle zwischen 2007 und 2015 von Macri Aufträge im umgerechneten Wert von 100 Millionen Euro zugeschanzt bekommen (“Entre amigos: Macri le entregó $1400 millones en contratos a Nicolás Caputo” – InfoBaires24, 17.10.2015). Seit Macris Amtsübernahme als Staatspräsident soll Caputo laut El Cronistavom 1.3.2016 Neuaufträge in Dollar-Millionenhöhe erhalten haben.
Gelingt es Macri, VW und Daimler-Benz für Neuinvestitionen zu gewinnen, dann freut sich Nicolás Caputo als Eigentümer von Mirgor SA. Die 1983 zusammen mit Mauricio gegründete Firma ist der größte argentinische Hersteller von Klimaanlagen für Automobile, mit Jahresumsätzen von rund 400 Millionen Euro. Macri behauptet, 1994 aus Mirgor SA ausgetreten zu sein, doch “das Sitzungsprotokoll der Aktionärsversammlung besagt das Gegenteil“, heißt es in der Tagespresse („La Patria Contratista de Mauricio Macri; ayer y ahora“ – Blastingnews, 29.3.2016). Der Aufstieg der Macris begann unter der Diktatur Juan Carlos Onganía (1966-1970) als Zuliefererbetrieb von FIAT, später vor allem von Daimler-Benz Argentina.
Nach der Devise, “die Unternehmer müssen regierungstreu sein” (Franco Macri), und dank seiner guten Beziehungen zu Onganías Staatssekretär für Industrie und Energiepolitik, ergatterte der Macri-Clan bald Löwenanteile an Großbauaufträgen für das Atomkraftwerk Atucha und zahlreiche Wasserkraftwerke.
So entstand das Socma (Sociedad Macri)-Imperium, das mehrere Dutzend Unternehmen in der Automobil-, Bau- und Vermietungs-, Müllentsorgungs-, Postbeförderungs-, Kommunikations-, Bergbau- und Lebensmittelbranche Argentiniens, Uruguays und Brasiliens betreibt und mit allen argentinischen Regierungen Geschäfte machte; von den Diktaturen Onganías und Videlas bis Néstor Kirchner, als Mauricio Macri noch der zweite Mann im Firmenkommando war.
Die Macri-Firmen Manliba und Intron gelten als Paradigmen nicht nur für die Nutzbarmachung der Militärdiktaturen, sondern auch für den Interessenkonflikt zwischen Privatwirtschaft und Staatsverwaltung; eine kontinuierliche Promiskuität, die der Macri-Clan bei der Durchsetzung seiner Kapitalinteressen gern in Kauf genommen hat. Als staatliches Müllentsorgungsunternehmen wurde Manliba 1979 von der Diktatur privatisiert und von den Macris akquiriert, das auch im Auftrag von Gouverneur Mauricio Macri die Straßen Buenos Aires vom Unrat befreite.
Als Gipfel des Ganzen, betrieb Socma über Jahrzehnte allein die heute zu 60 Prozent der Siemens-Gruppe gehörenden Firma Intron, die seit den 1990er Jahren die Finanzverwaltung der 12-Millionen-Metropole Buenos Aires mit elektronischer Datenverarbeitung zum Jahresgewinn von 25 Millionen Euro versorgt.
Eines vergessen die Argentinier selbst nach mehr als 30 Jahren nicht: die “Verstaatlichung der Privatschulden”. Das geschah so: Ein Jahr vor Ende der Militärdiktatur, erklärte Zentralbankchef Domingo Cavallo, im November 1982, die 15 Milliarden US-Dollar hohen Auslandsschulden einer Handvoll vermeintlich bankrotter privater Unternehmer zu “öffentlichen Verschuldung”. Noch einmal profitierte das Socma-Imperium der Macris in Millionenhöhe von einem der frechsten Betrügerei der argentinischen Wirtschaftsgeschichte.
von Lateinamerika-Korrespondent Frederico Füllgraf