Als Teenager hatte ich den folgenden Eindruck von Religion: wenn man abtreibt, schwul ist oder Geschlechtsverkehr vor der Ehe hat, kommt man in die Hölle. Ich war ein geringschätziger Atheist.
Aber als ich 3 Jahre lang in einer muslimischen Gesellschaft in Palästina lebte, fing ich an, zahlreiche Vorteile des „Religiöswerdens“ zu sehen. Diese muslimische Mehrheitsgesellschaft hatte etwas an sich, das mir in den Jahren als Teenager wirklich abhandengekommen war: sozialen Zusammenhalt, Struktur und Grenzen. Ich wurde sehr neugierig auf den Islam und die Religion im Allgemeinen. Ich wusste, dass ich nicht glaubte, dass der Mensch Jesus Christus auch ein Gott war. Und die Exklusivität des Judentums fand ich abschreckend, vor allem nachdem ich in Hebron gelebt hatte, wo die Palästinenser nur auf bestimmten Straßen gehen und Autos fahren durften und dauernd verhaftet, belästigt und mit Gewalt behandelt wurden, nur weil sie keine Juden waren. Die Gewalt in Hebron erzeugte in mir ein Bauchgefühl; trotz meiner jüdischen Herkunft wollte ich mit dem Judentum nichts zu tun haben.
Es gab aber nur einen Aspekt, der mich davon abhielt, das islamische Glaubensbekenntnis, die Shahada, abzulegen, um Muslimin zu werden; und das war die Diskriminierung von Homosexuellen von Seiten der Mehrheit der Muslime. Da ich mit schwulen Familienmitgliedern und Freunden aufgewachsen war, stellte ich Muslimen dauernd die Frage: „Wenn ich Muslimin werde, bedeutet das dann auch, dass ich Schwule hassen soll?” Ich konnte nie eine zufriedenstellende Antwort erhalten. Ich wusste, dass ich mich zum Islam konvertieren sollte, aber ich wusste auch, dass ich nicht so plötzlich homophob werden konnte. Aufgrund der Antworten, die ich erhielt, machte ich mir Sorgen, dass es dabei um eine Voraussetzung ging. Am Ende entschied ich mich wie folgt: da einer der 99 Namen Gottes im Arabischen Der Barmherzige ist, so muss es doch mehr zu Islam und Homosexualität geben, als ich in den zufälligen Gesprächen hörte.
Nach meiner Rückkehr in die USA begann ich die Moschee Al Iman in Oakland zu besuchen. Deren Motto lautete: „Jeder ist willkommen“. Ich vermutete, dass sich dies auch auf die LSBT-Gruppe bezog. So fing ich an die Gläubigen zu fragen, ob dies auch der Fall war. Die Antworten waren schockierend.
„Ich will nicht, dass sie hierher kommen, um sich an mich ranzumachen.“
„Schwuchteln sollen draußen bleiben.“
„Du kannst mit dem Lebensstil kein Muslim sein.“
Der Imam der Al Iman Moschee heißt Yassir Chadly. Er ist ein wundervoller Mensch, und alle seine Predigten sind wirklich inklusiv, belebend und motivierend. Ich vermutete, dass er derjenige war, der das Motto „Jeder ist willkommen“ geschrieben hatte und dass sich dieses auch auf die LSBT-Gruppe ausdehnte, und dies trotz der Aussagen der Mitglieder seiner Gemeinde.
Ich suchte im Buch Homosexuality in Islam: Critical Reflection on Gay, Lesbian, and Transgender Muslims des Gelehrten Scott Siraj al Haqq Kugle nach den Antworten auf meine Fragen. Jeder, der sich seriös mit dem Thema befassen möchte, sollte dieses Buch auch lesen.
Die Quelle der Homophobie ist in allen abrahamitischen Glaubensrichtungen die Geschichte von Sodoma und Gomorra und im Besonderen die einer Gruppe von Männern, die aufgezwungenen Geschlechtsverkehr mit anderen Männern hatten.
Im Koran heißt es:
Und (Wir sandten) Lūṭ, als er zu seinem Volk sagte: „Wollt ihr denn das Abscheuliche begehen, wie es vor euch niemand von den Weltenbewohnern begangen hat? Ihr lasst euch doch wahrlich in Begierde mit den Männern ein anstatt mit den Frauen. Aber nein! Ihr seid maßlose Leute. |
— Koran 7:80–81
Aber dieses Vergehen, besteht laut Kugle nicht im homosexuellen Geschlechtsverkehr, sondern es geht um eine Gruppe verheirateter Männer, die die zweifache Sünde des Ehebruchs und der Vergewaltigung begehen.
Im Jahre 2013 verbreitete Pamela Geller eine Reihe von Buswerbungen in San Francisco, um die LSBT-Gemeinschaft gegen die muslimische Gemeinde aufzuhetzen.
Jedermann war verärgert, denn das ist nicht San Francisco. Es gab Artikel, Facebookposts, Diskussionen, und man suchte händeringend nach einer Antwort.
Die muslimischen Aktivisten und die Leiter der muslimischen Gemeinden könnten so viel von den rechtlichen und sozialen Kämpfen der LSBT-Gemeinde lernen und umgekehrt. Ich wünschte mir, es gäbe mehr Kommunikation zwischen den beiden Gemeinden. Als Künstlerin hielt ich es für die beste Lösung, Pamela zum Schweigen zu bringen, indem man eine gemeinsame Kunstausstellung von Muslimen und LSBT organisierte. Einige Tage dachte ich selbst intensiv über alles nach, bevor ich mich dann an Menschen aus beiden Gemeinden wendete, um sie zu fragen, ob sie mitmachen möchten.
Jene Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer in beiden Gemeinden. Was ich aus all ihren Aussagen heraushörte, war die Angst, was die Anderen davon halten könnten.
Ich entschied mich, meine tolle Idee bei einer Vorlesung und Diskussionsrunde über Islamfeindlichkeit an der UC Berkeley vorzutragen. Bei der Frage- und Antwortstunde stand ich zittrig auf. Meine Stimme zitterte. Ich trug mein Anliegen vor, nach dem Muslime und LSBT-Gruppen voneinander lernen und profitieren könnten, indem sie Kontakt zueinander aufnehmen. Wir sollten eine gemeinsame Kunstausstellung organisieren, um gegen Islamfeindlichkeit und Homophobie anzukämpfen.
Ich erinnere mich nicht an die genauen Worte, die mir einer der Redner sagte, weil ich so nervös war, aber die Grundidee war, dass ich ihr meine neokolonialistischen weißen, liberalen Überzeugungen aufzwingen wollte.
Dieser Auftritt hätte nie sein sollen. Denn ich bin besser in der künstlerischen Arbeit als in der Organisation einer Kunstausstellung. Aber ich wollte die Sache auf keinen Fall fallen lassen. Ich besuchte regelmäßig Vorlesungen beim Ta’leef Collective Institut in Fremont, einem Gemeinschaftszentrum von Muslimen und Konvertiten unter 40. Eines der Themen von 2013 bezog sich auf die Inklusion. Der Bruder, der die Gastvorlesung gab, war felsenfest davon überzeugt, dass wir bei Ta’leef alle, unabhängig von ihrem Background, willkommen heißen und akzeptieren. Ich nutzte die Gelegenheit, um der Sache nachzugehen und zu verstehen, ob er diese Willkommenskultur auch ausweiten wollte. Ich stand auf und gab ihm die Hand und während das Herz mir bis in die Ohren schlug, fragte ich:
„Sind LSBT bei Ta’leef auch willkommen?“
Der junge Mann hielt kurz inne. Dieser Augenblick kam mir unendlich vor. Dann antwortete er mit einem klaren und gut überdachten „Ja“.
Und die Menschen fingen an zu klatschen. Eine Frau umarmte mich und meinte: „Wir sind so froh, dich hier zu haben. Du bist willkommen“. „Sie war so freundlich und edel, ihre Augen leuchteten. Aber ich hatte nicht die Courage, ihr direkt alles zu sagen. Dann überraschte mich etwas. Ein junger Mann hielt sein Hand auf und meinte, dass er in der vorherigen Woche zu einem Treffen mit jungen Leuten zu Ta’leef gekommen war und ihn alle willkommen geheißen hatten. Ich fing fast an zu weinen. Denn ich war so glücklich, einen Blick auf eine Zukunft zu werfen, in der inschallah eines Tages die Homophobie nicht mehr der Standard in den amerikanischen, muslimischen Gemeinden sein würde.
Die Menschen sind frei, über Homosexualität das zu glauben, was sie möchten. Das Problem ist aber, dass die homophobe Rhetorik in der muslimischen Gemeinde so feige ist wie die islamfeindliche Rhetorik von Pam, Donald und den Mainstream-Medien. Lassen Sie uns nicht mehr den Kopf in den Sand stecken, wenn es um dieses Thema geht.
Seit wir erfahren haben, dass die latente Homosexualität von Omar Mateen höchstwahrscheinlich das Motiv für den Mord an 49 Menschen in Orlando gewesen sein könnte, rückt das Thema der Homosexualität ins Zentrum der Leben der US-Muslime. Ich hoffe wirklich für die LSBT-Gemeinde und für die LSBT-Muslime im Besonderen, dass unsere Gemeinde die Sache ernsthaft erforschen wird und die Leiter unserer Gemeinden (unabhängig davon, was sie von Homosexualität halten) darauf fokussieren, die ätzende Homophobie in den Moscheen und Klassenräumen zu bekämpfen.
von Katie Miranda für Mondoweiss
Übersetung aus dem Englischen von Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik