In Barcelona gab es die Gelegenheit, drei Aktionstage mitzuerleben, die vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis geleitet und von der Plattform Barcelona en Comú organisiert wurden.
„Die Europäische Union ist ein anti-demokratisches Projekt, Geisel der Märkte, das den Regierungen der Mitgliedsstaaten Gesetze vorschreibt. Die Eurogruppe den Schulden alles unterworfen und dabei soziale, politische und Bürger-Rechte ignoriert und faktisch abgeschafft. Der Sozialstaat, in dem wir bis jetzt gelebt haben, basiert nunmehr ausschließlich auf dem Credo des unbegrenzten Wachstums.“
Kurz vor den spanischen Wahlen haben die von Barcelona en Comú organisierten Aktionstage mit Yanis Varoufakis in der katalanischen Stadt mit diesem Manifest frischen Wind in die Suche nach neuen Wegen gebracht, um Alternativen zum aktuellen politischen und wirtschaftlichen Regime in Europa zu finden. Die Kraft der Vereinigung von rebellischen Städten, die in den Stadtvierteln und Städten seinen Ursprung findet, stellt den nächsten Schritt des Wandels von unten dar.
Hintergrund
Barcelona steht im Fokus von Europa und von hier aus auch die Notwendigkeit, eine europäische Debatte über eine Veränderung der Institutionen sowie deren repressiven und nunmehr obsoleten Methoden zu führen.
Erneut stellen sich fundamentale Fragen: echte Demokratie, Widerstand gegen TTIP, das Erstarken der extremen Rechten in Nordeuropa, wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit, Flüchtlingskrise, Nichtbeachtung von Menschenrechten, die langsame aber konstante Abschaffung von nationalen Souveränitäten; der anhaltende Wahn nach unbegrenztem materiellem Wachstum; Austeritätspolitik der nationalen Regierungen in Übereinkunft mit den europäischen Institutionen; die Risikoprämie als Drohung, um den Volkswillen zu beugen, jedes Mal wenn sich ein Land von der „schwarzen Null“ entfernt; die Rolle der Frau im sozialen Wandel.
Angesichts dieses Szenarios entsteht die Notwendigkeit, ein Netzwerk von rebellischen Städten zu schaffen, also von Städten und Gemeinden, die bereit sind, sich gegen all diese sozialen Ungerechtigkeiten zu wehren.
Die Kernfrage lautet, wie eine Dynamik geschaffen werden kann, die dem Aufbau eines außer-kommunalen Status dient, der es einer Stadt oder Gemeinde erlaubt, die faktischen Machtverhältnisse sowohl innerhalb als auch außerhalb der bestehenden Institutionen herauszufordern.
Netzwerk der europäischen Bewegungen
In seinen Ausführungen appelliert Varoufakis an das Netzwerk der europäischen Bewegungen, dem Schreckensszenario der Rechte und extremen Rechten, die sich in den nördlichen Staaten formiert, die Stirn zu bieten und dem Verfall der Europäischen Union Einhalt zu gebieten.
Frankreich bildet eine geografische Brücke zwischen dem Süden und dem Norden in Europa. Auch wenn der Begriff „Europa“ auf der Basis seiner tatsächlichen geografischen Grenzen verstanden bei vielen Stöhnen verursacht. Warum nicht von einer Mediterranen (Union) sprechen?
„Es ist nicht nötig, eine neue Bewegung zu schaffen, es gibt bereits viele, die sich in den letzten Jahren mobilisiert haben und mit denen müssen und wollen wir zusammenarbeiten, um einen Richtungswechsel zu erreichen“ sagt Varoufakis.
Mit der Bewegung Nuit Debout aus Frankreich, die auch eng mit den Netzwerken der 15M verbunden ist, hat sich ein Weg zur Rekonfiguration der politischen Situation in Europa ergeben. Die Bewegung 15M („Bewegung 15. Mai“ oder „Indignados“, entstanden in Spanien 2010/2011; Anm. d. Übers.), die erst seit 5 Jahren existiert, hat bereits Früchte getragen und eine Abdruck hinterlassen, der zu einem europäischen Modell für das werden kann, was von dort aus geschaffen wurde: zahlreiche Gruppen, Bewegungen und unzählige Menschen, die nicht aufgehört haben, von unten Widerstand zu leisten. Zudem hat es die Voraussetzungen für einen echten Wandel des politischen Modells geschaffen.
Fragen und Antworten von Varoufakis
Können wir weiterhin unbegrenzt wachsen? Wie können wir dieses System stürzen? Müssen wir zum Nationalstaat zurückkehren? Wie können wir dazu beitragen, diese Europäische Union, die uns nicht gefällt, bei den Institutionen angefangen zu verändern? Was können wir mit urbanen Bewegungen erreichen? Was können wir als Netzwerk von Städten mit Selbstverwaltung erreichen?
Einzelne Bürger fühlen sich nicht stark genug, um Europa zu verändern, aber als Stadtviertel oder Städte oder Regionen mit Sicherheit ja. Zu Nationalstaaten zurückzukehren ist keine Lösung. Menschen sind das Resultat der Polis (griechisch für „Stadt; Staat“, ursprünglich auch „Burg“; Anm. d. Übers.) und die Polis reflektiert die Region in der Du handelst, mit der Du Dich identifizierst. Zum aktuellen Zeitpunkt wird der Großteil unserer Gesetze durch die Europäische Union bestimmt, unsere jungen Leute reisen in der ganzen EU, um zu studieren oder Arbeit zu finden. Die EU ist unsere Region, unsere Polis. Wenn eine progressive Kraft in einem Land die Wahlen gewinnt, zwingt die Eurogruppe sie, sich zu beugen und die Abkommen zu respektieren, die dieses Land zuvor unterzeichnet hatte.
Diese Abkommen verhindern jede progressive Kraft und jegliche Möglichkeit, eine Veränderung hervorzubringen. Angesichts dieser Situation müssen wir zu Taten des Ungehorsams greifen. Progressive Kräfte müssen sich zu einer Kampagne der Ungehorsamkeit gegenüber der Herrschaft der Eurogruppe zusammenschließen. Die Europäische Union ist eine Vereinigung von Bürokraten und Bankern; die Lösung besteht jedoch nicht darin, die europäische Union zu zerbrechen, sondern sie zu demokratisieren.
Wir müssen innerhalb der EU bleiben und gleichzeitig gegen die EU sein, denn wenn sich die auflöst, erstarken nur Fremdenhass, Diskriminierung und Kapitalismus. Wir müssen die EU über das Netzwerk von Städten mit Selbstverwaltung an uns reißen, wir müssen in ihr bleiben, aber gegen sie sein; nicht der EU die Schulter kehren. Wenn bei den kommenden Wahlen in Spanien eine progressive Partei gewinnen sollte, werden sie mit finanzieller Ausblutung über die Banken drohen und die Antwort muss darin bestehen, Anleihen nicht an die Europäische Zentralbank zurückzuzahlen. Aus dem Euro auszusteigen ist nicht die Lösung. Europa braucht einen humanistischen, nachhaltigen und demokratischen Plan. Im Moment hat Europa keinen Plan. Wir müssen die Produktionsverhältnisse ändern, den Kapitalismus ändern. Wir haben eine Krise aufgrund von Geldüberfluss, noch nie gab es solch große Sparvorkommen in der Welt, aber gleichzeitig gibt es fast keine Investitionen, wir müssen das Gesparte mobilisieren, die Wirtschaft stabilisieren. Wenn die Regierungen kein Geld für die Nationalisierung von Banken oder Unternehmen haben, müssen wir zur Sozialisierung der Unternehmen übergehen.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter