Am 7. April 2016 fand ein ausführliches Interview mit dem Botschafter der Republik Ecuador, Herrn Jorge Jurado statt. Direkt in der „City von Berlin“ am U-Bahnhof Kurfürstendamm in der Joachimsthaler Straße befinden sich die modernen, großen Räume der Botschaft. Am Eingang weht die Nationalfahne von Ecuador. Der Herr Botschafter Jurado wird sein Amt in den nächsten Wochen abgeben. Er ist ein hoch engagierter Diplomat. Ich freute mich sehr, dieses abschließende Interview mit ihm im Namen unserer internationalen Nachrichtenagentur „Pressenza“ führen zu dürfen.
Immer alles gut gewesen? Nein, die Yasuní-ITT-Initiative ist gescheitert!
S.B.: Guten Tag, Herr Botschafter Jurado. Wir haben gehört, dass Sie als Botschafter der Republik Ecuador Ihr Amt und Ihre Akkreditierungen in nächster Zeit abgeben werden. Wir, die Journalisten von „Pressenza“, kennen Sie bereits als engagierten Diplomaten und Experten. Sie haben sich auf eine ganz besondere Art und Weise für gute Beziehungen zwischen Ecuador und Deutschland eingesetzt und die deutsche Bevölkerung durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit mit einbezogen. Wir bedauern, dass Sie Ihr Amt beenden werden. Was haben Sie für Erfolge in den letzten Jahren realisieren können? Wie haben sich die Beziehungen zwischen Ecuador und Deutschland gestaltet? Wie sieht Ihre Bilanz aus?
J.J.: Vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit des Interviews bei „Pressenza“. Wir haben schon mehrere erfolgreiche Interviews mit Pressenza geführt, um die Öffentlichkeit besser über unser Land Ecuador zu informieren und um eine größere Bevölkerung erreichen können.
Das aller Wichtigste für mich ist aber, Ihnen erst einmal zu erzählen, wie unsere Arbeit hier in der Botschaft in den letzten fünf Jahren organisiert wurde. Ich möchte Ihnen gern die verschiedenen Arbeitsgebiete und Projekte vorstellen, auf denen wir uns sehr stark engagiert haben.
In der Rückblende sind die Beziehungen zwischen der Republik Ecuador und der Bundesrepublik Deutschland immer sehr gut gewesen. Allerdings haben wir auch zeitweise erfahren müssen, dass die Beziehungen teilweise etwas schwierig waren.
Einer dieser schwierigen Momente ereignete sich ab dem Jahr 2009. Als der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel, sich weigerte, den einvernehmlichen Beschluss des Bundestages umzusetzen und die Yasuní-ITT-Initiative finanziell zu unterstützen, kam es zum Tiefpunkt der Beziehungen. Es gab zahlreiche Destabilisierungskampagnen gegen die ecuadorianische Regierung. Es war nicht immer alles gut gewesen. Die Yasuní-ITT-Initiative ist auch seitens der fehlenden Unterstützung der Bundesrepublik gescheitert.
Wann sind Sie als Botschafter nach Deutschland gekommen?
Im Jahr 2011 bin ich daraufhin als Botschafter der Republik Ecuador nach Deutschland gekommen und habe mein Amt hier in Berlin angetreten.
Es hat mich viel Mühe gekostet, aber wir haben es geschafft, dass die Beziehungen sich dann sehr gut gestaltet haben. Wir haben überhaupt eine große Unterstützung seitens der Zivilgesellschaft in Deutschland besonders für die Yasuní-ITT-Initiative erfahren. Diese Initiative ist aus einer international arbeitenden Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Ziel entstanden, die Emissionsreduktion durch die Nichtausbeutung fossiler Brennstoffe und den besonderen Schutz der Artenvielfalt Ecuadors sowie die soziale Entwicklung im Yasuni-Nationalpark voranzutreiben.
Der Staatsbesuch des Präsidenten Rafael Correa im April 2013 in der Bundesrepublik Deutschland
Wann ist der Staatspräsident Rafael Correa nach Deutschland gekommen? Was hat dies für Auswirkungen auf die Beziehungen beider Länder und für die Initiativen gehabt?
Der Besuch des Staatspräsidenten der Republik Ecuador, Dr. Rafael Correa, fand im Jahr April 2013 in der Bundesrepublik Deutschland stand und bildete einen der Höhepunkte unserer Arbeit in den Beziehungen zwischen unseren Ländern.
Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, muss ich etwas weiter ausführen. Staatspräsident Correa sollte eigentlich bereits im November 2010 nach Deutschland kommen, aber August 2010 kam die Aussage des damaligen Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass er die Yasuní-Initiative nicht umsetzen würde, obwohl dies der Bundestag beschlossen hatte. Daraufhin hat sich Staatspräsident Correa anders entschieden und sich geweigert, nach Deutschland zu kommen. Es kam in den diplomatischen und politischen Beziehungen wirklich zu erheblichen Schwierigkeiten, die wir aber später aufgearbeitet und neu erarbeitet haben. Präsident Correa ist dann daraufhin erst im April 2013 nach Deutschland gekommen.
Was haben Sie für den Besuch des Staatspräsidenten Correa in Deutschland organisiert? Ich bin auch bei dem Vortrag des Staatspräsidenten im Audimax an der Technischen Universität in Berlin dabei gewesen. Was können Sie uns im Einzelnen darüber berichten?
Es ist ein offizieller Staatsbesuch gewesen. Staatspräsident Correa hat Gespräche sowie direkte Interviews mit Bundespräsident Gauck, Frau Bundeskanzlerin Merkel sowie mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages Lammert geführt. Außerdem hat er mehrere Gesprächsmöglichkeiten mit verschiedenen Medien und Wirtschaftsunternehmen genutzt, um die Beziehungen zu verbessern. Es ergab sich die Möglichkeit, dass er einen Vortrag an einer deutschen Universität halten konnte. Höhepunkt bildete dann dieser hervorragende Vortrag Correas an der Technischen Universität Berlin.
Ich möchte mich recht herzlich bedanken bei der TU Berlin, die sich bereit erklärt hat, den Saal „Audimax“ dafür zur Verfügung zu stellen. Das war wirklich eine sehr gute Veranstaltung, weil über 1.700 Menschen zum Vortrag des Staatspräsidenten gekommen waren. Der Hauptsaal H0104 war komplett voll mit interessierten Zuhörern gefüllt. Und wir mussten die Direktionsleitung um einen zusätzlichen Hörsaal neben dem „Alumni“ für eine Videoübertragung einrichten, damit alle Interessierten den Vortrag Correas sehen konnten. Das war wirklich ein sehr wichtiger Vortrag, der durch unsere Botschaft organisiert wurde. Es war nicht nur gut für unsere Regierung, sondern auch für unsere ecuadorianische Bevölkerung zu sehen, wie interessiert die deutsche Zivilgesellschaft ist. Dabei ist wirklich eine sehr interessante Entwicklung entstanden, weil es das erste Mal gewesen ist, dass ein Staatspräsident eines ausländischen Landes, außerhalb Europas, einen Vortrag an einer Universität gehalten hat, um die Entwicklung und die Politik seines Landes zu erläutern. Es konnte sehr viele Erkenntnisse über die Politik und die Wirtschaft in Ecuador nachvollzogen werden. Er hat auch Fragen aus dem Publikum beantwortet. Man konnte seine Meinung und seine positive Ausstrahlung „live“ erfahren.
Was haben Sie für den Staatsbesuch mit organisiert? Waren Sie nicht ein Absolvent der TU Berlin?
Die Beziehungen zur TU Berlin waren immer sehr gut gewesen. Ja, ich habe dort studiert und meinen Abschluss als Diplom-Ingenieur für Maschinenbau und Verfahrenstechnik vor etwas längerer Zeit absolviert. Das hat mich wirklich sehr gefreut, dass meine Alma Mater und die Verbundenheit mit der TU Berlin so stark gehalten hat. Und das sich meine „alte“ Uni sich bereit erklärte, den Vortrag unseres Staatspräsidenten in ihrem größten Hörsaal stattfinden zu lassen.
Ich habe die Reise des Staatspräsidenten selbstverständlich mit organisiert. Der damalige Direktor der Technischen Universität, Herr Dr. Steinbach war vollkommen dafür den Staatspräsidenten zu empfangen. Im Grund genommen haben wir die Wiederbelebung der Beziehungen zwischen Ecuador und der Bundesrepublik Deutschland damit geschaffen.
Was gibt es über die Gespräche des Präsidenten Correa im EU-Parlament im letzten Jahr zu berichten?
Ja, Staatspräsident Correa hat als Vorsitzender der Organisation aller lateinamerikanischen und karibischen Länder (CELAC) eine wichtige Konferenz im letzten Jahr im EU-Parlament in Brüssel abgehalten. Er stimmte der Bitte seitens der Bundesregierung wichtigen Gesprächen zu. Es konnten zwischen Frau Bundeskanzlerin Merkel und ihm viele Probleme geklärt werden. Es war ein sehr interessantes und intensives Gespräch. Die dazu beigetragen haben, die etwas stagnierende Situation in den Beziehungen zu verbessern und wieder in Gang zu setzen. Wir hatten sechs Monate zuvor erhebliche Probleme mit einer Reise von deutschen Parlamentariern gehabt, die nicht genug koordiniert wurden und deswegen abgesagt werden musste. Es gilt in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass auffallend viele der ecuadorianischen Gesprächspartner der Parlamentarier Organisationen oder Personen waren, die in der Vergangenheit mittels Realitätsverzerrung, bisweilen durch rechtswidrige Verleumdung und mit der Absicht, politischen Schaden und einen Ansehensverlust der ecuadorianischen Regierung zu erzeugen, die ecuadorianische Regierung attackiert haben. Diese geplanten Termine und Unterredungen deutscher Abgeordneter mit Personen, die jenseits der demokratischen Streitkultur agieren, sind nicht mit dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und menschliche Mobilität Ecuadors koordiniert worden. Informationen sollten Abgeordnete bei einer offiziellen Parlamentarierreise von mehreren Stellen, auch staatlichen, einholen und nicht ausschließlich von der Oppositionsseite. Man darf nicht vergessen, dass Ecuador hierbei seit 2007 eine absolute Vorreiterrolle hat durch die Yasuní-Initiative, die unter anderem wegen einer fehlenden Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland gescheitert ist sowie aufgrund der Initiative bezüglich der Kompensation vermiedener CO2-Nettoemissionen von Entwicklungsländern, welche ebenfalls die ökologischen Schulden der Industrieländer berücksichtigt.
Erst durch die Gespräche mit Frau Merkel und Präsident Correa in Brüssel im vergangenen Jahr hat sich die Situation verbessert. Daran haben wir sehr intensiv gearbeitet.
Ecuadors Bevölkerung fordert „keine Gewalt“ und steht hinter Präsident Correa
Die Stellungnahmen und Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft über die Politik der Regierung in Ecuador
Was für Stellungnahmen aus den deutschen Medien mussten Sie korrigieren, damit die Wahrheit über die Politik der ecuadorianischen Regierung klargestellt wird? Wie viele?
Es gab Destabilisierungskampagnen gegen die ecuadorianische Regierung seitens der deutschen Medien. Sie versuchten, oftmals die Unwahrheit zu verbreiten. Wir haben als Botschaft daraufhin rund 120 Stellungnahmen herausbringen müssen, um diese verschiedenen falschen oder auch tendenziös unkorrekten Meldungen der Medien zu widerlegen. Das ist nicht der wichtigste Punkt unserer Öffentlichkeitsarbeit und meiner Arbeit gewesen, es ist aber für uns in Ecuador und für alle progressistischen Politiker in Lateinamerika wichtig, dass wir uns für die Wahrheit unserer Politik einsetzen und auch diese verbreiten und klarstellen. Diese unkorrekten Meldungen der Medien oder auch Aussagen der deutschen Politiker sind immer aus einem bestimmten Blickpunkt entstanden, der nicht immer objektiv genug gewesen ist. Es wurden oftmals die wahren Tatsachen verdreht. Das konnte ich nicht dulden und habe deswegen immer diese Richtigstellung gefordert.
Ich habe jede Möglichkeit ausgenutzt, um unseren politischen und wirtschaftlichen Standpunkt der Öffentlichkeit nahezubringen. Ich habe Vorträge, Veranstaltungen und Diskussionsrunden in verschiedenen Versammlungen von Bürgervereinen, politischen Gruppen, aber auch Kirchengemeinden oder selbst kleineren Gruppen von Schülern und Studenten, mit Veranstaltungen mit Künstlern und Seniorengruppen gehalten.
Haben Sie nicht im vergangenen Jahr auch an einem Kirchentag teilgenommen? Was haben Sie dort gesagt?
Ja, ich habe im Juni 2015 bei dem Evangelischen Kirchentag als Gastredner teilgenommen. Das war für mich eine besondere Möglichkeit und das erste Mal, dass ich eine Rede auf einem Kirchentag gehalten habe und die Politik Ecuadors erklären konnte. Ich hatte sonst nicht die Möglichkeit gehabt, an einem Kirchentag teilzunehmen. Ich war äußerst imponiert, in welcher Größenordnung die Gläubigen zusammengekommen sind. Ich habe dann zu mehr als 4.000 Menschen auf dem Auditorium sprechen dürfen. Es war ein sehr schönes und eindrucksvolles Erlebnis.
Es fand hier eine Diskussionsrunde u.a. über Ecuador und die Menschenrechte statt, wozu ich auch eine Stellungnahme bzw. einen offenen Brief geschrieben habe.
Über was und an wen haben Sie einen offenen Brief über den Evangelischen Kirchentag veröffentlicht?
Es wurde ein offener Brief an Armin Laschet, MdL, Fraktionsvorsitzender in Düsseldorf durch mich als Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland geschrieben und veröffentlicht.
In diesem offenen Brief ging es um eine öffentliche Diskussion während des Evangelischen Kirchentages und um das diplomatische Asyl für Julian Assange.
Gemäß der in jedem Rechtsstaat geltenden Präsumtion der Unschuld (in dubio pro reo) gilt Herr Assange solange als unschuldig, wie das Gegenteil nachgewiesen ist. Bislang hat noch nicht einmal ein Verhör in der Botschaft von Ecuador in London stattgefunden, welches Ecuador bereits vor fast vier Jahren den schwedischen Behörden anbot, um die Wahrheit zu ermitteln und um zugleich die Sicherheit Herrn Assanges zu gewährleisten.
Dazu habe ich Stellung bezogen und dem Herrn Armin Laschet, MdL, diesen Brief zugesandt.
Aber ich bin auch in kleineren Gruppen hier in den Bezirken Berlins, aber auch in anderen deutschen Städten unterwegs gewesen, die sich einmal gewünscht haben, etwas mehr über die Politik und die Geschichte Ecuadors zu hören und kennenzulernen. Es gab auch Buchvorstellungen mit den Schriftstellern und Darbietungen mit Künstlern auf zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, die wir organisiert haben und die wir in allen möglichen Formen benutzt haben, um die Öffentlichkeitsarbeit zu stärken.
Stadt des Wissens
Was wurde mit der Initiative „Stadt des Wissens“ verbreitet? Was steckt dahinter?
Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Teil der Politik unseres Landes, die ich unbedingt erklären möchte. Die Initiative „Ciudad de la Ciencia – die Stadt des Wissens“ ist jetzt im vollen Aufbau, bei der über vierzig Professoren an der Universität beschäftigt sind, ein Bildungsprogramm umzusetzen. Diese Universität arbeitet schon mit diesen Professoren und einem Gründerzentrum zusammen. Es sollen hierfür auch ein Technologie- und Industriezentrum gebaut werden.
Wie sieht es mit der Chancengleichheit im Bildungsbereich in Ecuador aus? Was macht Ecuador besser als andere lateinamerikanische Staaten?
Den Auftrag, den wir bereits umsetzen, lautet, dass Bildung nicht vom Geldbeutel des Elternhauses abhängen darf. Es ist nur eine Frage der ausreichenden Kapazität, um die Nachfragen zu erfüllen. Wer die vorgeschriebenen Eignungsprüfungen bzw. Examen schafft, kann auch kostenlos studieren. Es ist uns wichtig, dass es eine Chancengleichheit in Ecuador gibt, denn das ist in Lateinamerika nicht selbstverständlich. Aber für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Bildung eine der wichtigsten Investitionen darstellt und zur Verfügung gestellt werden muss. Das haben wir auch in der Bildungspolitik gezeigt. Wir stehen immer noch an der Spitze der Länder mit den besten und meisten Bildungsabschlüssen, wenn man dies mit vielen anderen OSZE-Ländern vergleicht. Die ist für uns auch eine Verpflichtung, um eine Verbesserung der Lebensbedingungen für unsere Bevölkerung zu erreichen und vor allem die Armut damit zu bekämpfen.
Der US-amerikanische Erdölkonzern Texaco (Chevron übernahm Texaco 2001) hat zwischen 1967 und 1992 als einziges Unternehmen in Ecuador Erdöl gefördert und dabei weder auf die Umwelt noch auf die lokale Bevölkerung Rücksicht genommen.
In den Anfängen waren es zwei Unternehmen, Texaco und Gulf Oil. Mitte der 70er Jahre zog sich Gulf Oil zurück. Texaco bildete den Kopf des Konsortiums zusammen mit dem von der ecuadorianischen Regierung neu gegründeten Erdölunternehmen CEPE (staatliches ecuadorianisches Erdölunternehmen). Ecuador selbst verfügte damals über keine Erfahrung in der Erdölförderung im großen Rahmen. Die technische Leitung übernahm deshalb vollumfänglich Texaco. Auf der Halbinsel Santa Elena besaß Ecuador seit den 40er Jahren eine kleine Raffinerie mit einigen Ölfeldern, alles sehr klein. Erst 1972, als man das erste Barrel Rohöl an die Oberfläche holte, wurde Ecuador zum Erdölförderungsland.
Wie hoch ist der Schaden für die Natur und den dort lebenden Menschen?
Der Schaden wurde im Bezug auf die kontaminierte Fläche quantifiziert, der aus dieser 20-jährigen Förderung von 1972 bis 1992 resultierte. Alle Aktivitäten vor 1972 bezogen sich rein auf die Erdölsuche. Texaco führte 356 Erdölbohrlöcher aus und öffnete 1000 Gruben ohne Abdeckung. Dort hinein gab das Unternehmen Rückstände jeder Art, vor allem Erdöl, Bohrschlamm und verunreinigtes Wasser. Die Reinigung von 162 dieser Gruben diente als Vorwand für die Behauptung, als das Unternehmen das Land verlies, Texaco hätte eine komplette Umweltsanierung durchgeführt. Anstatt der Reinigung wurden diese Gruben aber nur mit Erde zugeschüttet. Die Regierung von Präsident Mahuad traf die äußerst unglückliche Entscheidung, den Vergleichsvertrag über die Reinigung dieser 162 Becken zu unterschreiben. Es ist ein sehr irritierender Vertrag, da die restlichen Gruben darin nicht erwähnt sind. Ein Vertrag, der die tatsächliche Situation unerwähnt ließ. Das Ganze war, um es etwas salopp auszudrücken, eine große Bauernfängerei, eine Falle, in welche die Regierung Mahuad tappte.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es drei verschiedene Rechtstreitigkeiten. Die Forderungen der indigenen Gemeinschaften gegen Chevron-Texaco wurde Recht gegeben und Chevron zur Zahlung von 9,5 Milliarden Dollar verurteilt und dieses Urteil wurde vom Kassationsgericht bestätigt, der höchsten Gerichtsinstanz in Ecuador. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen. Es ist aber bis heute noch kein Geld geflossen, im Gegenteil! Das Unternehmen hat mit Klagen gegen die betroffenen indigenen Gemeinschaften und mit einer Klage gegen den ecuadorianischen Staat geantwortet.
In Deutschland existiert bereits seit einigen Jahren eine breite Zivilgesellschaft, die sich für den Umweltschutz und die Entschädigung der betroffenen Bevölkerung in Ecuador einsetzen. Dies ist ein bedeutendes Solidaritätskomitee, EcuaSoli genannt, bei dem sich verschiedene lateinamerikanische Vereine, Gesellschaften, Experten, Künstler und die Bürgerschaft engagieren. Sie haben mit ihren Aktivitäten und Demonstrationen gegen den Erdölkonzern, aber auch mit dem Beschaffen von Finanzmittel die Gerichtsprozesse am Leben zu erhalten und die legalen Hindernisse, die Chevron aufbaut, versucht zu überwinden.
Was gibt es für weitere Berichte und Netzwerke zum Thema: „La Mano Sucia de Chevron“ (Die schmutzige Hand Chevrons)
Die Zivilgesellschaft und EcuaSoli haben mit der Kampagne „La Mano Sucia de Chevron“ einen wichtigen Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit geschaffen, um über die Umweltverschmutzung zu berichten. Es waren Aktivisten von EcuaSoli in Hamburg dabei, die bei einer Tochtergesellschaft von Chevron protestiert haben und einen offiziellen Brief übergeben haben. Es wurde im Oktober 2015 unter dem Motto „Dirty Hands Chevron!“ ein Protest an der TU Berlin gemeinsam Studenten organisiert.
Hier ist eine faszinierende Öffentlichkeitsarbeit entstanden mit der breiten Zivilgesellschaft in Deutschland. Ich bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, diese Solidarität tatkräftig auf die Beine zu bringen z. B. mit EcuaSoli und die Arbeit mit anderen verschiedenen Bürgergruppen. Die ecuadorianische Bevölkerung kann damit rechnen, dass hier sehr progressistische und sehr gewissenhafte Menschen bereit sind, sich für diese sehr gerechte Sache einzusetzen.
Es war auch eine tolle Bereicherung, das so eine große Breite der Zivilgesellschaft dahinter steht. Nicht nur linksorientierte Gruppen, die sich selbstverständlich für die leidende Bevölkerung einsetzen, sondern auch die große Breite der Bevölkerung und nicht nur Parteien.
Dieser Konflikt mit Chevron zeigt, welche schlimme Entwicklung und Umstände auch hier in Europa entstehen könnten. Was Chevron versucht mit Ecuador zu machen, ist der beste Beweis einer Darstellung der Macht eines einzelnen Konzerns gegenüber einem souveränen Staat. Leider habe ich den Eindruck, dass mit der Unterzeichnung von TTIP es auch in Europa zu dieser unbegrenzten Macht der Konzerne kommen könne. Die Monopolkapitalisten stehen dann wirklich über allen und über die Souveränität der Länder und der Bevölkerung. Dies wäre eine Bewahrheitung des reinen puren neoliberalen Kapitalismus.
Deutschlandweit gab es schon mehrfache, große Demonstrationen mit über Hunderttausend Menschen gegen TTIP. Sehen das die Bürger richtig?
Der Konflikt zwischen Ecuador mit dem Konzern Chevron ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein einzelner Konzern mit Zivilcourage und friedlichen Protest bekämpft werden muss. Ich bin zuversichtlich, dass diese Solidarität innerhalb der Bevölkerung laufen wird und ihre Einsatzbereitschaft gegen TTIP ist bemerkenswert.
Was gibt es über den Gerichtsprozess gegen den Erdölkonzern Chevron aus Kanada und über die Geschädigten des zu berichten? Wie ist der aktuelle Stand?
In Kanada läuft ein Verfahren für die Entschädigung der ecuadorianischen Opfer durch Chevron. Das Gericht hat den Geschädigten erlaubt, einen Rechtsstreit gegen den Konzern weiterzuführen und Entschädigungsgelder in Ecuador erhalten zu können. Die kanadische Justiz hat dieses Verfahren akzeptiert und die Prozesse laufen in diese Richtung. Ich hoffe, dass wir bald einen positiven Erfolg erleben können.
Leider ist die milliardenschwere Entschädigungssumme vom Erdölkonzern Chevron-Texaco bisher noch nicht gezahlt worden. Obwohl das Gericht in Ecuador den Erdölkonzern dazu verurteilt hat, die Entschädigungen zu zahlen. Jetzt hat sogar der Erdölkonzern gegen Ecuador geklagt und beim Schiedsgerichtshof in Den Haag recht bekommen. Chevron hat sich geweigert, das Urteil der souveränen, ecuadorianischen Justiz zu akzeptieren. Die Konzerne gehen über Leichen, Hauptsache für ihre eigenen profitorientierten Interessen. Es ist eine Strategie, die diese Konzerne der Bevölkerung in Ecuador das Leben schwer machen. Damit das Urteil außerhalb von Ecuador nicht anerkannt wird, führen sie diese Gegenprozesse und damit sie keine Entschädigungen zahlen müssen. Die juristischen Rechtsprinzipien werden einfach mit Füßen getreten.
Wie sieht der Stand bei den Prozessen von Chevron II und III aus?
Der oberste Staatsanwalt Ecuadors hat eine Beschwerde gegen den Schiedsgerichtshof in Den Haag eingelegt. In erster Instanz hat der Staat Ecuador verloren. Damit konnte das erste Resultat des Verfahrens Chevron (II) gegen Ecuador widerrufen werden. Allerdings hat der Schiedsgerichtshof keine Argumente wahrgenommen bzw. berücksichtigt. Es wurde nur im Interesse des Konzerns entschieden. Der Prozess läuft noch weiter und ist ein sehr langwieriger.
Bewältigung der Flüchtlingspolitik und Menschenrechte in Ecuador
Was für Maßnahmen hat Ecuador in Fragen der Flüchtlingspolitik in Lateinamerika unternommen? Wie wurden die Probleme bewältigt? Wie viele Flüchtlinge sind in Ecuador aufgenommen worden?
Wir haben zahlreiche Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik in den letzten neun Jahren erarbeitet und umgesetzt. Wir haben Hunderttausende Flüchtlinge, die aus den benachbarten Kriegsgebieten, wie z. B. aus Kolumbien, in Ecuador empfangen können. Wir wurden mehrmals für unsere Flüchtlingspolitik von der UNHCE-Stelle der Vereinten Nationen ausgezeichnet, die dafür zuständig ist. Wir haben mehr als 70.000 politische Flüchtlinge mit vollem Recht anerkannt. Etwa 120.000 Flüchtlinge leben schon in Ecuador und werden derzeit integriert. Wir haben fast 500.000 Kolumbianer und Peruaner aufnehmen können. Obwohl wir längst nicht die Politischen, noch die wirtschaftlich oder institutionellen Möglichkeiten besitzen wir in Bundesrepublik Deutschland. Aber unsere Regierung hat die Aufnahme der Flüchtlinge garantiert, wie es auch derzeit in Europa verstanden wird. Interessant ist aber, wie aufgeschlossen die Flüchtlinge von unserer Bevölkerung empfangen wurden. Selbstverständlich gibt es auch bei uns einige Vorteile gegen Fremde. Weil wir aber die gleiche Sprache sprechen und die Mentalität der Menschen sich ähnelt, ist es für uns einfacher die Menschen „Willkommen“ zu heißen. Das fast 500.000 Flüchtlinge bei uns wohnen und arbeiten dürfen, ist ein Paradebeispiel für unsere Flüchtlingspolitik der Regierung.
Was würden Sie in der Flüchtlingspolitik für Europa empfehlen?
Ich würde es mir nicht erlauben, eine Empfehlung auszusprechen, aber ich beobachte sehr genau, was hier in Europa und Deutschland passiert. Es bereitet mir sehr viel Sorge, was manche Politiker von sich geben und welche rechten Strömungen es hier gibt. Im Allgemeinen sollte man weniger Angst vor fremden Menschen haben, was aber oft geschürt wird. Fremde Menschen bringen meistens eine Bereicherung für die eigene Gesellschaft mit. Daraus können durchaus bessere Bedingungen für alle entstehen. Die Mischung ist immer eine Bereicherung. Ängste entstehen zumeist auch aus Unzufriedenheit und vor allem aus Unwissenheit. Sie ist leider immer sehr präsent, wenn es um schlechte Kommunikation gegenüber der eigenen Bevölkerung in Bezug um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Menschen könnten sich sonst noch besser kennenlernen. Selbstverständlich gibt es immer Probleme bei der Integration, die ist nicht zu leugnen. Aber die Bereicherung durch verschiedene Kulturen ist ein Vorteil für die Gesellschaft.
Zurück zur Flüchtlingspolitik. Die Regierung Ecuador hat einen sehr bekannten Asylsuchenden in ihrer Botschaft in London aufgenommen. Es handelt sich dabei um den Begründer und Chefredakteur der Internetplattform WikiLeaks, Julian Assange. Er ist im Juni 2012 in die Botschaft der Republik Ecuador geflohen, weil er befürchtet aus politischen Gründen und wegen seiner Enthüllungen über die kriminellen Machenschaften der Regierungen von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden. Bei „Pressenza“ haben wir immer viel darüber berichtet. Wie sieht die Situation für Herrn Julian Assange in der Botschaft in London aus?
Die Regierung von Ecuador garantiert den persönlichen Schutz und die Unversehrtheit von Julian Assange, solange er in unserer Botschaft in London bleibt. Alle anderen Versuche, die wir auch durchgeführt haben, sind eine Möglichkeit zu bieten, damit eine Befragung von Julian Assange durch die schwedische Justiz durchgeführt werden kann. Das unheimlich Schlimme daran ist, dass dieser Mensch Julian Assange, vielleicht der einzige Häftling in der EU ist, der ohne Urteil überhaupt gezwungen wird, in einem engen, kleinen Raum seit fast vier Jahren ohne frische Luft, regelmäßiger Bewegung und Sonnenschein bleiben zu müssen. Es wurde seitens der schwedischen Justiz nicht einmal nachgefragt, was er nun tatsächlich gemacht haben soll oder nicht.
Es ist auch bekannt geworden, dass Julian Assange unter körperlichen Schmerzen leidet und diese unbedingt einer medizinischen Untersuchung in einem Krankenhaus benötigen. Dies wird ihm seitens der britischen Regierung verwehrt. Was konnte seitens der Botschaft gegen seine Beschwerde getan werden? Wie kann überhaupt eine medizinische Versorgung jetzt gewährleistet werden, wenn er die Botschaft nicht frei verlassen darf?
Ja, das ist wirklich sehr schlimm. Die vielen Fakten sind mir bekannt und es tut mir sehr leid. Die jetzige medizinische Versorgung von Herrn Assange erfolgt notdürftig über die Botschaft in London. Aber dies ist nicht dasselbe, wie eine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus, die notwendig wäre. Das wird ihm seitens der britischen Regierung nicht gewährt. Die Menschenrechte von Herrn Julian Assange werden wieder mit Füßen getreten. Und das geschieht hier mitten in Europa! Das ist wirklich unglaublich ungerecht! Das ist auch der Eindruck, der bei der Bevölkerung über die britische Regierung entsteht.
Was hatte die UN-Arbeitsgruppe im Februar entschieden?
Am Freitag, 5. Februar 2016, hat die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen (WGAD) öffentlich ihre Entscheidung im Fall Julian Assange gegen Großbritannien und Schweden bekannt gegeben. Sie hält den Aufenthalt von Herrn Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London für illegal. Die Festsetzung verstoße gegen internationale Konventionen, erklärte der Vorsitzende der UN-Arbeitsgruppe, welche aus fünf Mitgliedern bestand in Genf.
Die juristischen Aktionen Schwedens und Großbritanniens bestehen aus einer willkürlichen Inhaftierung, so argumentiert die UN-Arbeitsgruppe. Zudem müsse er für seinen willkürlichen Arrest sogar entschädigt werden, heißt es in dem UN-Gutachten.
Was wird aus ihm, wenn im nächsten Jahr Wahlen in Ecuador stattfinden? Wie sieht nun die Zukunft für Julian Assange aus? Wann wird es Wahlen in Ecuador geben?
Es wird im nächsten Jahr im Februar Präsidentschaftswahlen in Ecuador geben. Der jetzige Staatspräsident Rafael Correa aufgrund des ecuadorianischen Gesetzes nicht erneut kandidieren. Es wird Vieles unternommen, um die bürgerlich demokratische Revolution der letzten neun Jahre in Ecuador weiterzuführen.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich die Menschenrechte auch für Julian Assange durch die Entscheidung der UN-Arbeitsgruppe, die ihm die sofortige Freiheit bestätigen, erfüllen werden. Sie können vergewissert sein, dass wir alles diplomatisch und juristisch Mögliche dazu beitragen, damit er bald seine Freiheit erhält.
Wir sind sehr stolz darüber, was wir politisch und wirtschaftlich in den letzten neun Jahren in Ecuador erreicht haben. Diese progressistische Linie weiter fortzuführen, wird uns helfen, mit einem neuen Kandidaten die Wahl des Präsidenten unserer Bewegung zu gewinnen.
Interview mit dem Botschafter von Ecuador: Was kann Europa von Lateinamerika lernen?
Gibt es schon einen geeigneten Kandidaten aus Ihrer demokratischen, revolutionären Bewegung?
Das ist noch nicht entschieden. Diese Hauptrichtung der demokratischen, revolutionären Bewegung wird weiter fortgeführt werden. Wie Sie bereits wissen, ist es derzeit in Lateinamerika sehr gefährlich, wie sich einige Regierungen stark nach rechts drehen und eine Oberhand bekommen. Das ist eine politische Folge der Außenpolitik und des Drucks der USA, dem sich diese Regierungen unterwerfen. Das ist ganz klar. Man kann nicht leugnen, dass wir auch Fehler in der Politik gemacht haben, deshalb sind einige Menschen unzufrieden. Wir haben allerdings daraus gelernt und als links-progressistische Regierung sind wir weiter auf dem Weg der Erneuerung. In Ecuador sehen wir auch die Entwicklung in den anderen Ländern Lateinamerikas, was in manchen südamerikanischen Ländern geschieht, ist teilweise diktatorisch und gefährlich. Ich glaube, wir können sehr Vieles verbessern, bis dann die Wahlen im Februar 2017 in Ecuador stattfinden werden.
Mehr Demokratie mit DiEM25 und eine volksnahe Wirtschaftspolitik
In Europa gibt es neue progressistische demokratische Bewegung. Sie nennt sich DiEM25 und gründete sich u.a. durch den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Die Gründungsversammlung fand in Berlin statt, wo Yanis Varoufakis und auch Julian Assange (Videolink) gesprochen haben. Die Ausrichtung der politischen Prominenz ist groß. Es sind auch neben den Parteien wie die Linke, Sozialdemokraten, Grüne, Piraten, links-progressistische Kräfte und neue Strömungen dabei. Was können Sie dazu sagen? Was erhoffen Sie sich von DiEM25?
Ich bin selbst bei der Gründungsversammlung im Februar von DiEM25 im Theater der Volksbühne in Berlin dabei gewesen. Es war sehr beeindruckend.
Die Veränderungen in einer Gesellschaft entstehen aufgrund verschiedener Situationen der Ungerechtigkeit. Wenn diese Verhältnisse sich zuspitzen, lässt sich das die Bevölkerung nicht gefallen. Sie unternimmt neue Schritte, einer Veränderung herbeizuführen. Die sozialen Zustände sollen sich verbessern. Aber man muss immer achtsam bleiben, dass diese sozialen Bewegungen der „Unzufriedenheit“ nicht in andere radikale Richtungen umschlagen. Es gibt sehr gute Beispiele wie mit Varoufakis in Griechenland oder auch die neuen Strömungen in Spanien, die gegenwärtig in Europa passieren.
Es gibt eine neue Generation von engagierten Menschen, die mit sehr guten Argumenten und mit sehr guten Kenntnissen in der Lage sind, sehr viele gesellschaftliche Fragen zu stellen und neue Konzepte für eine bessere Gesellschaft zusammenzutragen. Ich hoffe sehr, dass diese Argumentation tatsächlich für die breite Bevölkerung zur Verfügung steht.
Mit dieser breiten Unterstützung und unter demokratischen Regelungen ist es möglich, vieles zu verbessern und zu betätigen. Sehr klar muss aber sein, was hinter dieser Politik steht und jetzt befinden wir uns leider im neoliberalen Kapitalismus. Es gibt kaum ein Land in Lateinamerika, außer Länder wie Ecuador und die ALBA-Staaten, das nicht diesen neoliberalen Kapitalismus verfolgt. Und wir haben uns klar dagegen gestellt!
„Economía popular – Ein volksnahes und solidarisches Wirtschaftssystem
Was kann Lateinamerika, die ALBA-Staaten und Ecuador aus den Erfahrungen und den Fehlern des damaligen „realexistierenden“ Sozialismus in der DDR und dem ehemaligen Ostblock lernen? Die Produktionsmittel müssen im Staatseigentum sein?
Ich stimme Ihnen zu, dass der Sozialismus ein gerechter Weg ist. Aber man darf nicht außer Acht lassen, dass in den sozialistischen Gesellschaften bis 1990 hier in Europa auch sehr viele Fehler gemacht wurden. Dies sind auch die Erfahrungen, die man nicht mehr machen darf. Wir, in Ecuador und den ALBA-Ländern, arbeiten an einer neuen Politik, um neue Theorie zu schaffen für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts! Dieser Sozialismus, den wir uns vorstellen, ist vollkommen verschieden, als jener, der in Osteuropa existierte.
Der Besitz der Produktionsmittel soll beim Staat liegen, wie eine Volkswirtschaft. Wie sinnvoll war eine Planwirtschaft?
Nein, nicht ganz. Der Staat soll tatsächlich die Obhut für die strategisch wichtigen Produktionsmittel behalten und den Besitz von großen Infrastrukturen wie Banken, Rohstoffe, erzeugende Industrie, aber auch in den Bereichen der Bildung, dem Gesundheitswesen und der des Bauwesens stärken. Aber das heißt nicht, dass die Initiative des kleinen Unternehmens nicht gefördert wird. Der Staat ist unfähig sämtliche Nachfragen und Bedürfnisse der Bevölkerung zu regeln. Das hat sich bis heute bewahrheitet. Dass dabei Fehler passiert sind, und die Menschen manchmal unzufrieden waren, ist die Folge einer Planwirtschaft. In Ecuador unterstützen wir deshalb sehr das freie Unternehmertum, um z.B. der Handwerksbetriebe und der Dienstleistungen.
Aber Infrastrukturen wie Erdöl und Bergbau gehören im Eigentum des Staates. Wir arbeiten in diese Richtung weiter und wollen eine höhere Beteiligung der Menschen erreichen. Wir haben es in den letzten fünf Jahren geschafft, mehr als 1,5 Millionen Menschen von der extremen Armut direkt in eine Mittelschicht zu katapultieren. Dies ist aufgrund der direkten staatlichen Unterstützung geschehen. Es wurden viele Mikrounternehmen direkt in Gang gesetzt.
Wir haben einen neuen wirtschaftlichen Sektor geschaffen: „Economía popular“, die wir als volksnahe und solidarische Wirtschaft bezeichnen.
Im Bildungswesen haben wir es geschafft, dass die staatlichen Schulen kostenfrei sind. Aber es wurde eine kulturelle Sache eingeführt, das einheitliche tragen von Schulkleidung für die Kinder. Es ist ein gutes Prinzip, um eine Gleichheit zu schaffen. Jedes Kind hat so eine Schuluniform und dadurch gibt es keine gesellschaftliche Trennung. Die Kinder bekommen alle ein warmes Mittagessen und die Schulbücher gestellt. Sehr Vieles davon wird von kleinen Unternehmen aus den lokalen Gemeinschaften hergestellt, geliefert und organisiert. Die Mütter und Eltern haben sich zusammen organisiert und kochen nach alten, einheimischen Kochrezepten für die Schulkinder. Dadurch erhalten die Kinder sehr gute Nahrung als Schulspeisung und kein Fastfood. Das ist eine Leistung der Mütter und dieser Kleinunternehmen.
Als Kommunalpolitikerin und Bezirksverordnete im Bereich Schule und Sport bin ich selbst in Berlin engagiert. Wir bemühen uns auch, eine Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler zu erzielen. Wir bieten sogar einen kostenfreien Kitaplatz für jedes Kind ab 3 Jahren in Berlin an. Aber was mich so in Ecuador fasziniert, ist diese hohe Motivation und Lehrbereitschaft der Kinder und Studenten einen guten und bestmöglichen Bildungsabschluss zu erreichen. Das ist vor allem auch durch die Bildungspolitiker ihres Landes erreicht worden, sich für das lebenslange Lernen einzusetzen. Wie hat Ecuadors Regierung sich für die Bildungspolitik eingesetzt?
Wir haben in der Bildungspolitik keine Bremse. Im letzten Jahr haben wir mehr als 14.000 Stipendien an die besten Universitäten der Welt schicken können. Wenn die Absolventen zurückkommen, sind sie nicht verpflichtet, für den Staat zu arbeiten. Hauptsache sie kehren nach Ecuador zurück. Sie können selbst Unternehmer werden. Sie können für die Privatwirtschaft oder auch für den Staat arbeiten. Die einzige Bedingung für die Stipendianten ist es, wieder nach Ecuador zurück zukommen und wenigstens die doppelte Zeit, die sie im Ausland studiert haben, hier in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu arbeiten. Es werden Projekte für diese Kleinunternehmen geschaffen, damit sie ein Startkapital und ein Darlehen haben. Die Verträge schließen die Kleinunternehmen mit dem Staat. Sie wären sonst der freien Marktwirtschaft ausgeliefert.
In den Jahren 2013 / 2014 hatte der Staat Ecuador mehr als 10 Milliarden US-Dollar an direkten Verträgen für diese Mikrounternehmen investiert. Das heißt, das ist die wahre Förderung der Mikrounternehmen. Wir helfen nicht nur mit kleinen Investitionen, sondern wir haben großzügig die Produktion gefördert und unterstützt.
Ecuador ist einer der größten Mais-Produzenten?
Mais ist für uns eines der Grundnahrungsmittel. Ecuador ist absolut unabhängig vom Import von Mais. In den letzten 50 Jahren ist Ecuador absolut unabhängig von der Einfuhr von Mais aus den USA geworden. Es gibt dort auch viele umstrittene Unternehmen wie z.B. Monsato, die ihr Unwesen mit genmanipulierten Pflanzen getan haben.
In welchen Bereichen ist Ecuador ebenfalls im Export führend?
Der Export von Erdöl ist immer noch sehr wichtig, aber nicht mehr so sehr, wie es vor 10 Jahren gewesen ist. Wir haben die Erdölabhängigkeit im Bezug auf den Staatshaushalt praktisch um die Hälfte senken können. Heute sind wir noch bis ca. 24% der Einnahmen im Staatshaushalt vom Export des Erdöls abhängig.
Wir sind immer noch Hauptproduzent von Bananen in der Welt. Ungefähr 49% des Weltmarktes von Agrarprodukten wie Bananen, Kaffee, Kakao, Schokolade, Blumen aber auch Meerestiere- und Fischproduktion werden von Ecuador abgedeckt. Sie werden auch bei uns produziert. Wir haben aber heute große Schwierigkeiten, weil der US-Dollar stark aufgewertet wurde. Aufgrund falscher Wirtschaft- und Finanzpolitik in den Jahren ab 1992 bis 2000 sind wir eine US-Dollar-abhängige Gesellschaft geworden. Das hat manchmal auch Vorteile gebracht. Aber heute, wo der Dollarkurs so hoch steht, ist es für unsere größten Handelspartner Kolumbien und Peru äußert schwierig, unsere Produkte zu kaufen. Sie haben ihre eigene Währung abgewertet, um sich zu schützen. Das können wir nicht machen. Kolumbien hat 60% ihrer Währung abgewertet. Die Preise unserer Produkte, die wir nach Kolumbien exportieren können, haben sich verdoppelt. Das ist für uns eine sehr schwierige Situation. Dies schlägt sich auch auf unseren eigenen Erdölexport nieder, weil das Erdöl in den anderen Ländern wesentlich billiger geworden ist. Wir haben praktisch sieben Prozent unseres Inlandsproduktes verloren. Aber anhand der Gestaltung unserer Wirtschaftspolitik ist diese viel widerstandsfähiger geworden.
Im letzten Jahr hat sich unser Wirtschaftswachstum um 0,3 % erhöht. Das hört sich erst einmal wenig an, aber wir haben einen positiven Anstieg im Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, trotz weltweiter Wirtschaftskrise. Im Jahr 2015 hat der Staat Ecuador hart daran gearbeitet sich weiterzuentwickeln, ohne einen Cent dafür vom Erdöl einzusetzen. Das wissen die Wenigstens. Aber es zeigt, dass wir eine weitere unabhängige Wirtschaft vom Erdöl erzielen, die uns auch eine bessere Zukunft bringen wird. In diesem Jahr werden Maßnahmen getroffen und einige Investitionen auch verlangsamt, damit das Wirtschaftswachstum weiter positiv wächst.
Wir arbeiten sehr stark in Richtung Bildung und mit Unternehmen zusammen. Wir hoffen, in diesem Jahr zu schaffen, ein duales Berufsausbildungssystem wie in Deutschland auch in Ecuador umzusetzen. Dazu arbeiten wir mit einem Zentrum zusammen, welches schon mit der deutschen Schule in Quito existiert und ein duales Ausbildungskonzept umgesetzt hat. Dies wird auch mit deutscher Förderung unterstützt und ausgebaut. Dort werden dann die Lehrer der Berufsschulen ausgebildet. Es wurde in Gesprächen mit Studenten aus Ecuador sehr begrüßt, nicht nur die „reine“ Lehre vermittelt zu bekommen, sondern auch diese praktische Ausbildung in den Unternehmen und Institutionen kennenzulernen.
Wie funktioniert das?
Es gibt ein gesamtes Bildungsprogramm mit über 40 Instituten. Es fehlte uns erst an erfahrenen Lehrern, die dort unterrichten können. Wir haben jetzt diese Zentren aufgebaut, damit die Lehrer ausgebildet werden können. Ich hoffe, dass dieser Traum wahr wird, den ich hier persönlich entwickelt habe. Dieses Bildungsprogramm wird jetzt in unserem Land umgesetzt.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage, wann sind Sie nach Deutschland gekommen? Warum haben Sie gerade hier an der Technischen Universität in Berlin studiert? Was gefällt Ihnen an Berlin?
Es war ein Zusammenspiel von vielen seltsamen und spannenden Situationen, dass ich nach Deutschland gekommen bin. Ich spreche von der Zeit 1970 bis 1971. Es war schon komisch, dass ich auf dem Flughafen Berlin-Tegel mit einer der letzten Maschinen mit der British-European-Airways gelandet bin. Es war mitten im Hochsommer und es war hier ebenfalls sehr schön. Es gefällt mir richtig gut. Und jetzt bin ich mit einigen Unterbrechungen hier in Deutschland.
Ich bin 15 Jahre lang in Berlin geblieben. Erst 1986 bin ich wieder nach Ecuador zurückgekehrt. Zwischenzeitlich hatte ich das große Privileg, ein ausgezeichnetes Studium als Ingenieur für Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin zu genießen. Ich war total frei, weil ich auch einmal andere Studienrichtungen kennengelernt habe. So habe ich auch Kurse an der Freien Universität zu Berlin wie Politikwissenschaften, Philosophie und Betriebswirtschaft belegt. Das hat mich sehr stark bereichert. Ich habe mein technisches Studium als Maschinenbau- und Verfahrenstechnik an der TU Berlin erfolgreich abgeschlossen. Ich bin dann nach dem Studium zurück nach Ecuador gegangen. Es war keine leichte Situation für mich, aber es war doch eine sehr wichtige Entscheidung, um mehr Erfahrungen zu bekommen, die ich später benötigte.
Wie sieht es mit der Akkreditierung in Deutschland, aber auch mit den Nebenakkreditierungen in Luxemburg, Belgien Tschechien und Polen aus? Was machen Sie zukünftig?
Die Akkreditierungen und Nebenkreditierungen werden weiter durch meinen nachfolgenden Botschafter übernommen. Ich habe noch keine Ahnung, aber ich hoffe, dass ich als Dozent bzw. Professor Vorträge an verschiedenen Universitäten über Ecuador abhalten werde. Aber auch auf anderen Gebieten werde ich mich engagieren.
Vielleicht berichten Sie uns von der Bewegung DiEM25 zwischen Europa und Lateinamerika?
Ich finde DiEM25 sehr interessant. Wenn ich eine Verbindungsmöglichkeit nach Lateinamerika aufbauen kann, würde ich das sehr gern machen. Ich bin überzeugt, dass DiEM25 eine wirklich sehr interessante Alternative für die Demokratie in Europa darstellt. Mit der Erfahrung, die wir in Lateinamerika geschafft haben, können wir einiges dazu beitragen, dies hier mit einfließen zu lassen. Ich freue mich sehr, wenn ich meine Freunde aus Deutschland in Ecuador begrüßen kann.
Einen herzlichen Dank für das intensive und ausführliche Interview im Namen der Redaktion von Pressenza Berlin, aber auch einen großen Dank von den Aktivisten von EcuaSoli soll ich übermitteln, deren Initiativen Sie unterstützen haben.
Ebenfalls einen herzlichen Dank an das Solidaritätskomitee EcuaSoli und der engagierten Zivilgesellschaft in Deutschland für das Interesse und der Solidarität für die ecuadorianische Bevölkerung.