Kooperative setze auf Vernetzung im Stadtteil – Glutenfrei Backwaren für den örtlichen Supermarkt – Straßenhändler fit für Olympia machen
Deodoro liegt ganz im Norden von Rio de Janeiro. Es ist eine Communidade wie so viele in der Nordzone der Megacity. Die grundlegenden Probleme der Menschen sind gelöst. Es gibt asphaltierte Straßen, Wasserversorgung und die Leute haben halbwegs sichere geregelte Einkommen. Und würde nicht in ein paar Wochen der Olympiatross ganz in der Nähe kurz Station machen, es bliebe eine der zahllosen Vororte; gäbe es da nicht die Frauen und Männer des Netzwerks Dom Helder Câmara de economia solidaria.
In einem früheren Obst- und Gemüseladen in der Estrada do Engenho novo 1570 verfolgen sie eine Reihe ehrgeiziger Ziele. Sie alle drehen sich um das Thema Ernährung.
„Wir wollen Kost anbieten, in der weder Gluten noch Lactose enthalten ist“, sagt Rosamaria Cordeiro Alvarenga, beim Netzwerk zuständig für die Produktion gesunder und glutenfreier Lebensmittel. Auch in Brasilien steige die Zahl der Unverträglichkeiten und Allergien, häufig hervorgerufen durch Pestizide und Dünger bei der Produktion. Diese Diät-Lebensmittel sind bislang in den örtlichen Supermärkten selten zu bekommen. Und wenn, dann sind sie deutlich teurer. Hier setzen die Damen um Rosamaria an. Salgados, Kuchen, Cracker oder Brot – alles das wollen sie in der Küche des früheren Obstladens herstellen.
Weitere Pläne: Beschädigte Produkte oder nicht mehr verkaufsfähiges Obst des Supermarkts sollen weiterverarbeitet werden, um sie so vor dem Verfall zu retten. Mehl, dessen Verpackung leicht beschädigt sei, lasse sich weiterverarbeiten, ebenso Bananen oder andere Früchte, deren Schalen leicht beschädigt oder unansehnlich sei. „Bei Bananen kann man alles verwenden“, sagt Rosamaria. Die Frucht selbst lasse sich verbacken oder einkochen, aus der Schale könne man Gelee, Kompott, Mehl oder Kuchen herstellen, teilweise auch Naturheilmittel. Diese wurden früher häufig benutzt, gerieten aber immer mehr in Vergessenheit. Diesen verschütteten Wissensschatz, der auch in der Communidade von Deodoro vorhanden ist, möchte man künftig heben und pflegen. Doch den Menschen der Kooperative ist nicht nur die Herstellung wichtig. Auch der Austausch steht im Vordergrund. „Jeder weiß, wofür etwas gut ist“, sagt Rosamaria.
Das Thema Lebensmittelsicherheit ist ein großes Thema in Brasilien, sagt auch Glaucia Ferreira Lima de Brito, Leitein der Casa Dom Helder. „Eines der wichtigsten der letzten Jahre.“ Doch viele Menschen können es sich kaum leisten sich ausgewogen oder gesund zu ernähren. Zwar sei die Unterernährung in Brasilien generell zurückgegangen, und das Land offiziell von der Karte der Hungerstaaten verschwunden, doch sei das Thema nach wie vor virulent. Deshalb wird auch eine Ernährungsberatung angeboten. Darin soll Müttern gezeigt werden, wie sie mit einfachen und billigen Mitteln ein ausgewogenes und nahrhaftes Kraftfutter für ihre Kinder herstellen können.
Grundsätzlich plant man hierfür auch, mit Herstellern organischer Produkte und Kleinbauern künftig enger zusammenzuarbeiten und diese in die Wertschöpfungskette einzubeziehen. Denn: Die guten Produkte aus dem organischen Landbau kommen bei vielen Leuten, wie hier in Deodoro kaum an. Sie landen in den Supermärkten der Südzone. Oder sie sind zu teuer, weil der Zwischenhandel kräftig mitverdienen will. „Das wollen wir aufbrechen“, sagt Glaucia.
Bis dahin ist es aber noch ein Stückchen. Denn eine solche Produktion bringt hohe Auflagen mit sich, zahlreiche Genehmigungen müssen eingeholt und die Räume teilweise noch umgebaut werden, um den Anforderungen zu genügen. Erste Schritte dorthin sind unternommen, die Genehmigungen stehen noch aus.
Bislang traten Initiativen wie diese oft auf der Stelle. Entweder bekamen Ketten oft Wind von den Ideen und verdrängten diese, oder aber Aufkäufer sorgten dafür, dass die Waren aus dem Umlauf in der Communidade verschwanden.
Das will man nun anders organisieren, nämlich lokaler. Ein erster Vertriebsweg steht bereits. Verkauft werden sollen die Lebensmittel im Supermarkt von Renê Neto da Fonseca, hundert Meter die Straße runter. Er ist gerne bereit, Regalflächen für die gluten- und lactosefreien Produkte der Kooperative bereitzustellen. Denn diese füllten auch eine Angebotslücke, die er bisher nicht schließen konnte. Zwar gebe es gewisse Sortimentsvorgaben durch die Handelskette, der auch sein Markt angehört. Aber gewisse Freiheiten bei der Zusammensetzung des Sortiments habe er schon.
Ursprünglich hatte Rene sogar vor, noch enger mit der Kooperative zusammenzuarbeiten. Die Idee war, in dem früheren Verkaufsraum eine kleine Kantine eingerichtet. Rene hätte seine 90 Mitarbeiter gerne dorthin zum Mittagessen geschickt. Doch die Belegschaft entschied sich zunächst dagegen.
Rene stellt der Kooperative seine Ausschussware zur Weiterverarbeitung zur Verfügung. Er wäre sogar breit, sollte das Konzept verfangen und Fahrt aufnehmen, darüber nachzudenken, seine hauseigene Bäckerei ganz auf glutenfrei umzustellen und mit der Kooperative zusammenzuarbeiten. Dort werden täglich rund 100 Kilo Brot und Brötchen gebacken. Doch bislang ist das noch Zukunftsmusik.
Keine Zukunftsmusik mehr sind die Olympischen Spiele, die im August dem Blick der Weltöffentlichkeit nach Rio lenken. Auch von diesem Kuchen will man in Deodoro sich ein Stückchen abschneiden – findet doch ein Teil der Wettkämpfe direkt vor der Haustüre statt.
2014, als die Fußball-Weltmeisterschaft in Braslien zu Gast war, verfuhr der Organisator FIFA rigoros. Straßenhändler, die immer schon rund um die Stadien Getränke und Snacks verkauften, Kleinstunternehmer, die zum Straßenbild von Rio gehören, wurden ihrer Existenzgrundlage entzogen. Die FIFA schlug eine Bannmeile um die Stadien. Innerhalb der Zone durften nur offizielle FIFA-Partnerprodukte verkauft werden. Die Kleinhändler hatten keine Chance.
Isaias, Koordinator dieses und vieler anderer Projekte, bei denen auch das deutsche Hilfswerk Adveniat engagiert ist hofft, dass es diesmal anders wird. Man stehe im Kontakt zum IOC und zum nationalen olympischen Komitee, um die Kleinhändler diesmal partizipieren zu lassen. Er will klären, was die Händler verkaufen dürfen und wie die Produkte, etwa Sandwiches zubereitet sein müssen, um den Anforderungen zu genügen.
Doch auch diese Gespräche verlaufen zäh. Gut möglich, dass es nichts mehr gibt mit der offiziellen Genehmigung. Aber für diesen Fall gibt sich Isaias kämpferisch. „Entweder wir bekommen die Genehmigung, oder wir verkaufen auf den Geländen der katholischen Gemeinden drumherum“, sagt er.