Rassismus: sind Schwarze im Maghreb Bürger wie alle anderen?
Sie betteln und tragen groteske Aufmachungen: übergroße Kopftücher für die Frauen und auch für die Mädchen; Djellabas aus Stoff für Männer; zur Schau gestellte Tasbih (muslimische Gebetsketten). Sie sprechen zu oft den Namen „Allah“ aus und rezitieren die Koranverse falsch. Zahlreiche schwarze Migranten greifen, auch wenn sie keine Muslime sind, auf islamische Symbol zurück, um die Barmherzigkeit der Algerier zu erwecken.
Warum tun sie das? Sie tun es, weil das Elend in die Lage versetzt, die Kultur besser zu entziffern als die Reflexion und die Migranten ohne Dach über dem Kopf und ohne Brot hier schnell verstanden haben, dass es keine Empathie zwischen Menschen, sondern nur zwischen Anhängern ein und derselben Religion gibt. Der Standpunkt zu den Schwarzen war in Algerien über Jahre von einer diskreten Distanz charakterisiert, die sich dann in gewalttätige Ablehnung verwandelte.
Ein anderes Beispiel: Im Oktober 2015 fiel eine Migrantin aus Kamerun in Oran einer Gruppenvergewaltigung mit der Bedrohung durch einen Hund zum Opfer. Die Frau erstattete Anzeige bei den Behörden, aber sie wurde unter zwei Vorwänden zurückgewiesen: sie hatte keine Papier und war keine Muslimin. Die Geschichte von Marie-Simone ist zu einem berühmten Rechtsfall geworden. Schließlich bekam das Opfer mit Hilfe der Unterstützung einiger algerischer Bürger Recht. Aber sie ist die Ausnahme.
Die Situation war aber nicht immer so. Der Standpunkt gegenüber den Schwarzen in Algerien, der über Jahre durch eine diskrete Distanz gekennzeichnet war, hat sich in letzter Zeit in gewalttätige Ablehnung verwandelt. Es liegen keine zuverlässigen offiziellen Statistiken vor, aber zahlreiche Migranten kommen hier aus Mali, Niger und Libyen. Und es ist klar, dass die Anzahl der Einwanderer aus der Subsahara in den letzten Jahren zugenommen hat. Einerseits ist dieses Phänomen auf die Instabilität der Nachbarländer, vor allem Libyens, zurückzuführen, das in der Vergangenheit als die große Drehscheibe der Migration von Afrika nach Europa galt.
Die nicht-muslimischen Schwarzen als Opfer
Während ein Einwanderer in Europa sein Glück versuchen kann, indem er auf das Humanitäre und die Schuld anspielt, so ist der Andere im Algerien der letzten Jahre nur noch durch die Linse der Konfessionen sichtbar. Im Westen basiert der Rassismus auf der Hautfarbe, in den arabischen Ländern auf der Religion. Dennoch sind diese beiden Formen des Rassismus miteinander verbunden: die Menschen im Westen verleugnen die Araber (oder stellen sie unter Generalverdacht). Und die Araber verleugnen die Schwarzen (oder stellen sie unter Generalverdacht). Welcher ist der kausale Zusammenhang? Die Verleugnung als Dominoeffekt? Vielleicht. Die Ähnlichkeit und die Mimikry sind beunruhigend.
Aber diese komplexen Aspekte interessieren hier keinen: sie werden einfach ignoriert. Natürlich gibt es muslimische Algerier, die weder sektiererisch noch rassistisch denken, aber sie zählen wenig für die Elite oder die öffentliche Debatte. Der fundamentalistische Diskurs beeinflusst auch die gemäßigtsten religiösen Standpunkte. Teilweise lässt sich das in Algerien wie auch in anderen arabischen Ländern auf die durch Scheidewände getrennten Medien- und intellektuellen Diskurse zurückführen.
Einerseits liest man gewaltige Artikel über den Rassismus in Europa, die den „Dschungel“ von Calais als eine Art Konzentrationslager beschreiben und gelogene Vereinfachungen wie „Für Araber oder Afrikaner gibt es in Frankreich keine Arbeit“ bringen, wie beispielsweise in einem Titel einer islamistischen Zeitung Ende Februar stand. Andererseits finden sich Analysen, die den Namen des Ku Klux Klan verdienen und in denen die Schwarzen als Menschen mit mangelndem Bürgersinn, Verbrecher und Überträger von Krankheiten beleidigt werden. Diese Doppelmoral ist nicht nur kurios, sondern vor allem bequem und zerstörerisch.
Bei den Anderen sind es Vergehen, bei sich gelten sie als Notwendigkeit
Anfang März kam es in Ouargla, in einem der wichtigsten Ballungsräume der algerischen Sahara, zu Auseinandersetzungen zwischen den Einheimischen und den Migranten aus der Subsahara infolge der Ermordung eines Algeriers durch einen Nigerianer. Das Einzelschicksal verwandelte sich schnell in eine Rache der Bevölkerung, mit einer Jagd auf Migranten auf den Straßen. Es gab Dutzende Verletzte. Es kam auch zu einem Angriff gegen ein Flüchtlingslager. Die Behörden haben die massive Verlegung von Einwanderern in eine südlichere Stadt angeordnet. Diese Verlegung bedeutet normalerweise den Auftakt der Ausweisung aus dem Land. Ähnliches ereignete sich in Béchar im westlichen Teil des Landes.
Diese Welle des Fremdenhasses, die eine beispiellose Gewalt mit sich bringt, hat die algerische Sahara heimgesucht, ohne auf massive Kritik zu stoßen: denn die Denunzierung des Rassismus beschränkt sich im Allgemeinen auf die Verbrechen des Westens. Bei den Anderen sind es Verstoße, bei sich Notwendigkeit. Wie kommt es aber, dass man das, was man anderswo denunziert, bei sich nicht wiederfindet und offensichtlich gar keine Schuldgefühle hat?
Wie baut sich das Opfer von Rassismus seinerseits ein rassistisches Bewusstsein auf? In Algerien sind die laizistischen und linken Eliten kurzsichtig geworden, weil sie das kolonialistische Trauma als die einzig mögliche Weltanschauung pflegen. Die Schwarzen, die als Entkolonisierte oder Entkolonisatoren wahrgenommen werden, werden sei es verteidigt als auch idealisiert. Sie stellen gar nicht mehr einen Unterschied dar, sondern reflektieren nur noch unsere eigenen Sorgen.
In ihren antiwestlichen Diskursen denken die wohlmeinenden Algerier, dass sie die Schwarzen schützen, indem sie die rassistische Umgebung denunzieren. Aber sie besuchen nicht die traurigen Flüchtlingslager und leben auch nicht mit den Schwarzen zusammen, lassen sie nicht ihre Töchter heiraten und reichen ihnen in der heißen Jahreszeit auch nicht die Hand. Die laizistischen Algerien nennen die Migranten aus der Subsahara oft „Afrikaner“, als würde der Maghreb nicht zum selben Kontinent gehören.
Die Widersprüchlichkeit einer religiösen Konvertierung als Ausweg
Die religiösen Fundamentalisten sind nicht weniger rassistisch. Anlässlich eines Fußballspiels zwischen Algerien und Mali im November 2014 veröffentlichte die islamistische Zeitung Echourouk ein Foto schwarzer Fans mit dem Titel: „Weder Guten Tag, noch Willkommen. AIDS hinter euch und Ebola vor euch“. Aber die Vorurteile der Religiösen führen diese zu einer anderen Gleichung, die gleichzeitig einfach und monströs ist: Der Andere ist Muslim oder er ist es nicht.
Für Schwarze ist die Konvertierung zum Islam keine Sicherheitsgarantie
Die religiös Konservativen sehen genauso wie die laizistischen Eliten die Schwarzen als Opfer der Ungerechtigkeit der weißen Kolonialherren, aber ihrer Meinung nach ist die Erlösung nur durch Allahs Hilfe möglich. Ihre Propaganda erinnert oft ans Beispiel der Mythologie der ersten Jahre des Islam: Bilal, der schwarze Sklave aus Abessinien, der durch seine Konvertierung zum Islam frei wurde.
Aber für jeden Bilal gibt es Millionen anderer Schwarzer, inklusive der Konvertiten, die über Generationen versklavt wurden. Die arabische Sklaverei ist bis heute ein Tabuthema, das durch die Verurteilungen der westlichen Sklaverei verschwiegen wird.
Wenn man schwarz ist, ist die Konvertierung zum Islam nämlich keine Sicherheitsgarantie. Das Verbrechen eines Einzeltäters reicht aus, um Hunderte auszuweisen. Die Strafaktionen in Béchar sind an einem Freitag, dem Tag des wöchentlichen Gemeinschaftsgebetes ausgebrochen, nachdem die Predigten zur Läuterung aufgerufen hatten, um auf die Sitten der Migranten zu reagieren, die als zu lasch wahrgenommen werden. Für die religiös Konservativen lenkt die Kultur die Menschen aus der Subsahara von der strikten Orthodoxie ab. Somit sind auch die schwarzen Muslime keine wahren Muslime.
von Kamel Daoud, Jeune Afrique, 17. Mai 2016
Übersetzung aus dem Französischen von Milena Rampoldi