Im Interview mit dem bekannten türkischen Ebrukünstler Atilla Can erzählt er uns über seine Bemühungen bei der UNESCO die Anerkennung der Ebru-Kunst zu erhalten sowie über die Ebru-Kunst und ihre religiöse Bedeutung im Islam.
Aygun Uzunlar: Wann und warum haben Sie mit der Ebrukunst begonnen? Welche Bedeutung hat die Ebrukunst für Sie?
Atilla Can: Seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Kunst. Es machte mir immer großen Spaß, verschiedene Techniken wie Zeichenkohle, Aquarell und Ölmalerei auszuprobieren. Mir wurde bewusst, dass die Ebrukunst eine vollkommen verschiedene Technik war und ihre Nutzung von Wasser als Leinwand etwas Faszinierendes und Geheimnisvolles an sich hatte. Um diese Kunst besser zu verstehen, begann ich, Ausstellungen zu besuchen. Dort traf ich auf meinen Lehrer Ali in der künstlerischen Hauptstadt der Türkei, Istanbul. Ich besuchte meinen ersten Ebrukurs am 29. Mai und wurde dann nach 5 Jahren Ebrumeister. Auf die Frage, was Ebru für mich bedeutet, möchte ich Ihnen sagen, dass Ebru eine bedeutsame und gleichzeitige geliebte Kunst ist. Denn es ist die Liebe, die mich glücklich und friedfertig macht.
Video mit Bilder von den Ebrukünstler Gülhan Efkar, Atilla Can und Alparslan Babaoglu
Welcher ist der Stellenwert der Ebrukunst im Islam und in der Welt der islamischen Mystik?
In der Koransure Yasin, Vers 77 heißt es: „Ist sich der Mensch nicht dessen bewusst, dass Ich ihn aus dem Wasser (aus einem Samentropfen) erschaffen habe? Und doch ist er ein offensichtlicher Widersacher!“ Yunus Emre schrieb: „Ich bin eine Handvoll Erde und ein wenig Wasser. Womit sollte ich denn prahlen?“ Yunus Emre zufolge sind Wasser und Erde die wesentlichen Bestandteile des menschlichen Körpers. Der islamische Glaube schreibt die Gebetswaschung vor. Die Quelle der Waschung ist das Wasser. Es wird für die körperliche und geistige Reinheit verwendet. Es reinigt uns von schlechten, verbotenen Taten, Klatsch, Lügen, falschem Ehrgeiz und Egoismus. Wasser ist wesentlich im Islam. Der Mensch, der seinem Geist begegnet, muss rein sein. Wie Mevlana sagte: „Eine Hälfe von dir ist unrein, die andere Hälfte ist Moschus. Sei achtsam, reiß dich zusammen, vermehre nicht deine unreine Hälfte, sondern deine reine!“ Daraus lernen wir, dass reiner werden sollen. Und die Gebetswaschung vermehrt unsere Reinheit. Und diese basiert auf dem Wasser.
In einer Gesellschaft, in der der Islam im Mittelpunkt des Lebens steht, schätzen wir das Wasser hoch ein, weil wir glauben, dass es das geistige Leben fördert. Wasser und gefärbte Erde sind der Mittelpunkt der Ebrukunst. Die Ebrukünstler gewöhnen sich an das Wasser und eignen sich Kenntnisse über das Wasser an. Wasser ist eine sensible Substanz. Tragant, die Arbeitsflüssigkeit der Ebrukunst, spürt die Schönheit oder Widerstände, mit denen Sie in Kontakt treten. Tragant verändert den Ebrukünstler und das Ebruwasser. In der Gesellschaft werden die Ebrukünstler wahrgenommen, als wären sie Menschen, die mystische Rituale durchführen. Dem ist aber nicht so. Denn man ist nicht moralischer, toleranter oder ehrlicher, nur weil man neben einem Ebruschale steht. Was zählt ist, dass man nach dem Duft des Moschus lebt. Dies bedeutet, dass man in jeglicher Hinsicht ein „sauberes Leben“ führt, nachdem man die Ablageschale verlässt. Natürlich kann die Ebru-Ablageschale als Warnung dienen. Glauben Sie mir: der Moschus eines Ebrukünstlers ist gleich dem eines Buchmalers oder eines Kalligraphen. Wenn wir aber über Ebru sprechen, ist der Höhepunkt des islamischen Moschus die Ebrukunst.
Was bedeutet für Sie die Anerkennung der Ebrukunst durch die UNESCO? Wie haben Sie diese erreicht?
Das ist ein Meilenstein in der türkischen Kunstgeschichte, dass Ebru in die Liste des geistigen kulturellen Welterbes der Türkei bei der UNESCO eingetragen wurde. Es ist das erste Mal, dass eine türkische Kunst von der UNESCO geschützt wird. Die Ebrukunst gilt in der türkischen Geschichtsschreibung als das 12. Element. Genau vor sieben Jahren begann dieser Prozess, als ich meine erste Petition an die Vereinten Nationen und an den Hauptsitz der UNESCO nach Paris sendete. In meinen Petitionen schrieb ich, dass unsere Ebrukunst an unsere zukünftigen Generationen weitergegeben werden sollte, weil sie eine sehr besondere Kunst ist, die mit Hilfe einer sehr besonderen und einzigartigen Technik erzeugt wird. Ich wies auch darauf hin, dass die Ebrukunst eine tausendjährige Geschichte zu verzeichnen hat und es somit verpflichtend ist, diese zu schützen, indem man einen besonderen „Welttag der Ebrukunst“ feiert. Ich schrieb auch Petitionen und telefonierte mit vielen Regierungsämtern, u.a. mit dem türkischen Kulturministerium und mit unserem nationalen UNESCO-Komitee. Ich berichtete ihnen, dass ich Petitionen an die Vereinten Nationen und die UNESCO gesendet und Anträge für die Ebrukunst gestellt hatte. Ich bat um eine dringende, offizielle Unterstützung meines Vorschlages und meiner Arbeit. Glauben Sie mir… es war ein wahrer Kampf, Menschen und Ämter davon zu überzeugen, dass ich an dieses Projekt glaubte. Es war ein sehr schmerzhafter und langwieriger Prozess. Aber meine innere Stimme sagte mir, ich sollte nicht aufgeben. Und ich gab nicht auf. Ich erzählte allen Ebrukünstlern, die ich weltweit erreichen konnte, von meinem UNESCO-Projekt und bat sie, Petitionen an die UNESCO zu senden und auch Beispiele ihrer Ebrukunst mitzuschicken und mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Das Ergebnis war eine riesige Welle von Reaktionen und Begeisterung. Ebrukünstler aus aller Welt sendeten ihre Ebruarbeiten und bestätigten ihre Unterstützung. Glauben Sie mir… diese Korrespondenzen dauerten über Monate liebevoll an. Um dieses Projekt am Leben zu erhalten und ein Bewusstsein zu erwecken, fingen wir an, jeden zweiten Samstag im September den Welttag der Ebrukunst zu feiern, indem wir Veranstaltungen, Ausstellungen und Vorträge organisierten. Neben den Ländern wie den USA, Tschechien, den Niederlanden und Mexiko, erklärten sich auch viele Städte in der Türkei bereit, Veranstaltungen aufzunehmen. Der Weltebrutag wird in diesem Jahr zum fünften Mal abgehalten werden. Wir haben gerade bestätigt, dass 41 Länder an dieser Veranstaltung teilnehmen und diese unterstützen werden. Am Ende unseres Kampfes gab es somit ein Happy-End mit einem positiven Ergebnis bei der UNESCO. Ich bin sehr erfreut darüber, der Protagonist dieser Geschichte zu sein. Vergessen Sie nicht das deutsche Sprichwort: „Wer an Wunder glaubt, dem geschehen sie auch“. Ich habe daran geglaubt, und das Wunder kam.
Welche sind die wichtigsten Muster in Ihren Ebrukunstwerken?
Kritiker sprechen im Falle meiner Kunst von einem naturalistischen Ansatz. Sie halten mich für einen kreativen Künstler. Und das stimmt. Ich mag es zu improvisieren. Als ich in die Niederlande eingeladen wurde, malte ich eine Istanbuler Tulpe neben das Gemälde Jan Vermeers mit dem Mädchen mit den Perlenohrringen. In meiner Ausstellung in den USA, malte ich Ebrubilder zum Thema der Freiheitsstatue. In Abu Dhabi faszinierte mich die Moschee von Sheikh Zayed, und so malte ich Sie. Denken Sie einfach an einen Bau in Weiß, umgeben vom blauen Hımmel. Als Istanbul 2010 zur europäischen Kulturhauptstadt gewählt wurde, wurde ich von einigen der bekanntesten Istanbuler Künstler gefragt, ob ich mit ihnen ein Dokumentationsprojekt durchführen wollte. Ich habe viele Arbeiten über Istanbul gemacht, wie z.B. über den Galataturm, den Mädchenturm und die nostalgischen Straßenbahnen. Manchmal kommen in meinen Arbeiten Schmetterlinge, Vögel, Fische und oft auch eine Sema-Tänzerin vor. Ich liebe es, in meine Werke Elemente aus Ländern einfließen zu lassen, die ich selbst besucht habe. In den Großteil meiner Werke möchte ich Leidenschaft, Ästhetik, Realität und Diversität einfließen lassen. Es ist mir wichtig, dass meine Werke auch ohne meine Unterschrift erkannt werden.
Wie kann man dem vorbeugen, dass die Ebrukunst in der Geschichte vergessen wird? Womit würden Sie anfangen?
Ebru wird in der Geschichte nicht vergessen werden. Warum ich das sage: ich hatte vor Jahren diese Befürchtung, als ich mich dazu entschied, den Schutz der UNESCO für die Ebrukunst zu beantragen. Die UNESCO bestätigte diesen in einem Projekt von 2014 und trug die Ebrukunst als 12. Element in die Liste des geistigen Weltkulturerbes der Türkei ein. Ein in dieser Liste eingetragene Kunst wird nie vergessen werden. Ganz im Gegenteil: sie wird wie ein Diamant für immer glänzen, glauben Sie mir. Mein Rat an alle Anfänger: Diese Kunst ist eine Wissenschaft. Wissenschaft entsteht nicht durch Dogmatismus, sondern in der Beziehung zum Lehrer. Ich empfehle allen Interessenten, sich einen guten Lehrer zu suchen, um sich auf diesem langen, steinigen Weg den Herausforderungen zu stellen. Und die Geduld ist der Schlüssel zu dieser Kunst. Die Geduld führt zu Frieden und Seelenruhe. Der Feind des Zorns ist die Geduld. Ein geduldiger Mensch ist stark. Mein abschließender Ratschlag an alle Anfänger ist, geduldig, offen und bescheiden zu sein und der Macht der Wissenschaft unter den Flügeln eines guten Lehrers zu vertrauen.
Wie können wir durch Ebru die Empathie zwischen Kulturen und Religionen fördern? Wie kann die Kunst zum Frieden beitragen?
Die Ebrukunst unterstützt die Empathie unter verschiedenen Kulturen und Religionen. Ich möchte auf diese Fragen antworten, indem ich diese Kunst weltweit als ihr kultureller Botschafter praktiziere. Wenn wir zum ersten Mal ins Ausland gehen, steht unsere Herkunft immer an erster Stelle. Als Türke und Muslim stößt man oft auf Vorurteile. Ich weiß dies aus Erfahrung. Ich möchte Ihnen von einem eigenen Erlebnis berichten. Ich befand mich im Ausland auf einem Ebru-Workshop und ein sehr selbstsicherer Mann kam vorbei. Er sah mir nicht mal in die Augen. Als ich mich über ihn erkundigte, wurde mir gesagt, er wäre berühmt und alle fürchteten ihn wegen seiner Stellung. Nach einer halben Stunde, waren alle überrascht, als wir Ebru mit dem Mann machten, vor dem sich alle fürchteten. Jener Mann brachte seine Frau zum Workshop und stellte sie vor. Er lud mich sogar nach Hause ein. Alle fragten mich, wie dies nur möglich wäre und ich antwortete: „Durch die Macht der Kunst“. Ich habe Ebru mit einem Premierminister, mit einem Kind, mit Japanern, Amerikanern, Afrikanern, Buddhisten, Christen oder Muslimen gemacht. Ihr gemeinsamer Nenner war, dass sie alle MENSCHEN waren, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Beruf, Sprache oder Religion.
Die Kunst ist ein Werkzeug, um Liebe zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen wachsen zu lassen. Die Kunst ist der Name der Liebe, der Schönheit und des Friedens. Vor allem die Ebrukunst kann ein Schlüsselfaktor sein, damit sich verschiedene Kulturen und Religionen näher kommen. Die Ebrukunst strahlt auch eine andere Faszination aus. Sie fördert die Empathie unter Menschen aus verschiedenen Gesellschaften, die sich treffen, um sich gemeinsam dieser Kunst zu widmen. Ich bin mir sicher, dass dies den Frieden fördert. Ein Künstler steht nie auf der Seite des Krieges. Wie Paul Eluard so schön sagte:
Das ist das sanfte Gesetz der Menschen; Wasser in Licht, Traum in Wirklichkeit, und Feinde in Brüder zu verwandeln.
Interview geführt von Aygun Uzunlar, Übersetzung von Milena Rampoldi