Wer Mikrokredit sagt, meint Muhammad Yunus, Nobelpreisträger von 2006 mit folgender Begründung: „Für die Institutionalisierung von Kleinstkrediten, die die Schaffung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung von unten ermöglichen. Dauerhafter Frieden ist nicht möglich, wenn große Teile der Bevölkerung keinen Ausweg aus der Armut finden. Der Mikrokredit ist einer dieser Auswege. Diese Entwicklung von unten fördert auch Demokratie und Menschenrechte“. Tatsächlich bleibt Professor Yunus in der Basis verankert, obwohl seine Grameen Bank inzwischen schwindelerregende Zahlen aufweist: fast 3.000 Niederlassungen in ganz Bangladesch mit 27.000 Angestellten und einem Kreditvolumen, das in den ersten zwölf Jahren der Aktivität der Bank 7,5 Millionen Kunden in 80.000 Orten erreicht hat, was einer Summe von 7 Milliarden Dollar entspricht. Zudem wird sein Modell von öffentlichen und privaten Institutionen in der ganzen Welt repliziert.
Auch bei diesem 18. Gipfels zum Mikrokredit, der in Abu Dhabi vom 14. bis 17. März stattfand. nahm der Professor an allen Terminen teil und stand den Teilnehmern auch zwischendurch zur Verfügung, denen die ihn um Rat fragten, denen die ihre eigenen Organisation vorstellen wollten und auch denen, die einfach nur ein Foto mit ihm machen wollten…
Professor Yunus, heute scheint der Mikrokredit eine relativ einfache Angelegenheit zu sein. Wie schwer war es, in einem so armen Land wie Bangladesch bei Null anzufangen?
Ich meine, das war mein Glück und das glaube ich wirklich. Wenn es keine Hürden gibt, gibt es auch keine Stimulation, diese zu überwinden. Das sage ich auch den Jungen von heute: sucht nach Herausforderungen! Der Jugend von heute steht ein unglaubliches Instrument zur Verfügung: die digitale Technologie. Auf die Vorteile, die sie bietet, können wir aufbauen… oder man kann sie nutzen, um Möglichkeiten zu realisieren, die bis gestern undenkbar waren, ganz besonders im Bereich Mikrokredit. Auch die virtuellen Szenarien stellen mit der heutigen Technologie eine große Gelegenheit dar. Weil sie es erlauben, sich etwas vorzustellen, das es noch nicht gibt: wenn es keine Vorstellungskraft gäbe, käme es nicht zur Schaffung von Neuem. Deshalb wiederhole ich an die Jungen gerichtet, sucht die Herausforderungen und träumt, wie ihr sie überwinden könnt!
Professor, Sie haben bei mehreren Gelegenheiten wiederholt, dass es im Universum des Mikrokredits sowohl Platz für Sozialstaatlichkeit als auch für Business gibt. Aber schafft die Koexistenz dieser zwei so unterschiedlich motivierten Modelle nicht auch Konflikte oder zumindest Verwirrung?
Der Konflikt gehört zum Leben und ich möchte erneut betonen, dass Herausforderungen mehr Möglichkeit als Hindernis sind. Das einzige, was jemand wirklich sich selber und auch anderen schuldig ist, ist Klarheit. Du willst einen Mikrokredit zur reinen sozialen Inklusion? Willkommen! Du willst einen Mikrokredit, um Geschäfte zu machen? Willkommen! Du willst beides zur Hälfte oder einen anteiligen Mix zu welchem Prozentsatz auch immer? Willkommen!
Aber wie ist es persönlich um Sie bestellt? Stört es Sie nicht, dass Sie heute hier sind und morgen schon wieder von armen Menschen in einem verlorenen Dorf belagert werden?
Ich habe meine Wahl getroffen und und auch immer wieder betont, dass ich es weiterhin bevorzuge, von unten von der Basis aus zu operieren. Aber heute bin ich glücklich und dankbar, hier zu sein, in Begleitung all dieser wundervollen Menschen, die ein gemeinsames Zeil mit mir teilen und die mit Klarheit sagen, wie sie es zu erreichen gedenken.
Sie haben den Friedensnobelpreis ohne Zweifel verdient, aber der Preis wurde ja in der Kategorie Wirtschaft verliehen: haben sich die Verleiher da getäuscht?
(Mit einem Lächeln und Augenzwinkern) Tja, diese Frage muss man ihnen stellen!
Das stimmt. Aber „sie“, also jene die Ihnen den Nobelpreis für Wirtschaft verliehen haben, sind nicht die gleichen, die den Nobelpreis für Frieden verleihen.
Doch, „sie“ sind die von der schwedischen Bank…
Und sie haben den Nobelpreis für Wirtschaft siebzig Jahre nach dem echten Nobelpreis ins Leben gerufen. Sie haben auch nicht orthodoxe Ökonomen mit ihren Preisen ausgezeichnet, wenn auch nur, um sich theoretisch Kritik zu entziehen. Deshalb die Frage: warum ausgerechnet an Sie, der eine kleine ökonomische Revolution mit historischen Ausmaßen ausgelöst hat?
(Mit dem gleichen komplizenhaften Lächeln im Gesicht) Eine faszinierende Frage… die man ihnen stellen muss!
In Ordnung, lassen wir es dabei und kommen wir auf Sie zurück. Sie als Banker haben den Armen Kredite vergeben und als männlicher Moslem auch Kredite an Frauen: macht Sie das zu einem „doppelten“ Revolutionär?
Ich bin jemand, dem Herausforderungen gefallen. Die meine war tatsächlich eine doppelte und eine große, aber es war ausreichend, sie einfach anzunehmen und der Weg zur Lösung tat sich dann in offensichtlicher und praktikabler Weise auf.
Sie sind weiterhin bescheiden. Auch heute sind Menschen, die unter Armut leiden und Frauen die größten Opfer der Gewalt auf diesem Planeten. Sie sind also eine gewaltfreier Revolutionär von planetarischer Tragweite.
Ich danke Ihnen. Aber wenn die Gewaltfreiheit der Meisterweg zum Frieden ist, müssen auch Sie zugeben, dass man mir vielleicht doch nicht den falschen Nobelpreis verliehen hat!
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter