Im Interview mit Reiner Braun[1], Geschäftsführer der VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der IALANA (International Lawyer against Nuclear Arms), unterhalten wir uns über die Ramsteinkampagne, den Widerstand gegen die Atomwaffen und die Herausforderungen der Friedensbewegung.
Milena Rampoldi: Wie fanden Sie Ihren Weg zur Ramsteinkampagne?
Reiner Braun: Die Ramsteinkampagne ist für mich die logische Konsequenz der Aktionen des letzten Jahres. Der Krieg weist im Moment eine große Bedeutung auf. Und das logische Zentrum dieses Krieges, das Herz dieses Krieges ist Ramstein. Somit liegt es auf der Hand, Ramstein in die Mitte der Kampagne zu stellen. Wir verfolgen damit das Ziel, jeden krieg von deutschem Boden zu beenden. In Ramstein befindet sich die größte Militärbasis in Deutschland. Ramstein ist auch die Einsatzzentrale für die Atomwaffen. Es gibt nur diese zwei Möglichkeiten: entweder mehr Krieg oder mehr Frieden. Und wir entscheiden uns für den Frieden. Wir haben in diesem Zusammenhang eine längerfristige, langjährige Kampagne für Ramstein geplant. Im September war die erste, größte Aktion, die ein großer Erfolg war. Es folgte eine umfassende Aktionsplanung mit den folgenden Schritten:
- Ein großes Camp
- Eine große öffentliche Veranstaltung in Kaiserslautern zur Aufklärung
- Eine Menschenkette von Kaiserlautern bis zur Basis über eine Entfernung von 20 km, mit ungefähr 20.000 Leuten. Das ist eine große Herausforderung, da wir viel mehr Menschen brauchen als im September.
Die umfassende Vorbereitung erfolgt in den Ramsteinkomitees auf regionaler Ebene. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang der Austausch zwischen den Gruppen. Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Alternative zur Basis Ramstein. Ramstein soll zur zivilen Nutzung konvertiert werden. Die Vorbereitung erfolgt online und offline. Wir veröffentlichen auch eine Zeitung für die Kampagne und versenden Newsletter.
Aktuell ist die Koordinierung des Libyeneinsatzes völkerrechtswidrig. Auch die Einsatzkontrolle der Aufklärungsflugzeuge nach Syrien geht direkt von Ramstein aus. Jeder Militäreinsatz hat in Deutschland irgendwie mit Ramstein zu tun. Und so auch alle Drohneneinsätze der Welt. Daher ist Ramstein so bedeutet. Ramstein ist eine US-Basis auf deutschem Boden. Wäre der politische Wille da, könnte man die Basis einfach kündigen, und in zwei Jahren wäre sie weg. Aber es bedarf des politischen Willens in diesem Sinne. Auch die Natoeinsätze laufen über Ramstein. Somit ist Deutschland auch mitverantwortlich für alle Einsätze, die vom deutschen Boden ausgehen. Daher ist es wesentlich, die Basis zu schließen und zu zivilen Zwecken zu konvertieren. Da die Gegend um Ramstein eine arme Gegend in Deutschland ist und die US-Arbeitsplätze wichtig sind, muss man nach Alternativen suchen. Durch die Umweltverschmutzung infolge der Einrichtung der Basis verschwand der Tourismus. Dieser kann erneut ins Leben gerufen werden. Die Gegend ist ruhig und angenehm. Die Flora und Fauna, die hier vorhanden ist, ist oft selten. Ein Naturschutzpark und andere alternative Projekte wären somit ideal für die Region.
Wie fanden Sie in Ihre Lebensgeschichte den Weg zum Pazifismus?
Ich bin seit 35 Jahren in der Friedensbewegung tätig. Der Weg dorthin gestaltete sich für mich einfach. 1980 fand die Gründungsversammlung des Krefelder Appells statt. Nach dem Studium fing ich 1982 im Büro des Krefelder Appells an. 1987 wurde ich dann Geschäftsführer. Von 2006 bis 201 leitete ich die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Im Moment bin ich Geschäftsführer der IALANA (International Association of Lawyers against Nuclear Arms, teilweise übersetzt als Internationale Juristen und Juristinnen gegen den Atomkrieg) und Sprecher der Berliner Vereinigung „Kooperation für den Frieden“.
Wie motivieren wir die Jugendlichen heute zum pazifistischen Handeln?
Die Situation ist heute für junge Menschen komplizierter als damals. Für uns waren Jugend und Studium ein kulturelles Erlebnis, das uns die Möglichkeit bot, uns kreativ weiterzuentwickeln. Im Neoliberalismus hingegen ist das Studium wie ein Zwang, charakterisiert von Aufstiegsterror und Anpassungsdruck. Somit sind auch die Möglichkeiten, sich zu engagieren, komplizierter geworden. Aber es engagieren sich viele. Nur die Formen dieses Engagements haben sich mit der Zeit verändert. Durch das Internet kam es zu einer neuen Individualisierung. Die Menschen agieren weitgehend allein. Und dies ist natürlich nicht förderlich für die Solidarität. Es muss kollektiv gehandelt werden. Ein subjektiver Fehler der Friedensbewegung ist auch zu verzeichnen. Sie war zu elitär. Es war schwer da reinzukommen. Außerdem herrscht die Trennung in verschiedene Vereine vor. Die Situation ist komplizierter geworden. Der Pazifismus ist auch komplizierter geworden. Es ist auch schwierig, sich zu engagieren, weil man die Situation nicht kennt. Die politische Elite hat aus den 1980er Jahren auch gelernt. Heute ist eine Sturmbewegung wie die der 1980er Jahre nicht mehr möglich. Die Friedensbewegung ist kontrolliert. Wir werden politisch bekämpft. Es gibt auch innere Spaltungen, die die Sache noch erschweren.
Der Kalte Krieg ist zu Ende. Die Ost-West-Situation ist nicht mehr da. Die Ost-West-Konfrontation hatte gewisse Regeln, an die sich beide gehalten haben, wie z.B. die Kubakrise zeigt. Heute hingegen herrscht in der Politik die Regellosigkeit vor. Zum Fall Syrien möchte ich sagen, wie wichtig die Kernforderung des Waffenstillstands ist. Man muss alles tun, um alle Konfliktparteien an den Tisch zu bekommen. Das ist die Voraussetzung alles weiteren Vorgehens. Es muss soziale Sicherheit geschaffen werden, denn ansonsten bleibt das Nachschubproblem des IS bestehen. Ohne soziale Gerechtigkeit werden wir den IS nicht los.
Wie sehen Sie die Lage in Palästina? Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Dieser jahrzehntelange Konflikt, für den man sich kaum eine Lösung vorstellen kann, kann nur durch Verhandlungen und Diplomatie gelöst werden. Wir müssen uns von alten Konzepten und Ideen freimachen und die Lage ganz neu bewerten. Vorschläge müssen im Wesentlichen aus der Region kommen, von den aufbegehrenden jungen Menschen. Bei jeder Überlegung, die auf schnelle Lösungen dringt, bin ich skeptisch. Ich halte die Lage für so verfahren, dass Lösungen lange brauchen und ein grundsätzliches Umdenken voraussetzen.
Wie wichtig ist heute das Engagement gegen Atomwaffen? Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen.
Ich bin gerade von der großen Demonstration gegen Atomwaffen aus London zurück. Die Ablehnung der Modernisierung der atomaren U-Boote in Großbritannien ist ein ermutigendes Zeichen des Protestes gegen Atomwaffen. Wir müssen weltweit den Kampf gegen die Atomwaffen intensivieren. Atomwaffen bedeutet nach wie vor das Ende jeglichen Lebens auf dem Planeten. Deshalb muss alles getan werden, um ihren Einsatz zu verhindern.
Die Frustration, die durch die Atommächte hervorgerufen werden, die gegen internationale Verträge und Vereinbarungen keinen Schritt zur Abrüstung gegen wollen, kann nur durch mehr Aktionen und eine enge Zusammenarbeit der Willigen (abrüstungsbereiter Staaten) überwunden werden. Die open ending working group und die Aktionen um den Marshall Island Case sind gute Beispiele. Ziel bleibt eine Nuklearwaffenkonvention, in der eine Welt ohne Atomwaffen festgeschrieben wird.
[1] Reiner Braun, geboren 1952 in Braunschweig, Gründungsmitglied und Executive Director von INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility) bis 2001, studierte Germanistik und Geschichte sowie Journalistik. Er ist seit 1981 in der Friedensbewegung aktiv, war ab 1982 Büroleiter und später auch Initiator der „Krefelder Initiative gegen den Atomtod“. Seit 1982 aktiv bei den „Naturwissenschaftlern für den Frieden“, ab 1987 bis 2001 ihr Geschäftsführer. Ab 2003 bis Ende 2005 Mitarbeit beim Projekt Einsteinjahr 2005 des Max – Planck – Instituts für Wissenschaftsgeschichte und der Max – Planck – Gesellschaft (MPG). Ab 2006 arbeitet Reiner Braun als Geschäftsführer der VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der IALANA (International Lawyer against Nuclear Arms). Er ist in nationalen und internationalen Netzwerken und Koalitionen aktiv. Seit September 2013 ist er einer der beiden Co-Präsidenten des IPB (International Peace Bureau). Reiner Braun ist Mitherausgeber u.a. der Biographie des Nobelpreisträgers Joeph Rotblat und des Buches „Einstein und Frieden“ sowie mehrerer Sachbücher zu Abrüstung und zu globalen Fragen u.a. Ressourcen und Konflikte.