Farid Adly ist ein Journalisten von Radio Popolare Milano und Leiter von Anbamed, notizie dal Mediterraneo – Präsident des Circolo ARCI von Acquedolci ACM. Wir haben uns über den interkulturellen Dialog, sein künstlerisches Projekt zu Gunsten des Vereins Najdeh für Palästina unterhalten und über die Frage wie das Mittelmeer in einen Raum der Begegnung zwischen dem Islam und dem Westen verwandelt werden kann.
Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptzielsetzungen des Vereins Associazione Culturale del Mediterraneo (ACM, Kulturverein für das Mittelmeer)?
Farid Adly: Der ACM wurde 2000 gegründet, um die Jugendlichen in einer kleinen sizilianischen Gemeinde rund um die Werte der Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, Kultur und des Umweltschutzes zu vereinen. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, haben wir eine Reihe niederschwelliger Initiativen ins Leben gerufen, um vor allem die Jugendlichen zu involvieren: literarische Nachmittage, Theaterlabor, Solidaritätscampus und das Kunstprojekt Alchimia della Bellezza (Alchimie der Schönheit). Die Teilnahme am sozialen Leben war ein wichtiger Raum, um die Jugendlichen zum Respekt der ANDEREN Kulturen anzuspornen und Empathie für die Menschen in Not auszudrücken.
ProMosaik e.V. ist der Meinung, dass die Kunst einen wesentlichen Bereich darstellt, um menschenrechtliche Themenkreise zu verbreiten. Was denken Sie darüber, auch bezugnehmend auf Ihr neues Projekt in Zusammenarbeit mit Künstlern für Palästina?
Die Kunst spielt, wie die Kultur im Allgemeinen, eine wichtige Rolle im Aufbau eines neuen Menschen, weil sie keine Grenzen kennt. Jenseits der Diskussionen über den „organischen Intellektuellen“[1], ist es zweifelsohne wesentlich, dass sich der Künstler für gesellschaftliche Themenbereiche einsetzt, um positive Botschaften zu überbringen und eine Idee zu verbreiten. Neben dem starken Inhalt einer bestimmten Botschaft verleiht ihm seine Verarbeitung in künstlerischer Form mehr Prägnanz. Diese allgemeine These gewinnt bei der Vermittlung menschenrechtlicher Themenbereiche wesentlich an Bedeutung. Denn diese werden oft von den Massenmedia vernachlässigt und als Probleme gesehen, die weit entfernt sind von der alltäglichen Realität vieler Bürger. Zu Palästina fällt mir in diesem Zusammenhang vor allem das künstlerische Werk von Banksy auf der schandhaften, israelischen Mauer ein, die das Westjordanland in ein großes Freiluftgefängnis verwandelt. Seine Kunstwerke betonen diesen Aspekt und überbringen der Welt eine einfache und direkte Botschaft, die besser ist als tausend Worte.
Erzählen Sie uns vom Verein Najdeh und seiner Arbeit.
Najdeh ist ein Frauenverein, der 1976 im Libanon, nach dem Massaker von Tal Zaatar gegründet wurde. Einige palästinensische und libanesische Frauen haben sich gemeinsam mit zwei italienischen Frauen aus Beirut, Adele Manzi und Piera Redaelli, für den Weg des Engagements und der Arbeit entschieden, um verwitwete Frauen oder Frauen, die ihre Väter oder Brüder verloren haben, die in jenem brutalen Massaker der faschistischen libanesischen Milizen ermordet worden waren, zu unterstützen. Das Projekt entstand mit einem kleinen Kapital von 1000 libanesischen Lira und wurde dann von vielen Organisationen aus der ganzen Welt unterstützt. Vor allem in Italien hat der Verein Soccorso Sociale per i palestinesi in Rom eine wichtige Rolle gespielt, um die ersten Stickereien zu vermarkten.
Najdeh war in zehn palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon tätig, und hat vor allem Frauen und Kindern grundlegende soziale Dienste und Erziehung angeboten: Kinderkrippe und Kindergärten, Berufsausbildungskurse, Alphabetisierungskurse, Aufgabenhilfe für Schüler, Aufklärung über die eigenen Rechte und Gesundheitswesen.
Eine Einrichtung von Stickereilaboren ist eines der Projekte von Najdeh. Neben der wirtschaftlichen Rolle, die sie ausüben, haben die Stickereien den Frauen der Diasporagenerationen auch die Möglichkeit geboten, sich die typischen Aspekte der traditionellen, palästinensischen Kultur anzueignen.
Die Erfahrung der libanesischen Flüchtlingslager wurde dann in andere Umgebungen der palästinensischen Diaspora (nach Syrien und Jordanien) gebracht und in den Neunziger Jahren auch in das besetzte Westjordanland und in das besetzte Gaza.
Unsere direkte Beziehung zu Najdeh im Gazastreifen entstand nach dem israelischen Angriff im Dezember 2008. Unser erstes Projekt richtet sich an die Illustratoren von Kinderbüchern. „Hundert Illustrationen für die Kinder in Gaza“ war eine Wanderausstellung, die durch ganz Italien ging und viele Unterstützer fand: von Dario Fo bis Sergio Staino, von Vauro bis hin zu den berühmtesten, italienischen Illustratoren. In diesem Jahr haben wir erneut einen Appell an bildnerische Künstler, Maler, Fotografen und Bildhauer gesendet, damit diese ein kleines Werk spenden, das dann für die Sammlung von Spenden für die Unterstützung des Projektes „Glückliche Stunden für die Kinder von Gaza“ eingesetzt wird. Es haben schon Dutzende von Künstlern aus Italien, Europa und dem Mittelmeer zugesagt.
Wie kann man Gaza von Europa aus unterstützen? Welche sind die wichtigsten Strategien, um den Frieden zu fördern?
Es gibt viele Stufen der Solidarität mit der Bevölkerung in Gaza. Die erste besteht darin, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um der illegalen Gazablockade ein Ende zu setzen. Die hermetische Schließung, manu militari, des Streifens führt zu einem unendlichen Leid der Zivilbevölkerung;
Eine andere Stufe der Solidarität besteht in der Linderung des Leids der Menschen in Gaza, indem man den Familien und Vereinen vor Ort materielle Unterstützung bietet, um sie in die Lage zu versetzen, den neuen Generationen ein würdevolles Leben zu bieten. Unser Vorschlag der Patenschaften unterstützt die Familien mit einem kleinen Beitrag von 50 Euro monatlich, die Fortsetzung der Studien für die Jugendlichen zu ermöglichen. Viele Familien sind in der Tat gezwungen, ihre minderjährigen Kinder zur Arbeit zu schicken und sie somit aus der Schule zu nehmen;
die erste Stufe der Unterstützung besteht darin, mit den politischen Gruppierungen der Palästinenser in Kontakt zu treten und ein klares Gespräch über die Notwendigkeit zu führen, die interne Spaltung zu überwinden und sich national zu versöhnen. Denn nur diese versetzt in die Lage, sich der Herausforderung der derzeitigen politischen Lage im Nahen Osten zu stellen, wo die palästinensische Frage nicht mehr so zentral ist wie in der Vergangenheit.
Wie wichtig sind die Menschen, die aus beiden Ufern des Mittelmeers stammen, um den Dialog zwischen dem Westen und dem Islam zu fördern?
Es gibt keinen Kampf zwischen dem Islam und dem Westen, weil es den Islam und den Westen nur im Plural gibt. Der Dialog zwischen den beiden Ufern des Mittelmeers hat nie aufgehört. Es gibt positive Erfahrungen, die die Möglichkeit des Zusammenlebens von Menschen mit gutem Willen unter Beweis stellen. Das Problem stellt sich hingegen in den extremistischen Flügeln beider Seiten. Der religiöse Fundamentalismus und der politische Extremismus werfen Benzin aufs Feuer, indem sie Klischees und Übertreibungen der Medien ausnutzen. Fremdenfeindlich eingestellte Menschen sind im Westen eine Minderheit, und so sind auch die Jihadisten in den muslimischen Ländern eine Minderheit. Sie haben aber immer etwas zu sagen, weil sie einfach laute Minderheiten sind.
Die Menschen guten Willens spielen eine entscheidende Rolle in diesem Kampf der Zivilisationen: sie dürfen nicht zulassen, dass die Diskriminierung gegen die Schwächeren die Überhand gewinnt. Es bedarf einer kritischen Masse, die diese Extremisten sei es in den arabisch-islamischen Gesellschaften als auch im Westen aufhält.
Was bedeutet es für Sie persönlich, ein engagierter Journalist zu sein?
Der große Journalist Carlo Levi hat ein interessantes Buch mit dem Titel „Die Worte sind Steine“ (“Le parole sono pietre”) verfasst, das ich allen Jugendlichen als Lektüre vorschlage. Es ist ein Beispiel für einen engagierten und militanten Journalismus, der sich die Wirklichkeit nicht neutral und distanziert ansieht, sondern in diese Wirklichkeit eindringt, um ihre Widersprüche aufzuzeigen und beim Schreiben dem Leser die notwendigen Elemente zu übermitteln, damit er sich seine eigene Meinung bilden kann. Wie allgemein bekannt, ist Sprache nicht neutral. Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Daher besteht die Rolle des engagierten Journalisten darin, die andere Seite des Mondes zu erzählen, die wir niemals sehen. Ein engagierter Journalist darf nicht „embedded“ sein, indem er sich in die Reihe der Reporter einfügt, die 1991 als Anhängsel des US-Generalquartiers ausschließlich den einseitigen Informationsfluss veröffentlichten, ohne sich nicht mal ein Schlachtfeld anzusehen. Sie waren einfach nur das Sprachrohr, das die Version der Sieger wiederholte, ohne nie vom Leid des irakischen Volkes zu sprechen.
Ein sozial engagierter Journalist begnügt sich nicht mit den offiziellen Pressemitteilungen und Statistiken. Er arbeitet vor Ort, fragt nach, interviewt Menschen, sucht nach alternativen Geschichten und Quellen. Und im Besonderen versteht er die Ursachen des Unbehagens, bevor er das Ganze untersucht und seine Meinung dazu äußert. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch ein aufmerksamer Umgang mit der Sprache. In den Berichten über die Flucht der syrischen und afrikanischen Flüchtlinge in Richtung Sizilien, um nach Europa zu gelangen, liest man „Berichterstattungen“, die von INVASIONEN sprechen, während sich die Anzahl der Flüchtlinge in Wirklichkeit auf wenige Hunderte belief und im Laufe eines Jahres einige Zehntausende zu uns kommen. Ein engagierter Journalist weiß, dass die Migration aus den südlichen Ländern dieser Welt strukturell ist und weder mit Mauern noch mit der Versenkung von Booten zu stoppen ist.
Es sind dringende wirtschaftspolitische Maßnahmen notwendig, die zu mehr Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Nationen führen, den zügellosen, legalen Waffenhandel beenden und einen besseren Knowhow-Transfer in die Gesellschaften der südlichen Halbkugel ermöglichen, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen.
Ein engagierter Journalist darf nicht nur auf die Gegenwart sehen, sondern muss geschichtliches Wissen und Einfühlungsvermögen für die Schwächsten der Gesellschaft mitbringen.
[1] Ein Begriff des italienischen marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (1891-1937). Er entwickelt ihn in seinen „Gefängnisheften“. Der organische Intellektuelle ist in der Theorie Gramscis ein Mensch von Kultur, der sich mit seinem Werk und seinem Verhalten das Ziel setzt, direkt eine besondere gesellschaftliche Sicht und ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen.