Der Ecuadorianer Pablo Fajardo stammt von dem indigenen Volk Cofán ab und ist der leitende Anwalt im Gerichtsfall gegen die Chevron Corporation. Er vertritt 30.000 indigene Bewohner in den Lago Agrio-Ölfeldern, die ursprünglich von Texaco erschlossen wurden. 2007 wurde er mit dem CNN Heroes Preis ausgezeichnet. Selber in extremer Armut aufgewachsen, studierte er Jura mit Unterstützung der katholischen Kirche.
Wir unterhalten uns mit ihm anlässlich seines Vortrags in Berlin über das Umweltverbrechen im Amazonas (Bericht in Pressenza), über die Straffreiheit der transnationalen Unternehmen, der Gefahr, die von den Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen ausgeht und wie der Fall Chevron sein Leben verändert hat.
Reto Thumiger: Der Schaden, den Chevron-Texaco zwischen 1972 und 1992 im Amazonas Ecuadors verursacht hat, wird von Umweltorganisationen als „Tschernobyl des Amazonas“ bezeichnet. Glaubst du dieser Vergleich ist angebracht?
Pablo Fajardo: Meines Erachtens gibt es viele Elemente, die einen solchen Vergleich erlauben. Vielleicht war der direkte Schaden an der Menschheit nicht der gleiche. Allerdings existiert der von Chevron verursachte Schaden in Ecuador seit über 40 Jahren und reicht bis in die Gegenwart hinein. Bis heute sind viele Menschen Opfer dieses Schadens geworden. Wenn man die Zahl der Todesopfer wegen Tschernobyl und die Anzahl Menschen, die in Ecuador gestorben sind und noch sterben werden, betrachtet, wird einem klar, dass beide Katastrophen durchaus vergleichbar sind.
Chevron wurde 2011 in Ecuador zur höchsten Umweltstrafe aller Zeiten verurteilt, zu rund 9 Milliarden Dollar. Bis heute hat Chevron nicht einen Cent an die Opfer und zur Widerherstellung des Amazonas bezahlt. Wie ist das möglich?
Tatsächlich sind es 9,5 Milliarden Dollar Strafe zu der Chevron 2011 verurteilt wurde. Das Urteil wurde 2012 vom Berufungsgericht und 2013 vom obersten Gerichtshof bestätigt. Das Unternehmen ist in drei Instanzen verurteilt worden und hat dennoch bis heute nicht bezahlt. Chevron missbraucht auf eine unglaubliche Weise das Recht. Wir haben weitere juristische Schritte eingeleitet, um die Strafe durchzusetzen, aber die Macht der transnationalen Unternehmen ist derart groß, dass es sehr schwierig bis fast unmöglich ist, das Urteil zu vollstrecken.
„Die internationale Rechtsprechung ist nicht dazu geschaffen worden, um Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen.“
Wir prozessieren nun seit über 22 Jahren in fünf Ländern und haben uns sogar an den Internationalen Strafgerichtshof gewandt, der sich jedoch nicht in der Lage sieht, diese Art von Delikt zu untersuchen. Dies führt uns mal wieder vor Augen, dass die internationale Rechtsprechung nicht dazu geschaffen wurde, um Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Konzerne selbst haben diese Architektur der Straffreiheit geschaffen und sie lassen es nicht zu, dass es eine angemessene Rechtsprechung für die transnationalen Unternehmen in der Welt gibt. Diese Straffreiheit verhindert es, dass Gerechtigkeit geschaffen wird und die Folgen des Umweltschadens behoben werden. Wir, die Betroffenen, sind bereit solange gegen Chevron juristisch vorzugehen, bis das Unternehmen bezahlt. Wir können nicht untätig bleiben, angesichts des schlimmsten Umweltverbrechens, dass je von einem Unternehmen absichtlich begangen wurde.
„Für mich sind Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen Instrumente, um es den Konzernen zu ermöglichen, ihre Verbrechen, die sie an irgendeinen Ort der Welt verüben, zu legalisieren.“
Du erwähnst wie schwierig es ist, transnationale Firmen zur Verantwortung zu ziehen und sie zu zwingen, Gesetze zu befolgen. Bilaterale Investitionsschutzabkommen und internationale Freihandelsabkommen wie TTP, TTIP, CETA etc. erschweren dies noch zusätzlich. Wie beurteilst du diese internationale Entwicklung?
Für mich sind Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen Instrumente, um es den Konzernen zu ermöglichen, ihre Verbrechen, die sie an irgendeinen Ort der Welt verüben, zu legalisieren. Wenn Gerichte, wie in unserem Fall, die Straffreiheit der transnationalen Unternehmen bedrohen, suchen sie andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel solche Abkommen, um diese Straffreiheit, die sie bis jetzt international genossen haben, weiter zu garantieren.
Chevron hat sich das Investitionsschutzabkommen zwischen Ecuador und den Vereinigten Staaten zu Nutzen gemacht. Und dies, obwohl das Unternehmen nur bis 1992 in Ecuador tätig war und sich dann vollständig aus dem Land zurückgezogen hat, während das Abkommen erst 1997 in Kraft getreten ist. Nirgendwo in der Welt werden Gesetze rückwirkend angewendet. Dennoch hat das Schiedsgericht entschieden, dass dieses Abkommen auf den Fall Chevron Anwendung findet. Ein klarer Fall von Rechtsmissbrauch.
Ein anderes Beispiel: Als Uruguay Gesetze erlassen hat, um die Bevölkerung vor den Folgen des Tabak- und Zigarettenkonsums zu schützen und Werbung verbieten wollte, die junge Menschen zum Rauchen verleitet, klagte der US-Tabakkonzern Philip Morris vor dem internationalen Schiedsgericht gegen Uruguay. Und zwar mit der Absicht, das Wirtschaftssystem, Handels- und Wirtschaftsabkommen über das Leben und die Menschenrechte und auch über die Souveränität der Staaten zu stellen. Diese Abkommen sind zum Schutz der Investitionen, des Kapitals und der Unternehmen da und nicht zum Schutz der Bevölkerung, des Lebens, der Umwelt oder der indigenen Bevölkerung.
Die juristische Seite des Falles Chevron ist äußerst komplex und du hast bereits die gerichtlichen Schritte erwähnt, die Chevron gegen Ecuador unternommen hat, mit der Absicht diese Strafe zum Teil oder vollumfänglich auf den ecuadorianischen Staat und somit auf die Bevölkerung abzuwälzen. Zusätzlich hat Chevron auch juristische Schritte gegen die Betroffenen eingeleitet, die du vertrittst.
Für mich ist der Fall Chevron ganz einfach. Es gibt eine Umweltverschmutzung und einen sozialen sowie kulturellen Schaden, der entstanden ist, während Chevron in Ecuador Öl förderte. Es gibt ein gerichtliches Strafurteil aufgrund der Beweise des von Chevron angerichteten Schadens und bis heute will Chevron diese Strafe nicht bezahlen. Es ist jedoch eigentlich sehr einfach – Chevron hat kontaminiert und muss bezahlen.
„30.000 Betroffene beweisen, dass es möglich ist gegen ein Großunternehmen zu gewinnen, welches Verbrechen begangen hat.“
Zweifellos versucht Chevron das mittels verschiedener Aktionen und Beschuldigungen zu verhindern. Einige davon kann ich nur als pervers bezeichnen. Zum Beispiel der Versuch, den ecuadorianischen Staat die Rechnung für Chevrons Verbrechen bezahlen zu lassen. Oder die systematischen Attacken gegen die Betroffenen, um die Opfer als Verbrecher abzustempeln und das Unternehmen als unschuldig erscheinen zu lassen. Dies ist ein eklatanter Missbrauch von Gesetzen, den man auf keinem Fall erlauben darf und daher müssen wir weiterkämpfen.
Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass wir alleine es nicht schaffen werden, einen baldigen positiven Ausgang zu erreichen. Deshalb benötigen wir die Solidarität und die Unterstützung weltweit und dass sich die ganze Welt bewusst wird, dass es hier um mehr als Ecuador, den Amazonas oder 30.000 Betroffene geht. Es geht hier um einen Präzedenzfall, bei dem ein weltweiter Konzern dazu gezwungen werden würde, sich für ihre Verbrechen zu verantworten, und darum, dass 30.000 Betroffene beweisen, dass es möglich ist gegen ein Großunternehmen zu gewinnen, welches Verbrechen begangen hat.
Chevron weigert sich zu zahlen, unter anderen mit der Begründung, dass der Prozess in Ecuador korrupt war. Warum wurde der Prozess von den USA nach Ecuador verlegt?
Wir haben unsere Klage 1993 in New York eingereicht. Chevron wollte aber die Verhandlung in Ecuador führen und hat Beweise vorgelegt, dass das ecuadorianische Rechtssystem allen Anforderungen eines solchen Prozesses gerecht wird. Das Unternehmen hat sich verpflichtet, die Entscheidung der ecuadorianischen Rechtsprechung zu akzeptieren. Darauf erklärte das Gericht in New York Ecuador als zuständig für diesen Fall. Als sich dann während des Prozesses abzuzeichnen begann, dass die Beweise gegen Chevron ausreichen und die Experten der Gegenseite keine entlastende Beweise vorlegen konnten, begann das Unternehmen systematische Attacken gegen das ecuadorianische Rechtssystem, gegen den ecuadorianischen Staat und gegen die klagenden indigene Bevölkerung zu starten, um die Opfer als Verbrecher darzustellen.
[Der Richter Kaplan hat in New York das Urteil gegen Chevron als ungültig erklärt, basierend auf der Aussage eines einzigen Zeugens. Der ehemalige ecuadorianische Richter Alberto Guerra Bastidas hat in New York als Zeuge ausgesagt, das Urteil gegen Chevron sei durch Bestechung zustande gekommen und der Richter habe das Urteil nicht selbst verfasst, sondern es sei ihm von den Anwälten der Klägergemeinschaft ausgehändigt worden, Anm. d. Red.]
Heute verfügen wir über den Vertrag zwischen Alberto Guerra Bastidas und Chevron, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtet, ihm über 4 Jahre 12.000 US-Dollar monatlich zu zahlen (plus Wohngeld und Krankenversicherung für die ganze Familie) – als Gegenleistung für eine Aussage zugunsten von Chevron. Dieser Zeuge hat Richter Kaplan belogen und jetzt ausgesagt: „Ja, ich habe gelogen, um Geld zu verdienen“ (Geschmierter Fall: Chevron prellte Opfer von Ölverschmutzung in Ecuador).
Chevron hat die Theorie vertreten, das Urteil von Lago Agrio sei von uns, den Anwälten der Kläger, verfasst worden und nicht vom Richter. Zwei Experten, einer vom Staat und der andere von Chevron bezahlt, haben den Computer [auf dem das Urteil geschrieben wurde, Anm. d. Red.], untersucht und beide sind zum Schluss gekommen, dass das Urteil vollumfänglich auf dem Computer des Richters Nicolás Zambrano verfasst wurde und weder aus dem Internet heruntergeladen noch von einem externen Speichermedium stammt. Alles was Chevron vorgebracht hat, ist somit haltlos geworden und Kaplans Urteil müsste widerrufen werden.
Welches sind nun die Möglichkeiten, Chevron zur Zahlung der Strafe zu zwingen?
Wir versuchen das Urteil gegen Chevron in Kanada, Argentinien und in anderen Ländern anerkennen zu lassen. Am 4. September 2015 hat der oberste Gerichtshof in Kanada die Argumente von Chevron zurückgewiesen und uns erlaubt, den Prozess zur Urteilsanerkennung in Kanada einzuleiten. Falls wir in Kanada erfolgreich sind, werden wir so viel wie möglich von der Strafe in Kanada einziehen lassen. Ähnliche Anstrengungen verfolgen wir in Argentinien und Brasilien. Aber dieser juristische Kampf ist schwierig. In unserem Team sind wir 20 Anwälte für alle Länder, wo wir prozessieren. Chevron verfügt weltweit über 2000 Anwälte, die sich um diesen Fall kümmern. Der Unterschied im Kräfteverhältnis ist beträchtlich.
Kannst du dir vorstellen, dass etwas in diesem Ausmaß in Zukunft auch in Europa passiert?
Selbstverständlich, Unternehmen begehen Verbrechen in der ganzen Welt. Es sind die großen Unternehmen, die die Regierungen regieren. Heute wird in vielen sozialen Bewegungen und selbst bei den Vereinigten Nationen die Möglichkeit zur Schaffung eines internationalen Gerichtes diskutiert, um den Missbrauch der Wirtschaftsunternehmen einzudämmen.
„Es sind die großen Unternehmen, die die Regierungen regieren.“
Wer widersetzt sich solchen Bestrebungen? Die EU und die USA. Warum sind sie gegen eine Regulierung und angemessene Kontrolle der Wirtschaftsunternehmen? Weil sie selbst oft Teil davon sind. Für mich ist das eine ethische Frage, wenn Länder wie Deutschland, die die Einhaltung der Menschenrechte im eigenen Land vorbildlich durchsetzen, aber gleichzeitig ihren Unternehmen erlauben, in anderen Ländern die Menschrechte zu verletzen, das Wasser zu kontaminieren und der indigenen Bevölkerung zu schaden. Es scheint mir alles andere als ethisch, wenn sie diese Unternehmen in Afrika und Lateinamerika Zerstörung anrichten lassen. Ich könnte nicht ruhig schlafen, mit dem Wissen, dass man im eigenen Haus die Sache gut macht aber als Gast im Nachbarhaus alles zerstört.
Warum hast du den Fall Chevron übernommen und bist zur Stimme der Betroffenen geworden?
Ich glaube nicht, dass die Menschen hinter mir stehen, sondern dass wir zusammenstehen. Wir sind 30.000 Betroffene, Indigene größtenteils, zusammengesetzt aus 5 verschiedenen indigenen Völkern, Bauern, Frauen, Kinder. All diese Menschen kämpfen, setzen sich ein. Ich bin einer davon.
Und was ist deine Motivation?
Ich lebe in diesem Gebiet, im Amazonas. Ich habe früher für Texaco gearbeitet, ich habe einen direkten Bezug zum Problem. Viele meiner Freunde und meiner Schulkollegen habe ich an Krebs sterben sehen. Viele meiner lebenden Freunde leiden unter Krebs. Für mich ist das eine Verpflichtung. Diese Menschen, wollen nicht, dass anderen dasselbe widerfährt wie ihnen. Mein Studium konnte ich nur dank der Menschen im Amazonas abschließen, die mich unterstützten, so gut wie sie konnten. Darum bin ich den Menschen im Amazonas verpflichtet. Auch dank ihnen bin ich heute hier.
Wie hat dieser Fall dein Leben verändert, was hast du auf persönlicher Ebene gelernt?
Tatsächlich habe ich sehr viel gelernt. Im Laufe meines Lebens, und je mehr ich darüber bei Gelegenheiten wie dieser spreche, werde ich mir bewusst, dass die bescheidenen indigenen Bauern, die scheinbar nie studiert haben, über viel mehr Wissen verfügen als wir. Man muss zuhören lernen und jede Person so schätzen und respektieren, wie sie ist.
Außerdem habe ich erfahren, dass es in der ganzen Welt Menschen gibt, die die Gerechtigkeit und das Leben lieben. Solche Fälle – hier der Fall Chevron – sind keine kulturelle oder geografische Auseinandersetzung. Es geht um Gerechtigkeit, und das betrifft uns alle. Das verbindet uns Menschen aus dem Norden, Westen oder Osten, reiche oder arme Menschen. Es geht um die Gerechtigkeit, um das Leben und um den Amazonas.
Natürlich hat das Ganze auch seinen Preis. Mein Familienleben leidet darunter. Das ist nicht einfach. Selbstverständlich möchte ich meine Familie außerdem finanziell gesichert wissen. Ich könnte in Staatsunternehmen arbeiten und erhalte auch andere sehr gute Arbeitsangebote. Aber was bringt eine solche Stelle, wenn meine Familie und meine Freunde in Agrio unter schlechten Bedingungen leben? Darum lehne ich diese Angebote ab. Dieser Kampf für das Leben und die Gerechtigkeit ist viel wichtiger. Das ist meine Verpflichtung und sie hat mich sehr verändert.
Was können unsere Leser tun, um diesen Fall zu unterstützen?
Es gibt viele Formen der Unterstützung. Die indigenen Völker in Ecuador, Bolivien und Peru benützen ein Wort, welches es für mich sehr schön zum Ausdruck bringt und zwar „Minka“ [ein Quechua-Wort, das den wichtigsten Typus gemeinschaftlicher Arbeit beschreibt, Anm. d. Red.].
„Gemeinsam werden wir diesen Weg zurücklegen.“
Was ist Minka? Stellen wir uns vor, wir müssen einen Weg erschließen und dieser Weg muss über viele Flüsse und hohe Berge führen. Alleine würde man das nicht schaffen. Was macht eine Dorfgemeinschaft? Sie berät, beschließt und macht sich gemeinsam ans Werk. Männer, Frauen, Alt und Jung, jeder mit seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten trägt etwas zu Minka bei und gemeinsam erschließen sie den Weg. Ich kenne das Beispiel eines Mannes, der nicht mehr gehen konnte, so nahm er die Gitarre und hat damit während der Arbeit zur guten Stimmung beigetragen.
Wir befinden uns in dieser Minka für die Gerechtigkeit, für den Amazonas und das Leben, und wir laden alle ein, sich daran zu beteiligen. Ich lade die Leser herzlich ein sich dieser Minka anzuschließen. Gemeinsam werden wir diesen Weg zurücklegen.
Pablo, ich danke dir herzlich für dieses Gespräch und für deine Zeit!