Von CORRECT!V
fürDer Energiekonzern Vattenfall führt derzeit zwei prominente Klagen gegen den Atomausstieg. Gemeinsam mit den Stromkonzernen RWE und E.on fordert Vattenfall insgesamt angeblich mehr als 22 Milliarden Euro von der Bundesregierung. Diese Verfahren erinnern an Sonderklagerechte, die auch im Handelsabkommen TTIP vereinbart werden sollen.
Bei dem Freihandelsabkommen mit den USA steht die geplante Einrichtung eines Schiedsgerichtes massiv in der Kritik. Es wird befürchtet, dass Unternehmen dort künftig mehr Klagerechte hätten als vor nationalen Gerichten. Allein das Ausbleiben von erwarteten Gewinnen könnte ausreichen, um eine Klage gegen ein Gesetz anzustrengen.
In Karlsruhe wird in dieser Woche über eine Verfassungsbeschwerde verhandelt, die Vattenfall gemeinsam mit den Energiegiganten RWE und E.on eingereicht hat. Die Konzerne behaupten, dass sie durch den Atomausstieg faktisch enteignet worden seien. Sie wollen Schadensersatz auf entgangene Gewinne einfordern. Das sieht ziemlich genau so aus, wie eines der befürchteten Enteignungsverfahren auf Basis des Freihandelsabkommen TTIP.
E.on soll nach unbestätigten Angaben etwa acht Milliarden Euro, RWE sechs Milliarden, Vattenfall vier Milliarden Euro vor einem Zivilgericht einklagen wollen, sollte die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben. Auch nach deutschem Recht können entgangene Gewinne unter Umständen so behandelt werden wie eine Enteignung, wenn der Geschäftsbetrieb durch ein Gesetz verhindert wird. Die Bundesregierung hatte 2011 per Gesetz beschlossen, dass die Atommeiler in Deutschland stillgelegt werden sollen.
Eigentumsrecht verletzt?
Vor dem Verfassungsgericht wird nun geklärt, ob das Eigentumsrecht der Konzerne durch das Gesetz über den Atomausstieg überhaupt verletzt wurde. Das sei alles andere als eindeutig, sagte ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts gegenüber correctiv.org.
Liegt das Eigentum in der Betriebserlaubnis der Atommeiler, in der Anlage selbst oder in den Strommengen, die festgelegt waren? Wenn eine dieser Varianten als Eigentum gewertet wird, können die Konzerne in einem Folgeprozess auf Schadensersatz in Milliardenhöhe hoffen. Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass das Eigentumsrecht gar nicht betroffen ist und daher auch kein Schadensersatz zu zahlen sei. Bislang hat es zu dieser konkreten Frage in Deutschland noch keine Entscheidung gegeben.
Vattenfall klagt doppelt
Auch vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington klagt Vattenfall gegen Deutschland auf entgangene Gewinne, weil sich das Unternehmen auf einen internationalen Handelsvertrag berufen kann. Der Konzern verlangt dort etwa 4,7 Milliarden Euro. Kritiker werfen den internationalen Schiedsgerichten vor, dass Konzerne dort höhere Schadenssummen einklagen könnten als vor nationalen Gerichten, weil die Gründe für einen Schadensersatz großzügiger ausgestaltet seien. Vattenfall ist nun an beiden Verfahren beteiligt.
Auf Anfrage von correctiv.org wollten sich weder Vattenfall noch RWE zu den Verfahren äußern.
Das internationale Schiedsverfahren wird im Herbst fortgesetzt, das Verfassungsgericht will in einigen Monaten entscheiden.
Schadensersatz von deutschen Gerichten?
Sollte das Bundesverfassungsgericht im Fall des Atomausstiegs eine Verletzung des Eigentums feststellen, könnten die Energiekonzerne auch vor einem nationalen Gericht entgangene Gewinne wegen des Atomausstiegs einfordern. Nicht anders als sie es vor den geplanten Schiedsgerichten könnten. Das dürfte die Debatte um TTIP in diesem Punkt entschärfen.
Verneint das Verfassungsgericht eine Eigentumsverletzung, könnte dies allerdings die Debatte anheizen, weil dann im Fall von TTIP Konzerne vor speziellen Schiedsgerichten weitergehende Klagerechte hätten als vor nationalen Gerichten.