Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein wichtiges Interview mit Hartmut Drewes, Sprecher des Bremer Friedensforums. Wir haben mit ihm über die Montagen von Rudolph Bauer gesprochen, deren Beschreibung wir gerade ins Italienische übersetzt haben. Wir sind der Meinung, dass der künstlerische Ausdruck und so auch die Montagen Teil der Friedensarbeit sein sollen. Oft sprechen Bilder tausend Worte und sind in der Lage, Menschen für den aktiven Frieden zu mobilisieren. Ich danke Herrn Drewes herzlichst für seine wichtigen Impulse. Wir wünschen uns für das Jahr 2016 mehr Frieden als im Vorjahr, obwohl es im Moment ganz nach Aufrüstung und Ausdehnung regionaler Kriege aussieht, die von den imperialistischen Waffenlobbys an den Tischen mit Kerzenleuchtern systematisch geplant werden.
Milena Rampoldi: Wie wichtig sind Montagen in der Kunst?
Hartmut Drewes: Aus meiner Sicht stellt sich die Frage anders. Nämlich: „Welche Bedeutung haben Montagen in der Kunst?“ Die Montagen sind meines Wissens aus der Kunst der Collagen hervorgegangen, mit denen besonders der Dadaismus gearbeitet hat. Diese aufmüpfige Bewegung, die während des Ersten Weltkrieges in Zürich entstand, lehnte konventionelle Kunst bzw. Kunstformen und bürgerliche Ideale ab. Sie parodierte z.B. traditionelle und bewunderte Kunstwerke wie Leonardos „Mona Lisa“ und verpasste der „verehrten“ Dame einen Schnurrbart. Diese Bewegung benutzte sehr stark Collagen, z.B. aus Zeitungsausschnitten, aber auch aus Teilen von Gegenständen, die alltäglich ge- und verbraucht werden. Diese Kunst war – ohne dass ich sie damit in ihrer Totalität erkläre – ein Protest gegen die im Bürgertum übliche Verkleisterung der Realitäten. Sie wollte mit Witz und Satire Geheucheltes und Verlogenes aufdecken. Ich denke hier besonders an Hannah Höch.
In dieser Tradition stehen auch die Montagen von Rudolph Bauer. Sie führen in das hinein, was uns täglich aufgedrängt und aufgezwungen wird, an Werbung, an Bildern, an Nachrichten und damit verbunden an die Meinungen und Anschauungen, die sich an die Interessen der Elite orientieren. Das alles schlägt sich in Bildern und Worten der Medien und der Werbung nieder und daraus schöpft der Montagekünstler sein Material, zerstückelt es und setzt Teile so neu zueinander, dass der Betrachter diese Welt neu sieht, zum Nachdenken und zur Distanz ihr gegenüber gebracht, aber auch zugleich durch Witz, Satire und künstlerische Gestaltung erfreut wird.
MR: Welches sind die Hauptmotive in den Montagen von Rudolph Bauer?
HD: Die Hauptmotive kommen aus der Mode- und Konsumwelt mit größtenteils erotischer Ausstrahlung und aus dem militärischen Bereich. Viel Material stammt aus Katalogen, in denen mit entsprechenden Reizen zum Kauf eingeladen wird, ganz gleich ob zu Kleidung, Luxus oder Waffen. Es sind die Bereiche, in denen es am deutlichsten wird, dass unsere gesellschaftlichen Strukturen immer mehr auf den Profit weniger Menschen hin ausgerichtet und in diesem Sinne gestaltet wird.
Zugleich verwendet Bauer aber auch Motive und Fotos aus den Bereichen Kunst, Landschaft, Religion, Politik und anderen mehr, was deutlich macht, dass Leben nicht allein aus Kommerz und Konsum bestehen kann.
MR: ProMosaik e.V. ist der Ansicht, dass Krieg und Ästhetik sei es im positiven als auch im negativen Sinne zusammenhängen. Einerseits bleibt die Schönheit trotz der Kriege, da sich Schönheit nicht aus der Welt schaffen lässt. Im negativen Sinne wiederum ist die Schönheit auch die heuchlerische Maskierung des Krieges wie in den Montagen von Rudolph Bauer. Welche sind für Sie die wichtigsten Aspekte dieser Verbindung zwischen Krieg und Ästhetik?
HD: Der Künstler kann durch sein Werk in sehr komprimierender Form Lebenshaltung, Existenzerfahrung, Begegnung mit dem Tod, mit der Liebe und so auch mit dem Krieg oder mit der Vorbereitung dazu zum Ausdruck bringen, so, dass es den Kunstbetrachter berührt oder zum Nachdenken bringt. Dabei muss das Kunstwerk in keiner Weise „schön“ im landläufigen Sinne sein, es kann äußerst schroff, vielleicht sogar im ersten Moment abstoßend wirken. Es muss in seiner Aussage aber wahrhaftig sein. Die Heroisierung von „Gefallenen“ auf Kriegerdenkmälern ist meistens fade, entbehrt der Wahrheit, dass es im Krieg um ein ganz furchtbares, letztlich um ein entwürdigendes Geschehen geht, in dem Menschen Menschen abschlachten. Der russische Maler Alexander Deineka hat 1943, also mitten im Krieg, ein Gemälde gemalt, in dem im Hintergrund Ruinen von Moskau zu sehen sind, vorn die Panzersperren am Rande der Stadt, das Wetter ist sonnig, und ein junger Flieger stürzt nach dem Abschuss seines Flugzeuges kopfüber zu Boden. Es ist ohne Frage ein deutscher Flieger dargestellt, aber nicht entwürdigend, sondern als hübscher, junger Mensch. Das Bild trägt den Titel: „Das Flieger-As“ oder „Abgeschossener Fliegerpilot“. Das Bild macht die ganze Tragik und Sinnlosigkeit des Krieges deutlich, auch zugleich die des Gegners. Das sonnige Wetter weist daraufhin, dass der junge Flieger ein anderes Leben hätte leben können.
MR: Welchen programmatisch-strategischen Aspekt weisen die Montagen von Rudolph Bauer auf?
HD: Der Künstler nennt seine Bilder selbst „antimilitaristische“ Montagen. Damit sind auch schon Position und Programm angesagt: Sie richten sich gegen den Militarismus und wollen mit ästhetischem Reiz Hintergründe von militärischer Politik und Militarisierung der Gesellschaft aufdecken. Bauer hat dabei bewusst auf Fotos von zerschundenen Körpern und Ruinen verzichtet, die uns vielleicht erschüttern, aber nicht aufklären. Er will Informationen liefern und Zusammenhänge deutlich machen, auch vermitteln, dass Rückzug und Flucht in die Idylle, ins Private, in die Resignation sich von der Vernunft her verbieten.
MR: Welche ethischen Hauptlehren können wir daraus ziehen?
HD: Ein überzeugter Anti-Militarist, ganz gleich von welcher Weltanschauung, wird davon ausgehen, dafür eintreten und sich einsetzen, dass die militärischen Mittel möglichst bzw. ganz außen vor bleiben und stattdessen zivile Wege zur Lösung der Probleme eingeschlagen werden. Diese sind nicht nur sinnvoller wie die Militäreinsätze der letzten 16 Jahre in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien zeigen, sondern auch billiger, und vor allem entsprechen sie der Tatsache, dass die Menschheit auf diesem Planeten nur als eine Einheit bestehen und überleben kann. Wenn wir die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen bedenken, wird das besonders deutlich.
MR: Warum hängen Kunst und politische Pädagogik in diesen Montagen so eng zusammen? Welche sind die wichtigsten Kontrapunkte?
HD: Bauers Montagen sind in ihrer Art keine Propagandakunst, die bewusst agitiert. Diese war in der Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich. Sie löst heute eher eine abwehrende Reaktion aus. Bauers Bilder überlassen es bei aller Parteilichkeit dem Betrachter selbst, wie dieser seine Gedanken bewegt und zu Schlüssen kommt. Der Künstler hat es selbst so formuliert: Die Montagen erlauben „einen anderen Blick auf das Seiende. Einerseits werden Fragen aufgeworfen, andererseits werden neue Perspektiven erschlossen“. Dazu lädt die künstlerisch gestaltete Arbeit mit seinen ästhetischen Reizen und seiner Ausdruckskraft ein.