Tilo Jung von „Jung und Naiv“ hat in der Bundespressekonferenz nachgehakt: Ist die Bundesregierung für oder gegen ein Atomwaffenverbot? Eine Antwort erhielt er nicht – dafür aber eine Reihe an Falschinformationen und tiefe Einblicke in Deutschlands zweifelhafte Abrüstungsstrategie.
In der Bundespressekonferenz am 11. Dezember konfrontierte Tilo Jung die Pressesprecherinnen der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes damit, dass Deutschland sich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen Resolutionen ausgesprochen hat, die ein Atomwaffenverbot vorantreiben könnten.
Tilo Jung hakte am folgenden Donnerstag nochmal nach: Ist die Bundesregierung FÜR oder GEGEN ein Atomwaffenverbot? Die Reaktion lässt tief blicken. Eine klare Antwort auf seine Frage erhielt er nicht – dafür aber eine Reihe an vagen Aussagen, die die Widersprüchlichkeit der deutschen Atomwaffenpolitik zeigen:
Sawsan Chebli, stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes und Christiane Wirtz, stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, weigerten sich beharrlich, eine klare Auskunft zu erteilen. Dabei fragte Jung zunächst nur, ob die Bundesregierung für oder gegen ein Verbot von Atomwaffen sei.
Statt eines Ja oder Nein erhielt der Journalist von Seiten Sawsan Cheblis ein ausführliches Statement – das allerdings nicht nur präzise an der Frage vorbei formuliert war, sondern auch eine ganze Reihe an Fehlinformationen enthielt und nicht zuletzt Zweifel an der Sinnhaftigkeit der deutschen Abrüstungsstrategie offenbarte.
So kam Chebli immer wieder auf das Argument zurück, Initiativen ohne die Kernwaffenstaaten seien nicht sinnvoll, verbunden mit dem Hinweis, dass die Resolutionen auf einen solchen Prozess abzielten.
Dennoch ist die Aussage der Pressesprecherin schlichtweg falsch. Bewusst haben die Initiatoren der beiden Resolutionen diese so formuliert, dass alle Staaten dazu aufgefordert sind, an dem Prozess mitzuwirken. Im Wortlaut heißt es in der von Österreich eingebrachten Resolution, die eine Ächtung von Atomwaffen fordert (A/RES/70/48): „Calls upon all relevant Stakeholders, States, international organizations, the International Red Cross and Red Crescent Movement, parliamentarians and civil society to cooperate in efforts to stigmatize, prohibit and eliminate nuclear weapons“. Inklusiver lässt sich ein derartiger Appell kaum formulieren.
Gleichzeitig verweist die Sprecherin des Auswärtigen Amtes darauf, dass Deutschland den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) für den richtigen Ort halte, wo über nukleare Abrüstung zu sprechen sei. Dies ist ein atemberaubender Wiederspruch – hat die Sprecherin der Bundesregierung doch im gleichen Atemzug gesagt, Hauptkriterium für erfolgreiche Abrüstungsinitiativen sei die Präsenz aller Besitzerstaaten. Im NVV hingegen sind lediglich 5 der 9 Atomwaffenstaaten vertreten, die anderen vier können überhaupt nicht beitreten (sofern sie nicht davor unilateral abrüsten).
Darüber hinaus ist die letzte NVV-Konferenz im Mai 2015 unter anderem deshalb gescheitert, weil die Atomwaffenstaaten nicht bereit waren, auf die Forderungen der atomwaffenfreien Staaten einzugehen. Außerdem, so die Sprecherin weiter, habe sich Außenminister Steinmeier auf der Konferenz der Non-Proliferation and Disarmament Initiative (NPDI) im April 2014 dafür eingesetzt, dass der auf der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 beschlossene Aktionsplan „weiter umgesetzt wird“. Das ist mehr als euphemistisch formuliert, denn von den 64 Punkten, die vor fünf Jahren beschlossen wurden, sind bisher kaum Maßnahmen umgesetzt worden. Darüber hinaus hätten diese Punkte bis zur nächsten turnusmäßigen Überprüfungskonferenz umgesetzt werden müssen – also bis zum Mai 2015. Dies war für fast keine der 21 Abrüstungsschritte der Fall; mithin ist der Aktionsplan ein Symbol für die gescheiterte Abrüstungsdimension des NVV (der in puncto Nichtverbreitung hingegen hervorragend funktioniert und insofern unverzichtbar bleibt).
Der Verweis auf das finale Dokument der 2010er Konferenz ist zudem heikles Terrain für die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung: Damals hat die Staatengemeinschaft das erste Mal ihre Besorgnis über die „katastrophalen humanitären Konsequenzen“ von Atomwaffen ausgedrückt – im Konsens. Bei der Abstimmung am 7. Dezember hat sich die Bundesregierung bei der Resolution, welche die humanitären Konsequenzen anerkennt (A/RES/70/47), jedoch enthalten.
Ebenso fehlt jegliche glaubhafte und sinnvolle Rechtfertigung der von der Bundesregierung derzeit verfolgten Strategie des „kritischen Dialogs“ mit den Kernwaffenstaaten, wenn die Bundesregierung sich nicht einmal dazu befähigt sieht, Fragen darüber zu beantworten, ob Israel Atomwaffen besitze oder nicht – soviel zum kritischen Dialog. Und nicht zuletzt schuldet die Bundesregierung uns eine Antwort darauf, weshalb man beim Verbot von Chemiewaffen, Biowaffen, Landminen und Streumunition durchaus ohne Besitzerstaaten am Verhandlungstisch sitzen konnte, man im Falle von Atomwaffen hingegen bevorzugt, jedem einzelnen Atomwaffenstaat, inklusive Nordkorea, ein Veto darüber zu geben, ob wir Verhandlungen über ein Verbot der schlimmsten aller Massenvernichtungswaffen beginnen dürfen.
Kurzum: Deutschland setzt auf Prozesse, die seit Jahrzehnten blockiert sind und keinerlei Zeichen aufweisen, in naher Zukunft Früchte zu tragen, Gleichzeitig investieren alle Atomwaffenstaaten fleißig in ihre Arsenale. Ein Atomwaffenverbot hingegen wäre endlich ein Schritt in die richtige Richtung, der alle weiteren notwendigen Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Welt erleichtern und beschleunigen würde. Jeder Schritt in diese Richtung macht unseren Planeten sicherer.
Wenn die Bundesregierung ein solches Atomwaffenverbot ablehnt, und sich aktiv gegen Resolutionen stemmt, die den Weg für ein solches Verbot bereiten, dann sollte sie wenigstens dazu bereit sein, dies gegenüber der eigenen Bevölkerung offen zuzugeben. Denn Deutschland versucht schon seit Jahren, ein Verbot von Atomwaffen zu verzögern oder zu verhindern. Solange die Öffentlichkeit dies nicht bemerkt, dürfte sich daran wenig ändern.
Julia Berghofer, Xanthe Hall, Leo Hoffmann-Axthelm, für den ICAN-Vorstand