Ich lebe jetzt seit 27 Jahren in München, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.
Nachdem ich gestern den ganzen Tag Nachrichten über die Ankunft der Flüchtlinge gehört und gelesen hatte, entschloss ich mich gestern spät, zum Hauptbahnhof zu fahren, um mit eigenen Augen zu sehen, was dort passiert. Es waren um zwei Uhr nachts immer noch einige hundert Menschen da. Polizei und Wachpersonal schirmten die Angekommenen ab, im Laufe des Tages waren es mehrere Tausend gewesen. Trotz der späten Stunde war die Atmosphäre angenehm, obgleich auch von Müdigkeit durchzogen.
Ich fing an, die Leute zu fragen, warum sie hierher gekommen waren. Eine junge Frau sagte, sie hätte so viel in den Medien gehört und wollte sich versichern, dass das alles stimmt und München den Flüchtlingen wirklich einen herzlichen Empfang gibt. Einem jungen Iraker, der schon einige Zeit hier lebt, war es wichtig, hier zu sein, da auch eine Reihe seiner Landsleute unter den Angekommenen waren. Eine schon länger in München lebende Syrerin kam, um zu übersetzen und damit die Flüchtlinge einfach mit jemandem reden können, der ihre Sprache spricht.
Ein Deutscher sagte, es ist ihm wichtig, diese Menschen, die so viel gelitten haben, willkommen zu heißen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind und wir uns freuen, sie hier empfangen zu können, da es in Deutschland viel Platz gibt und wir einen Weg finden werden, ihnen zu helfen. Ein Pärchen verteilte Süßigkeiten und Früchte an Kinder und Erwachsene, die von der langen Reise sehr erschöpft waren – ein unvergessliches Erlebnis.
Den ganzen Tag sei es so gewesen: Während die Flüchtlinge ankamen, wurden sie sogar mit Applaus begrüßt und die Leute verteilten Essen und Kleidung und drückten Sympathie und Zuneigung aus.
Auch eine Gruppe Rechter war da und protestierte dafür, dass nicht noch mehr Leute nach Deutschland kommen, aber sie erreichten keine große Beachtung, da die Solidarität und die Freude überwog.
Viele Menschen sorgen sich um die Zukunft, da niemand weiß, in welche Richtung sich die Dinge bewegen, ob die Ressourcen ausreichen werden, ob wir als Menschheit fähig sein werden, all die Schwierigkeiten, denen wir gegenüberstehen, zu überwinden.
Es ist gut, sich Sorgen zu machen – noch besser wäre es, sich um die Dinge zu kümmern, denn die Irrationalität wächst in alle Richtungen und in allen Bereichen. Aber die Lösung liegt nicht darin, den Flüchtlingen die Türen zu verschließen, sondern sie im Gegenteil dazu einzuladen, zu teilen und gemeinsam aufzubauen.
Ein Freund sagte mir einmal: Hier sind wir, in diesem Deutschland, mit seiner Geschichte, mit seiner Suche und seinem Scheitern vieler Menschen und Völker, in dieser kulturellen Landschaft, die ebenso die Schönheit und Inspiration in der Kunst, der Kultur, der Philosophie und der Wissenschaft hervorgebracht hat wie die Ungeheuerlichkeit der Kriege und der Teilungen. Das gab mir zu denken und machte mir klar, dass wir dafür verantwortlich sind, die Schönheit und die Inspiration und das Gute, dass in jedem von uns steckt, wachsen zu lassen und mit denen zu teilen, die sich in diesem Moment in Schwierigkeiten befinden.