Von unserem Korrespondenten Stefano Dotti in Ouagadougou
Wenn man sich öfter in den Dörfern aufhält, erzählen einem die Bauern Geschichten über Schlangen. Vor denen haben sie viel Angst und sie raten, wenn man eine fängt, muss man ihr den Kopf abschneiden und ihn weit entfernt vom Körper vergraben. Tut man das nicht, kann die Schlange im Laufe des Lebens zurückkehren und einen vergiften.
Am Mittwoch, 16. September 2015, ist etwas ähnliches passiert: am Nachmittag drang eine bewaffnete Truppe der Präsidentengarde in den Regierungspalast ein, in dem der Ministerrat tagte, und nahm den Präsidenten der Republik, den Premierminister und die Minister für soziale Sicherheit und Städtewesen in Geiselhaft. Die Präsidentengarde besteht aus ca. 1.300 dem alten Präsidenten treu gebliebenen Soldaten und wird vom berüchtigten Brigadegeneral Gilbert Diendéré, „Beihelfer zum Mord“ an Thomas Sankarà, befehligt.
Die Situation kippte umgehend ins Chaos. Die Leute waren ungläubig und überrascht. Seit Oktober 2014 bis heute, zwanzig Tage vor den Wahlen, schien alles ruhig zu sein. Gerechtfertigterweise hatte das Verfassungsgericht die Kandidatur von Ministern und Abgeordneten mit Verbindungen zum alten Regime untersagt und nach einigen Protesten schien es, als hätten alle diese Entscheidung auch akzeptiert. Am 14. September hatte die Afrikanische Union in Dakar sogar beschlossen, keine internationalen Beobachter zu den Wahlen zu schicken, weil alles geordnet abzulaufen schien. Dann gestern plötzlich das Desaster. Bis tief in die Nacht hinein gab es keine Informationen. Das staatliche Fernsehen wurde geschlossen, der Sitz von Radio Omaga (dem einzigen unabhängigen Sender) wurde abgebrannt, einige Journalisten verprügelt. Bars, Geschäfte und Kaufhäuser blieben geschlossen. Während der Nacht waren zahlreiche Maschinengewehrsalven im Zentrum zu hören. Die reguläre Armee war nicht anwesend. Eine Nacht voll Hoffnung und Angst.
Heute morgen hat die Präsidentengarde dann den Putsch proklamiert und eine neue Regierung eingesetzt, angeführt von Diendéré. Die Grenzen und der Flughafen wurden geschlossen und eine Ausgangssperre zwischen 19 Uhr und 10 Uhr morgens verhängt. Die Stadt ist wie gelähmt. Alles ist geschlossen. Von meinem Balkon aus beobachte ich, wie Ladenbesitzer ihre Geschäfte leerräumen. Man hört immer noch Schüsse. Es kursieren Aufrufe zu einer Generalmobilmachung, aber dabei wird vergessen, dass wir nicht mehr in der gleichen Situation wie Oktober 2014 sind. Diesmal ist es ein echter Staatsstreich und das Militär der Präsidentengarde ist bereit, Waffen zu gebrauchen. Die Angst vor einem Blutbad ist sehr konkret. Mit all meiner Kraft insistiere ich und rufe alle an, um zu sagen, dass niemand auf die Straße gehen soll, sondern appelliere an alle, Ruhe zu bewahren, nichts zu tun, das Land zu blockieren und mit passivem Widerstand nach Gandhi zu reagieren. Das ist in Burkina zur Stunde die einzige Möglichkeit.
Die gesamte internationale Gemeinschaft mag sich wohl empört über den Putsch äußern, aber hier passieren die Dinge Schlag auf Schlag, die internationale Gemeinschaft hingegen ist langsam, pragmatisch und scheinheilig. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Anspannung sehr hoch. Die Befürchtung ist, dass die Erfahrung von Burkina (beispielhaft für die ganze Welt) ganz schnell vergessen wird, und dass sehr bald ein „Eindringen der Boshaftigkeit“ Burkina Fasos stattfindet. Die Unzufriedenheit verleiht der Infiltration von islamisch-fundamentalistischen Gruppierungen Auftrieb und dies ist die größte Gefahr, weil religiöse Toleranz hier geschichtlich immer ein wichtiges Bindeglied für das Zusammenleben war.
Burkina Faso ist in großer Gefahr. Gott schütze Burkina Faso.
Schauen wir, wie dieser Tag verlaufen wird, vor allem aber auch die Nacht.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter