Auf dem Potsdamer Platz in Berlin trafen sich am gestrigen Nachmittag etwa zweihundert bis dreihundert Menschen, um ihre Solidarität mit den Flüchtlingen auszudrücken. Es waren hauptsächlich Deutsche und Syrer gekommen, aber auch viele andere Nationen waren vertreten. Die Versammlung verlief friedlich bis berührend. Es wurden, eher im Stile von Occupy, Reden gehalten, jeder der wollte, durfte das Mikrophon ergreifen. Dazwischen gab es Violinspiel. Auf den Schildern stand „Hoffnung statt Angst“, „We love Angela Merkel“ oder „Ich vermisse meine Geschwister“. Kerzen wurden aufgestellt. Am Ende saßen die meisten auf der Erde und man bekam, trotz der großen Unterschiede der Menschen im Publikum, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit – one big family.
Wir haben die Gelegenheit ergriffen, eine kleine Studie zu machen und der Frage nachzugehen, wie die Menschen sich die plötzliche „Willkommenskultur“ erklären. Als Vergleich haben wir die Einwanderungswelle wegen des Jugoslawienkrieges in den Neunzigern genannt, bei welcher es keine vergleichbare Hilfsbereitschaft gegeben hatte.
Die befragten anwesenden Syrer – durchweg junge Männer und Frauen – sagten beinahe unisono: „Ich weiß es nicht. Aber es ist sehr schön.“ Einer vermutete: „Vielleicht, weil die Deutschen auch Erfahrung mit Krieg gemacht haben. Und wegen der Deutschen Teilung. Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein, weil es wurden auch Familien getrennt.“
Eine Berlinerin mit Fahrrad und großem „Refugee Welcome“ Schild war beinahe entrüstet über die Frage. Das habe mit Hilfsbereitschaft nichts zu tun, das sei das Gebot der Stunde, wegen der Notwendigkeit. Das sei das, was man machen müsse! Ihre Freundin sagt: „Wegen der Pegida Demonstrationen. Endlich kann man etwas machen, um zu zeigen, dass man mit Pegida nicht einverstanden ist.“ Der dabei stehende junge Mann bemerkt, dass die Menschen heute ja global viel mehr konnektiert seien. Man sei viel mehr gereist und in den Ländern gewesen und hätte die Lebensumstände gesehen. Die Freundin fügt noch an, dass die Rolle der Medien sich sehr positiv auswirke. Die positive Berichterstattung. Jetzt meldet sich die Frau mit dem Fahrrad wieder zu Wort und sagt: „Inzwischen haben wir vielleicht auch gemerkt, dass Deutschland von der Einwanderung immer nur profitiert hat. In den Neunzigern war das Gejammer groß, aber es ist nichts passiert. Es geht uns so gut wie nie zuvor.“
Auch andere erwähnen, dass sie endlich die Möglichkeit gesehen haben, sich zu beteiligen. Ein Mädchen, das sich selbst als „eher eine Couch Potato“ bezeichnete meinte, es sei ja kaum noch möglich, nichts zu machen. Alle gingen hin und ständig werde man eingeladen.
Viele erklären, dass sie die Notwendigkeit empfunden hätten, der rechten Gewalt etwas Positives entgegenzustellen. Diese irgendwie zu übertönen.
Zwei ältere Berlinerinnen, mit Kind und Ehemann im Schlepptau, bekräftigen die Rolle des „Mitgezogenwerdens“. Die sozialen Netzwerke, facebook, twitter, machten ausserdem die schnelle Organisation überhaupt erst möglich. Auch wenn Promis wie Til Schweiger sich einsetzten, habe das sicherlich einen großen Effekt. Die eine sagt: „Aber meine große Angst ist, dass das alles wieder endet.“ In facebook hätten sich zum Beispiel 5000 für dieses Ereignis angemeldet, aber es seien nur wenige davon gekommen. Sie fängt an zu weinen und sagt: „Das ist doch eine Schande für eine große Stadt wie Berlin.“
Unsere ungarische Freundin, die auch auf dem Bahnhof in Budapest gewesen war und dort mit anderen Freiwilligen die Flüchtlinge versucht hatte zu versorgen, sagt: „Meinst Du nicht, dass es so ist, dass die Menschen einfach die Nase voll haben von all der Gewalt und etwas anderes dagegen stellen wollen?“
Bilder von der Veranstaltung:
Fotos: Caroline Schenck
Text: Johanna Heuveling