Während am Montag die Sprecherin des Senators Czaja uns am Telefon versicherte, dass die Behörde mit Hochdruck arbeite und mithilfe des neuen Landeskoordinierungsstabes, einer Aufstockung der Mitarbeiter und denen in kurzer Zeit über 3000 neu aquirierten Unterkunftsplätzen versuche, alle auflaufenden Flüchtlinge schnell unterzubringen, berichtet Oliver Feldhaus, der fast täglich am LaGeSo ist, dass die Zustände weiterhin prekär und wegen der sich zurück gezogenen Koordinierung von „Moabit hilft!“ eher wieder schlimmer geworden seien. Eine Kinderärztin hat einen offenen Protestbrief an Czaja verfasst. Gestern besuchte dieser die Behörde und zu allem Überfluss gab es auch noch eine Bombendrohung.
Hase und Igel
„Am Freitag konnten wir alle am LaGeSo wartenden Menschen erfolgreich unterbringen“, so die Sprecherin des Senators für Gesundheit und Soziales. Auf die Hostelscheine könne das Amt aber noch nicht ganz verzichten. Sie sehe das Problem und man versuche, die Kostenübernahmen schnell zu bearbeiten, aber man müsse sie eben genau prüfen, da es auch schwarze Schafe unter den Hostelbetreibern gegeben habe. Auch sorge die Touristen-Hauptsaison für Engpässe, die sich aber hoffentlich zum Herbst hin wieder besserten. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung sagte sie: „Es ist eben ein bißchen wie der Hase und der Igel. Wir tun unser möglichstes, um schnell neue Unterkünfte zu finden, aber gleichzeitig treffen täglich mehr Flüchtende ein.“ Auch die Stellenaufstockung ginge nicht so schnell. Es gäbe vorgeschriebene Einstellungsverfahren. Um diese zu beschleunigen haben sie immerhin schon Mitarbeiter aus anderen Behörden hinzugezogen. Auch Zeitarbeitsangestellte haben sie – unüblicherweise – zur Überbrückung beim LaGeSo beschäftigt.
Keine professionellen Kräfte, Chaos wegen angeblichem Bombenfund, Czaja flitzt vorbei, Familie in Not: Oliver Feldhaus berichtet vom gestrigen Tag.
„Dort [auf dem Gelände des LaGeSo] fühlte ich mich nach dem weitgehenden Abzug der freiwilligen Helfer an die unhaltbaren Zustände von vor zwei Wochen versetzt. Dabei sollte ab dieser Woche doch alles besser werden, da Verwaltung und Senat versprochen hatten, Hilfe und Versorgung der Geflüchteten durch „professionelle“ Kräfte zu organisieren und zu leisten. Davon war jedoch nichts zu sehen. Nothilfe und Unterstützung wurde auch weiterhin fast ausschließlich von anwesenden freiwilligen Helfenden geleistet.
Wegen eines möglichen Bombenfundes in Haus J, dort, wo die Geflüchteten oft tagelang anstehen müssen, um ihre Papiere zu bekommen, durften die LaGeSo-Gebäude nicht mehr betreten werden. Das Gelände war zu dieser Zeit mit mehreren hundert Menschen sehr gefüllt. Die Stimmung war jedoch relativ ruhig, da offenbar niemand über die Situation informiert wurde. Angesichts der zahlreich aufgefahrenen Polizeifahrzeuge und des abgesperrten Gebäudes wurde ich häufig von ratlosen Menschen gefragt, was den eigentlich los sei. Insgesamt hatte ich nicht den Eindruck, als ob in diesem Moment ein organisierter Notfallplan greifen würde.
Just zu diesem Zeitpunkt tauchte der zuständige Sozialsenator Czaja auf, nachdem er wochenlang durch Abwesenheit und Ignoranz geglänzt hatte. Als er sich den Weg durch wartenden Menge der Geflüchteten bahnte, rief er mir munter zu: „Bisschen voll hier!“. Musste mich sehr zurück halten. Und schließlich entschwand er mit seinem Stab in irgendeinem Gebäude auf dem Gelände und wurde nicht mehr gesehen.
Der angebliche Bombenfund stellte sich nach einiger Zeit schließlich als harmloser Koffer eines syrischen Geflüchteten heraus.
Gegen 18:00 schloß das LaGeSo und die verbliebenen Geflüchteten wurden weitgehend für diese Nacht auf diverse Unterkünfte verteilt. Doch auch heute blieben wieder zahlreiche Geflüchtete ohne Unterkunft.
Einem Kollegen und mir fiel eine Familie am Rande auf. Mutter, Vater, zwei kleine Mädchen, ein größerer Junge aus Syrien. Seit vier Tagen warteten sie hier vor dem LaGeSo, berichtete die Frau. Die schwangere Mutter krümmte sich immer wieder mit schmerverzerrtem Gesicht und der etwa 14jährige Junge lief mit geschwollenen blutigwunden nackten Füssen. Seine Schuhe waren etwa zwei Nummern zu klein. Die Frau gab an, dass sie Magenschmerzen habe und ihr immer wieder stark übel sei.Wir brachten sie zu den wenigen verbliebenen freiwilligen medizinischen Helfern, um die Situation zu klären. Den Ärzten war die Mutter bereits bekannt, da sie schon gestern mit einem Schwächeanfall zusammengebrochen war. Die Ärztin meinte, dass die Frau nicht wirklich krank , aber „total durch und fix und fertig sei“ und dass sie dringend Ruhe brauche. Sie ins Krankenhaus zu bringen, sei nicht wirklich sinnvoll. Schließlich wurde mit einer anwesenden Verantwortlichen der Caritas verhandelt, ob die Familie als Härtefall zu behandeln sei, um eine sichere Unterkunft für diese Nacht zu ermöglichen. Die Dame der Caritas argumentierte jedoch, dass es zu spät am Tage sei, um die konkrete Situation heute noch klären zu können und außerdem die nötigen Papiere nicht vorhanden oder unvollständig seien.
Schließlich nahm sich wieder einmal eine der wundervollen jungen freiwilligen Helfenden der Familie an. „Ich kann das nicht mehr ertragen. Ich kann das nicht mitanhören“, sagte sie. „Ich hab zwar eigentlich auch keinen Platz. Aber ich nehme sie mit. Es wird schon irgendwie gehen.“
Ich möchte mit der Beschreibung keinesfalls Kritik an den vor dem LaGeSo tätigen Caritas-MitarbeiterInnen üben. Im Gegenteil. Sie tun wirklich ihr Bestes und dafür auch noch mal mein ganz persönlicher großer Dank. Aber sie stoßen bei ihrem Bemühen an die ihnen gesetzten Grenzen. Und diese hatte die Dame von der Caritas am Abend, als es um die Familie ging, formuliert. Ich wäre glücklich, wenn die Beschreibung dieser Grenzen dazu führt, dass sie fallen und das auch die Caritas endlich auch so mit Personal, Finanzen und Organisation vor dem LaGeSo ausgestattet wird, um ihren Auftrag im Sinne der Geflüchteten erfüllen zu können.“
Offener Brief an Czaja von der Kinderärztin Renate Schüssel: „Krankheiten warten nicht, sehr geehrter Herr Czaja, bis die Verantwortlichen endlich in die Gänge kommen.“
Sehr geehrter Herr Czaja,
als ehrenamtlich tätige Ärztin habe ich seit dem 14.08.2015 kontinuierlich auf dem Gelände des LaGeSo Flüchtlinge mit versorgt und bin fassungslos über die Untätigkeit der Behörden in der Versorgung der Menschen, die dort tagelang auf ihre Registrierung warten – ein Zustand der seit Wochen besteht.
Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Kleidung werden allein durch die großartige Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, ebenso großartig koordiniert durch die Bewegung „Moabit hilft“, gesichert.
Auch eine medizinische Versorgung wurde von „Moabit hilft“ initiiert und Medikamente in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt.
Aber medizinische Versorgung besteht nun mal nicht in der Verteilung von Medikamenten.
Ohne Beratung und Aufsicht der zuständigen Behörden hatte sich durch ungehinderten Wildwuchs ein Chaos entwickelt. Wechselnde, sporadisch auftauchende Personen hatten ohne Befähigungsnachweis Zugang zu Patienten. Hygiene- und Qualitätsstandards wurden nicht eingehalten. Die Patientensicherheit war nicht gewährleistet, Fehldiagnosen unvermeidbar.
Durch den Einsatz Einzelner ist in der letzten Woche mehr Professionalisierung erreicht worden, so dass die Sicherheit der Patienten und die Qualität der Basisversorgung aller Ratsuchenden durch qualifizierte Ärzte sowie die Versorgung chronisch Kranker zumindest mit dringend benötigten Medikamenten gegeben war. Hebammen, medizinische Helfer und Ärzte haben dafür unter eigentlich unannehmbaren und ständig wechselnden Bedingungen intensiv und engagiert gearbeitet – immer im Bewusstsein der äußerst beschränkten Möglichkeiten, die z.B. dringende diagnostische Maßnahmen zur Feststellung auch infektiöser Erkrankungen, nicht erlaubten.
Ja, es gibt ein Röntgenmobil, das aber absurderweise nur für den Einsatz bei bereits registrierten Flüchtlingen vorgesehen ist. Durch persönliche Absprache unter der Hand konnte die jederzeit widerrufbare Bereitschaft, auch Verdächtige aus der dicht gedrängten Menge der Wartenden zu röntgen, erreicht werden.
Ja, es gibt den Notfallwagen der Johanniter, der aber eben nur für akute Notfälle zuständig ist. Wir sind trotzdem gelegentlich von den Mitarbeitern unterstützt worden. Dafür waren wir dankbar.
Unsere Arbeit ist wichtig und gut für die Flüchtlinge vor Ort. Wir haben sie bisher gerne und ohne Hilfe – ja ohne das Hilfsangebot – irgendeiner verantwortlichen Institution gemacht. Deshalb war es für mich der blanke Hohn, der Presse zu entnehmen, dass die Situation sich gebessert habe und die Berliner Ärztekammer für die Besetzung mit Ärzten sorgt. Tatsache ist, dass sich die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und die nachgeordneten Behörden in beispielloser Weise ihrer Verantwortung entziehen.
Heute Nacht erhielt ich nun die Information, dass sich „Moabit hilft“ aus der Versorgung der Flüchtlinge zurückzieht und diese erfahrenen Organisationen übertragen wird. Dass die medizinische Versorgung in professionelle Hände kommt, ist sehr zu begrüßen. In Anbetracht des bisherigen Managements und der Information, dass die Finanzierung noch nicht gesichert ist, sehe ich allerdings keinerlei Veranlassung mich vertrauensvoll zurück zu lehnen.
Die Flüchtlinge sind jetzt da, sie müssen jetzt versorgt und Gefährdungen müssen jetzt erkannt werden. Krankheiten warten nicht, sehr geehrter Herr Czaja, bis die Verantwortlichen endlich in die Gänge kommen.