Ein offener Brief über die Diskussion beim Evangelischen Kirchentag in Deutschland um das diplomatische Asyl für Julian Assange.

Julian Assange lebt seit über 3 Jahren in der Botschaft von Ecuador in London. Das diplomatische Asyl verlieh ihm die Regierung von Rafael Correa zum Schutz seiner Menschenwürde bezüglich der Regelungen der Genfer Flüchtlingskonventionen.

Offener Brief an Armin Laschet, MdL, Fraktionsvorsitzender in Düsseldorf durch den Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland, Jorge Jurado.


Sehr geehrter Herr Staatsminister a.D. Laschet,

Bezug nehmend auf den diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart, wo wir gemeinsam an der Podiumsdiskussion: „Jeder hat das Recht, (s)ein Land zu verlassen, aber wohin?“ im Rahmen der Podiumsreihe „Migration und Menschenrechte“ teilnahmen, stelle ich Folgendes richtig. Entgegen Ihrer im genannten Podium gemachten Aussage handelt es sich bei Herrn Julian Assange keineswegs um einen Delinquenten oder Straftäter.

Herr Assange hält sich in der Botschaft von Ecuador in London seit über drei Jahren auf. Das diplomatische Asyl verlieh ihm die Regierung des Präsident Rafael Correa unter Berücksichtigung der Universellen Menschrechtserklärung, des internationalen Flüchtlingsrechts, des humanitären Völkerrechts, der Regelungen der Genfer Flüchtlingskonventionen von 1951 und deren Protokoll von 1967.

Gemäß der in jedem Rechtsstaat geltenden Präsumtion der Unschuld (in dubio pro reo) gilt Herr Assange solange als unschuldig, wie das Gegenteil nachgewiesen ist. Bislang hat noch nicht einmal ein Verhör in der Botschaft von Ecuador in London stattgefunden, welches Ecuador bereits vor drei Jahren den schwedischen Behörden anbot, um die Wahrheit zu ermitteln und um zugleich die Sicherheit Herrn Assanges zu gewährleisten.

Es gilt der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass Ecuador gegenwärtig Vorreiter bei der universellen Umsetzung des Menschenrechts auf Asyl ist (vgl. Art. 41 der Verfassung Ecuadors). Daher ist eines der Prinzipien der ecuadorianischen Regierung, Verfolgung zu verhindern und Verfolgte sowie Geflüchtete zu schützen. Im Artikel 40 der ecuadorianischen Verfassung ist zudem festgelegt, dass Ecuador keinen Menschen wegen seiner Migration als „illegal“ betrachtet.

Es gilt hervorzuheben, dass Ecuador gegenwärtig das Land mit der höchsten Anzahl anerkannter Flüchtlinge mit Asylstatus in Lateinamerika ist. Das Außenministerium musste seine institutionelle Struktur in den letzten Jahren anpassen, um der steigenden Nachfrage nach Asyl, insbesondere von Kolumbianern, gerecht werden zu können und benannte sich folglich um in Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Menschliche Mobilität. Die Abteilung für Asyl und Flüchtlinge bindet mehr als 15% des gesamten Personals des ecuadorianischen Außenministeriums.

Das Konzept einer umfassenden Mobilität (Menschliche Mobilität) für alle Bewohner unseres Planeten ist ein Anspruch, der in Ecuador verfassungsrechtlich verankert ist als universelle Staatsbürgerschaft (ciuadadania universal, z.B. die in Ecuador weitestgehend aufgehobene Visapflicht).

Im Unterschied zu vielen europäischen Ländern bestehen in Ecuador keine Einschränkungen der Freizügigkeit für geflüchtete Menschen. Ihre Rechte sind gemäß der Verfassung Ecuadors genauso anerkannt wie die der ecuadorianischen Staatsangehörigen. Der kostenlose Zugang für Geflüchtete zu Gesundheit und Bildung ist ebenso garantiert wie der Bezug von finanziellen Beihilfen. Die Kosten zum Schutz der Menschenwürde der Asylsuchenden übersteigen jährlich 60 Millionen US-Dollar und werden vom ecuadorianischen Staat getragen.

Die Menschenwürde ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte von 1948 geschützt und damit für die internationale Gemeinschaft das verbindliche Fundament, auf welches sich sämtliche Grundrecht stützen. Schließlich geht es bei dem diplomatischen Asyl von Herrn Assange um den Schutz der Menschenwürde.

So wie zahlreiche Politiker in vielen Ländern bei der fehlenden bzw. reduzierten Regulierung der Finanzmärkte den politischen Gestaltungsspielraum freiwillig aufgaben, so droht auch die nötige demokratische Gestaltung der Nachrichten bzw. der Berichterstattung, die heute Informationsmärkte darstellen, vernachlässigt zu werden. Herr Assange hingegen tritt für eine volksnahe, investigative Berichterstattung ohne machtpolitische Eingrenzung ein.

Hochachtungsvoll

Jorge Jurado
Botschafter von Ecuador

CC: Frau Maria Inés Pacecca (Anthropologin), Frau Margot Käßmann (Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland , Herrn Dr. Steffen Angenendt (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin)