Dr. Milena Rampoldi von ProMosaik interviewt Fritz Edlinger, den Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen in Wien. Wir haben ihm Fragen über seine Organisation, deren Ziele und Grundsätze, die Palästinafrage und den Zionismus, sowie allgemeinere Fragen zum Dialog und zum Frieden gestellt.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche Hauptziele verfolgt Ihre Organisation und welche Grundprinzipien vertritt sie?
Fritz Edlinger: Die „Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen“ (GÖAB) wurde im Jahr 1982 gegründet und sollte gewissermaßen eine zivilgesellschaftliche Ergänzung zur damaligen Nahost-Politik Österreichs darstellen. Bekanntlich führte der österreichische Bundeskanzler der 70er und 80er Jahre, Dr. Bruno Kreisky, eine für damalige europäische Verhältnisse besonders Araber-freundliche Politik. Diese öffnete führenden arabischen Persönlichkeiten, an der Spitze Yasser Arafat, den Weg nach Europa, was letztlich zu mehr Verständnis für die spezifischen gesellschaftlichen Probleme im Nahen Osten unter den meisten europäischen Regierungen und auch in der Europäischen Gemeinschaft geführt hat. Das von mir genannte Beispiel ist nicht zufällig gewählt, da auch für unsere Gesellschaft von Anbeginn an die Unterstützung des Palästinensischen Volkes bei seinem Kampf um Selbstbestimmung und Gründung eines unabhängigen Staates im Vordergrund stand. Die Grundprinzipien, die unserer Arbeit zugrunde liegen sind daher Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte, Kampf gegen Rassismus jeder Art, insbesondere gegen Antisemitismus und Islamophobie, Beseitigung nach wie vor bestehender imperialistischer und spätkolonialistischer Interventionen im Nahen Osten. In Bezug auf das Palästinensische Volk und dessen seit Jahrzehnten erfolglosen Kampf um Selbstbestimmung haben wir seit der Gründung unserer Gesellschaft über die politischen Anliegen des Palästinensischen Volkes hinaus auch immer wiederum konkrete Hilfs- und Entwicklungsprojekte durchgeführt bzw. derartige unterstützt.
Warum sind Events wie „Der Tag des Bodens“ oder „Gaza – ein Abend im Zeichen der Solidarität“ so wichtig? Wie vermitteln Sie in Österreich die Palästinafrage? Berichten Sie unseren Leserinnen und Leser von Ihren Publikationen über Palästina.
Veranstaltungen wie jene zum „Tag des Bodens“ sind aus einigen Gründen wichtig: Zum Ersten ist es für viele PalästinenserInnen nach Jahrzehnten der Vertreibung aus ihrer Heimat wichtig, zusammen zu kommen und zu demonstrieren, dass sie weiterhin die Ziele ihres Kampfes, die Errichtung eines eigenen Palästinensischen Staates, nicht aus den Augen verlieren. Zum Zweiten bieten derartige öffentliche Solidaritätsveranstaltungen auch eine geeignete Möglichkeit für ÖsterreicherInnen, ihre Solidarität mit dem Palästinensischen Volk zum Ausdruck zu bringen. Derartige Veranstaltungen bieten natürlich auch eine günstige Gelegenheit,
Geschichte und Kultur des palästinensischen Volkes einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Leider sind die Vorstellungen vieler ÖsterreicherInnen über Palästina angesichts der mangelhaften und teilweise auch einseitigen Berichterstattung lückenhaft bis völlig falsch. Deswegen ist es unserer Meinung nach auch sehr wichtig, neben konkreten Einzelveranstaltungen auch eine ständige Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Wir publizieren daher laufend schriftliche Informationen, gestalten eine Webseite (www.saar.at) und sind auch auf Facebook präsent. Auch wenn die Erfolge von direkten Schreiben an PolitikerInnen sowie auch von Leserbriefen an Medien nicht immer groß sind, so halte ich es dennoch für notwendig, dies zu tun. Angesichts der Übermacht der Israel-Lobby und ihrer vielfältigen Möglichkeiten zur Beeinflussung der Medien ist dies die einzige Möglichkeit, das Palästina-Thema immer wiederum in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch erwähnen, dass ich über meine Tätigkeit in der GÖAB hinaus als Autor und Publizist seit vielen Jahren einschlägig veröffentliche. Hier ist zum Einen meine Herausgeberschaft bei der seit 1979 erscheinenden Zeitschrift INTERNATIONAL (www.international.or.at) sowie auch auf die Herausgabe verschiedener überwiegend beim Wiener Promedia-Verlag herausgebrachte Bücher zu verweisen. So war beispielsweise meine erste Buchveröffentlichung dem Thema Palästina gewidmet (Fritz Edlinger – Befreiungskampf in Palästina).
Was bedeuten für Sie Zionismus und Antizionismus und wie gestalten sie sich heute?
Der Zionismus ist zweifellos ein Produkt des europäischen Antisemitismus und ist in einer gewissen Weise die jüdische Reaktion auf die immer stärker werdenden europäischen Nationalismen im 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine historische Bedeutung und letztendlich auch seine politische Macht hat er allerdings erst durch den Holocaust gewonnen. Ohne die Verbrechen der Nazis und die systematische Ermordung von 6 Millionen Juden wäre es meiner Überzeugung nach den Zionisten kaum gelungen, die Internationale Staatengemeinschaft in Form der Vereinten Nationen zur Errichtung eines Jüdischen Staates, wenngleich zunächst auch nur in geteilter Form mit den Palästinensern, zu bewegen. Wenn man sich die Aufzeichnungen führender zionistischer Funktionäre vor Augen führt, so war für die Zionisten aber die Annahme der UN-Teilungsresolution 1947 lediglich ein taktischer erster Schritt. Wie man anhand der aktuellen Politik der israelischen Rechten unschwer erkennen kann, haben sie ihr Endziel der Errichtung eines jüdischen Staates im gesamten Gebiet der ehemaligen britischen Kolonie Palästina (Eretz Israel) nie aus den Augen verloren. Dies bedeutet natürlich die Vertreibung des Palästinensischen Volkes aus seiner angestammten Heimat. Dieser Prozess ist unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel am 14.5. begonnen (Al Nakba) und ist bis heute nicht beendet worden.
Insofern ist es weiter nicht überraschend, dass sich mit der Zeit in Europa bzw. in der gesamten Welt eine antizionistische Bewegung gebildet hat, welche einfach die rücksichtslose Durchsetzung der wahren und endgültigen Ziele der Zionisten nicht unwidersprochen hinnehmen wollte. Die Zionisten und deren Freunde in der ganzen Welt versuchen – wie wir wissen – den Antizionismus immer wiederum in die Ecke des Antisemitismus zu rücken, zuletzt sogar mit der Erfindung eines sogenannten neuen
Antisemitismus. Diese Argumentation erweist sich vor allem in Deutschland und Österreich als ziemlich erfolgreich, was angesichts der geschichtlichen Ereignisse und der daher vor allem vom politischen und medialen Mainstream in unseren Ländern herrschenden „political correctness“ auch weiter nicht überraschend ist. Dennoch sehe auch ich mich als Antizionist absolut nicht als Antisemit und/oder Rassist. Die in der Geschichte in Europa am Jüdischen Volk verübten Verbrechen halten mich absolut nicht davon ab, das Unrecht und die Verbrechen des Staates Israel gegenüber den Palästinensern und auch anderen arabischen Nachbarn zu kritisieren und zu bekämpfen.
Wie können wir uns global für einen langfristigen, gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzen?
Indem wir uns einfach von der weltweit recht mächtigen Israel-Lobby nicht einschüchtern lassen und überall vehement für die völkerrechtlichen Ansprüche des Palästinensischen Volkes und für die Achtung von zahllosen internationalen Resolutionen eintreten. Die Erfahrung zeigt uns leider, dass diese Politik alleine sicherlich nicht zum Ziel führen wird. Ich halte daher Kampagnen wie die BDS-Aktion für äußerst wichtig. Israel wird – so wie das auch das südafrikanische Beispiel zeigt – erst dann zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Palästinensischen Volk bereit sein, wenn die Kosten für ihre Besatzungs- und Vertreibungspolitik ein kritisches, d.h. auch für Israel nicht mehr leicht zu tragendes, Ausmaß angenommen haben.
Wie wichtig ist ihre Organisation als Brücke zwischen Kulturen und Religionen und welche Strategien eigenen sich am besten, um interkulturell und interreligiös mit den arabischen Raum zu arbeiten?
Angesichts des großen Einflusses der Israel-Lobby und der übergroßen Vorsicht des politischen und medialen Mainstreams in Europa ist es wahrlich nicht einfach, den konsequent und aggressiv verfolgten Zielen Israels entgegen zu treten. Meine Erfahrung zeigt also, dass man mit „soft power“ mitunter weit mehr erreicht als mit beinharten und aggressiven politischen Kampagnen. Auch unsere Gesellschaft führt daher immer wiederum Kulturveranstaltungen durch, bei welchen man einfach die lange und eindrucksvolle Geschichte und die äußerst faszinierende und vielfältige Kultur des Nahen Ostens präsentiert wird. Damit gelingt es regelmäßig auch skeptische Menschen zu beeindrucken. Dies ist vor allem auch deswegen von Bedeutung, da in der Schulbildung in den meisten europäischen Ländern kaum und wenn dann sehr oft auch nicht korrekt über die außereuropäische Geschichte und die dort entwickelten Kulturen unterrichtet wird. Wir haben dies bereits zu einem Zeitpunkt getan, da die nach dem 11.September losgetretene Welle der Islamophobie bei weitem noch nicht so weit verbreitet war. Die GÖAB versucht also wie viele andere Organisationen sich dieser übermächtigen Welle der Islamfeindlichkeit sowie des gegen Araber wie auch andere außereuropäische Völker gerichteten Rassismus entgegen zu stellen. Hier ist sicherlich noch viel zu tun, wobei uns die innerarabischen bzw. innerislamischen Entwicklungen der letzten Jahre leider nicht sehr zur Hilfe kommen.
Was haben Sie schon erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Wie bereits betont, so haben wir leider noch viel zu wenig erreicht, was doch auch damit zusammenhängt, dass wir es mit mächtigen Gegnern zu tun haben. Und hier meine ich nicht nur die Israel-Lobby sondern auch jene sehr mächtigen Lobbys in den westlichen Staaten aber auch im Nahen Osten selbst, welche de facto an einer Veränderung des status quo nicht interessiert sind. Dies bedeutet also konkret, dass sich im Laufe der letzten Jahre unsere Arbeit noch extrem erschwert hat, da wir es nicht nur mit den herkömmlichen Gegnern wie Israel und die weltweite Israel-Lobby sondern sehr wohl auch mit Reaktionären und menschenrechtsverachtenden Kräften im Nahen Osten selbst zu tun haben. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass uns allen nicht der Mut verlässt und wir trotz momentan ungünstiger Vorzeichen den so wichtigen politischen Kampf für Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht der Völker fortsetzen.