Interview mit Dr. Wolfgang, Autor des Buches Buch „Der Ukraine-Konflikt und die Strategie der USA“ über den Ukrainekonflikt und die geopolitische Strategie der USA.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Warum ist es heute wichtig aufzuzeigen, wie der Ukraine-Konflikt ein Ergebnis des US-Imperialismus ist?
Dr. Wolfgang Bittner: Ein großer Teil der Bevölkerung ist durch die einseitige Politik und Berichterstattung zu Lasten Russlands vollkommen indoktriniert. Viele Menschen sehen Russland inzwischen als Feind und den Präsidenten Wladimir Putin als bösartigen Kriegstreiber an; angeblich hat er den Ukraine-Konflikt zu verantworten. Obwohl zu Russland seit mehr als zwei Jahrzehnten gute wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen gewachsen waren, hat es die US-Regierung geschafft, Westeuropa erneut durch einen „Eisernen Vorhang“ von Russland zu trennen und eine akute Kriegsgefahr in Europa heraufzubeschwören. Das entspricht einer Langzeitstrategie, die zum Beispiel der Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski in seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ schon 1997 genauestens beschrieben hat.
Brzezinski: „Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.“ Für die einzige Supermacht USA sei – so Brzezinski – Eurasien „das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“. In diesem Kontext ist auch die Äußerung Henry Kissingers am 2. Februar 2014 in einem CNN-Interview zu sehen, wonach der Regime Change in Kiew sozusagen die Generalprobe für das sei, „was wir in Moskau tun möchten“.
Noch deutlicher wird einer der Bellizisten der Republikaner, George Friedman. Er ist Direktor des einflussreichen US-Think Tanks STRATFOR (Strategic Forecasting Inc.) und sagte am 4. Februar 2015 am Chicago Council on Global Affairs: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die einzige Macht sind, die uns bedrohen kann. Unser Hauptziel war, sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt.“ Die Hauptsorge der USA sei – so Friedman –, dass „deutsches Kapital und deutsche Technologie sich mit russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination verbinden.“ Diese „deutsch-russische Kombination“ werde dadurch verhindert, „dass die USA ein ‚Cordon Sanitaire‘, einen Sicherheitsgürtel um Russland herum aufbauen“.
In der Tat zeichnet sich mehr und mehr die aktuelle Strategie der westlichen Allianz unter Führung der USA ab, Russland als Machtfaktor in der internationalen Politik auszuschalten und durch Wirtschaftssanktionen, Beeinflussung der Kapital- und Energiemärkte sowie die aufgebürdeten Kosten für Nachrüstung zu ruinieren. Ganz offensichtlich ist das Ziel, Osteuropa einschließlich Russland den westlichen Kapitalinteressen aufzuschließen und den imperialen Zielen der USA unterzuordnen. Wer sich nicht beugt, wird bekanntlich entweder bombardiert oder ruiniert. (Antiamerikanismus? Es gibt keine kollektive Identität!)
Warum sprechen Sie hinsichtlich der Ukraine von einem „Jahrhundertdesaster“?
Es geht in erster Linie um das Verhältnis Westeuropas zu Russland. Falls es wieder zu einer Verständigung kommt, was zu wünschen ist, wird es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis erneut ein Vertrauensverhältnis hergestellt werden kann. Was da geschehen ist und weiter geschieht, ist unverantwortlich. Die Ukraine-Krise ist nachweislich eine jahrelang vorbereitete Inszenierung des Westens; das habe ich in meinem Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“ eingehend dargestellt. Jetzt stehen sich in der Ukraine zwei Atommächte gegenüber und wir haben seit Mitte 2014 eine hochgefährliche Situation in Europa, was die Mehrheit der Bevölkerung kaum zur Kenntnis nimmt, da sie nicht darüber aufgeklärt wird.
Welche Aufgabe haben wir als Intellektuelle heute, die Wahrheit zu verbreiten?
Es ist existenziell wichtig, dass den Kriegsvorbereitungen (Nato-Speerspitze, provokative Manöver, Stationierungen von immer mehr Militär und schweren Waffen an den Grenzen Russlands etc.) und einer gezielten Kriegshetze Einhalt geboten wird. George Friedman sagt: „Die Vereinigten Staaten kontrollieren aus ihrem fundamentalen Interesse alle Ozeane der Welt; keine andere Macht hat das jemals getan. Aus diesem Grund intervenieren wir weltweit bei den Völkern, aber sie können uns nicht angreifen. Das ist eine schöne Sache.“
Welch eine Anmaßung, welch eine unglaubliche Hybris! Die Bevölkerung muss über solche wahnsinnigen Vorstellungen US-amerikanischer Politiker und über die wahren Hintergründe der weltweiten Konflikte und Kriege aufgeklärt werden. Da die Politiker das nicht tun und die bürgerlichen Medien das in ihrer Mehrheit verhindern, müssen neue Wege zur Verbreitung der Fakten und verbrecherischen Strategien beschritten werden, unter anderem durch das Internet. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir mehr und mehr von der realen Idiotie umgeben sind, und wenn wir dem nicht begegnen, geht unsere Welt zugrunde.
Welches Spiel spielen die deutschen Medien in diesem schmutzigen Konflikt?
Die Medien nehmen schon des Längeren ihre Aufgabe als „vierte Gewalt“ im Staat nicht mehr wahr. Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen (z.B. Uwe Krüger: „Meinungsmacht“ oder Daniele Ganser: „Nato-Geheimarmeen in Europa“), wonach viele der maßgebenden Politiker und Journalisten den vom US-Außenministerium, der CIA oder sonstigen interessierten Organisationen und Konzernen initiierten Think Tanks nahestehen oder angehören, was gravierende Folgen für die europäische Politik und Medienberichterstattung hat.
Welche Zukunft bzw. Lösung sehen Sie für die Ukraine heute?
Innerstaatliche Konflikte wie zwischen der Kiewer Regierung und den Aufständischen in der Ostukraine (die sich nicht von einer Ihnen feindlich gesinnten Kamarilla regieren lassen wollten) können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Es sind Tausende umgekommen, mehr als eine Million Menschen geflüchtet, Städte und Dörfer im Donbass zerstört. Das ist ein ungeheures Verbrechen, und die dafür verantwortlichen Kiewer Politiker gehören vor den internationalen Strafgerichtshof.
Da eine Aussöhnung der Bevölkerung nach allem, was geschehen ist, in absehbarer Zeit nicht mehr stattfinden kann, sehe ich als Lösung des Problems ein föderatives System für die Ukraine mit weitgehender Selbständigkeit der ostukrainischen Gebiete. Dazu bedürfte es in dieser Frage direkter Verhandlungen mit den Separatisten, was unter der durch Putsch an die Regierung gelangten Kiewer Politiker (sie haben 2014 eine gewählte Regierung gestürzt) bisher nicht geschieht.
Wie sehr hat der US-Imperialismus heute mit den Waffenlobbys zu tun und wie wenig mit der Verbreitung der sogenannten US-Demokratie?
Der „militärisch-industrielle Komplex“, hinter dem die Wirtschaftseliten insbesondere in den USA, aber auch in der EU stehen, hat überhaupt nichts mit demokratischen Verhältnissen gemein. Die Vertreter der Erdöl- und Waffenindustrie kennen keine Skrupel, sie gehen für ihre Interessen über Leichen, auch im eigenen Land. In den USA herrschen katastrophale Verhältnisse, und spätestens nach dem 11. September 2001 ist eine Schranke der Rechtsstaatlichkeit gefallen. Die US-amerikanische Gesellschaft ist zerrüttet, ihre Regierung schon lange nicht mehr in der Lage, Wohlstand für die Mehrheit zu schaffen und Gerechtigkeit für alle möglich zu machen. Die Politiker in den USA sollten endlich ihr eigenes Land als Interventionsfall erkennen, statt überall in der Welt Chaos und Unglück zu verbreiten.