Dr. phil Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. hat ein Interview mit Johanna Heuveling, Mitglied von Welt ohne Kriege e.V. und Editorin bei Pressenza, geführt in Bezug auf ihren Artikel in Pressenza über ihren Besuch in Israel und Palästina und die Ideen von Welt ohne Kriege. Das Originalinterview ist auf dem Blog von ProMosaik zu finden.

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Checkpoint an der Absperranlage zwischen Israel und Westbank

M: Ich habe Johanna mit dem Ziel interviewt, neue Impulse für den pazifistischen Diskurs in einer von Gewalt geprägten Welt zu finden und um den Begriff der Versöhnung erneut zu durchdenken. Die Tatsache, dass es immer eine Alternative zu Krieg und Gewalt ist, soll zu einem universalen pädagogischen Grundsatz werden. Dies ist mein Wunsch, während ich diese Zeilen schreibe.

Übergebe nun Johanna das Wort. Oben sehen Sie die Berlinerin vor der Mauer in Bethlehem, eine Mauer, die fallen muss, wie Roger Waters so schön singt.

roger waters against the wall

http://promosaik.blogspot.com.tr/2014/08/zum-nachlesen-ein-artikel-uber-roger.html

M: Liebe Johanna, als Pazifistin plädierst du für die Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern? Welche Strategien siehst du derzeitig, um dieses Ziel zu erreichen? Wie lässt sich der Jahrzehnte lange Hass überwinden?

J: Erstens einmal ist die Grundlage für meine Hoffnung auf Versöhnung, dass ich mir sicher bin, dass 90% der Menschen, Israelis und Palästinenser, in Frieden miteinander leben wollen und dafür auch einiges tun würden. Im Endeffekt hängt die Lebensgrundlage der „normalen“ Bevölkerung auf Dauer vom Frieden ab.

Gleichzeitig haben sie aber totale Angst voreinander und Wut aufeinander. Die andere Seite sei rachsüchtig, aggressiv, gewalttätig. Alle Geschichten, die sie kennen, die Medien, die Politiker geben ihnen Recht und die Konsequenz ist immer eine noch größere Abschirmung.

Daher war am auffälligsten für mich, dass beide Bevölkerungsgruppen überhaupt keine Ebenen, Foren oder Räume haben, um zusammenzukommen, sich auszutauschen und kennenzulernen. In mehreren Situationen fungierte ich, die komplette Außenseiterin, als Übermittlerin von Informationen zwischen Israelis und Palästinensern. Das ist verrückt! Ich kann mich jederzeit mit Leuten in der Westbank oder in Israel in Verbindung setzen, aber untereinander haben diese engen Nachbarn keinerlei Anknüpfungspunkt. Selbst die muslimische Bevölkerung in Israel hat mit der jüdischen nicht viel zu tun.

Dabei fand ich, dass beide Seiten extrem neugierig aufeinander sind.

Daher sehe ich als wichtigste Strategie eine Annäherung auf menschlicher Ebene. Ich habe oft an die Franzosen und die Deutschen Anfang des letzten Jahrhunderts denken müssen, die sich so sehr gehasst haben, dass sie sich zu zwei Weltkriege verführen liessen mit unglaublichem Gemetzel. Nach dem zweiten wurde man endlich schlau (oder hatte andere Interessen) und initiierte die „Deutsch-Französische Freundschaft“. Die jeweils andere Sprache wurde massiv in den Schulen unterrichtet, es wurden zahlreiche Austauschprogramme und Kooperationen auf politischer, kultureller und wissenschaftlicher Ebene gefördert. Vor allem junge Menschen wollte man zusammenbringen. Heutzutage können wir uns nicht mehr vorstellen, gegeneinander Krieg zu führen. Man hat drüben Freunde und Verwandte. Auch wenn jemand monieren mag, dass es sich hierbei um den gleichen oder ähnlichen Kulturkreis handelt, waren die relativen Differenzen Anfang des letzten Jahrhunderts doch sehr groß.

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Auch deutsche Besucher haben ihre Nachrichten an der Mauer in Bethlehem hinterlassen. Foto: Johanna Heuveling

R: Wie glaubst du lässt sich die Dynamik Täter-Opfer-Täter wie Amos Oz sie beschreibt als Paradigma nutzen, um sich für den Frieden einzusetzen?

J: Ich war so froh, dass ich das gefunden habe, was Amos Oz schreibt. Das ist sicherlich nicht die einzige Wahrheit, aber jeder von uns kennt das, wenn man so verbohrt ist in der Meinung, dass alle einem nur böses wollen, dass man gar nicht fähig ist zu erkennen, was der andere eigentlich wirklich will. Beide Seiten, Araber und Juden, waren bei Staatsgründung extrem traumatisiert. Die einen durch den Holocaust, die anderen durch Kolonialisierung und Ausbeutung. Das sind denkbar schlechte Ausgangsbedingungen. Wie sich das nutzen lässt, weiß ich nicht. Die Erkenntnis ist einfach wichtig und daher sollte man von diesen historischen Dynamiken, die es ja überall gibt, viel mehr schreiben und erklären. Historie nicht nur punktuell betrachten, sondern immer prozesshaft. Und natürlich sollte man in den Schulen darüber lernen und diskutieren. Eine große Hoffnung kann man immer in die nächsten Generationen setzen, wenn es schon die Opfer-Täter Generation häufig nicht schafft, den Hass zu überwinden. Die Kinder erben nicht immer nur den Hass. Manchmal fangen sie auch an, gegen ihre Elterngeneration zu rebellieren. Da sind die deutschen 68er ein gutes Beispiel. In Israel hat man das in Ansätzen bei den jüngsten Protesten in Tel Aviv gesehen, die um weit mehr gingen als nur hohe Mieten. Ein Haifaner Freund hat mir gesagt: „Zumindest ist jetzt jedem in Israel klar, dass unsere politische Elite korrupt ist. Das war vorher nicht so.“

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Amos Oz. Quelle: The Guardian

M: Wie lässt sich Frieden im Leben der kleinen Leute aufbauen, jenseits der Politik und der Waffenlobbies?

J: Ich denke, dass von der Führungsebene aus, sowohl in Israel, als auch in Gaza-Palästina, kein Interesse an Frieden besteht. Warum auch immer. Sonst wären schon längst nahe liegende Programme wie zum Beispiel oben beschrieben, begonnen worden. Man muss damit rechnen, dass entsprechende Bemühungen von dort immer sabotiert werden.

Daher glaube ich, dass es wichtig ist, dass die Menschen erkennen, dass sie sich auf diese Führer nicht verlassen können und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. Es reicht, wenn eine signifikant hohe Anzahl Menschen aktiv wird, versucht Kontakt zur anderen Seite aufzunehmen, in die anderen Gebiete zu reisen, kleine Begegnungsprojekte zu initieren. Das Internet macht auch vieles möglich. Es gibt bereits vielversprechende Projekte, die auf solchen Eigeninitiativen beruhen, die allerdings noch zu punktuell sind, um ausschlaggebend zu sein.

Auch wir können etwas tun, indem wir zum Beispiel Israelis und Palästinenser zu uns einladen, so dass sie sich auf neutralem Boden begegnen können. Wir können als Brücke fungieren. Und vielleicht wäre das sogar bei der Verantwortung, die Europa in der ganzen Geschichte hat, sehr richtig.

Das klingt vielleicht in manchen Ohren sehr zahm und lasch, aber in Wirklichkeit erfordert es sehr viel Mut. Es bedeutet, genau das Gegenteil von dem zu machen, was einem die Angst und Wut vorgibt zu tun. Nicht wegrennen, sich verbarrikadieren, mit Waffen eindecken und Gewalt ausüben, sondern unbewaffnet und mit offenem Herzen auf den anderen zugehen. Sich den Argumenten und Gefühlen der anderen stellen. Man kann sich auch sicher sein, dass gewalttätige Kräfte beider Seiten vor Anschlägen gegen solche Initiativen nicht zurückschrecken werden. Und man muss auch mit Gegenwind von seinen liebsten Menschen rechnen. Es erfordert also in jeder Hinsicht harte Arbeit und sehr viel Mut und Ausdauer. Daher wird es auch wichtig sein, sich zu vernetzen, um geschlossen und entschlossen aufzutreten.

Ich weiß nicht, ob das realistischerweise passieren wird, aber ich habe darin mehr Hoffnung als in die Politikerebene.

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Junge Strassenkünstler in Zikhron, Israel. Foto: Johanna Heuveling

M: Welche sind die wichtigsten Ziele von Welt ohne Kriege?

J: Vollständig heißt unsere Organisation „Welt ohne Krieg und Gewalt“. Krieg ist nur eine extreme Form von Gewalt. Es gibt genauso die ökonomische, sexuelle, psychologische, religiöse Gewalt… Wann immer sich Menschen über andere Menschen stellen (aufgrund dessen, dass sie reicher, männlicher, religiöser oder was auch immer sind) und sie in ihren Rechten und Freiheiten einschränken oder sie für ihre Zwecke benutzen, ist das Gewalt. So gesehen haben wir eine sehr gewalttätige Vergangenheit und Gegenwart.

Wir denken, dass wir daran arbeiten müssen, diese Gewalt zu überwinden, weil sie dem Menschen (auch dem Gewalttäter) viel Schaden zufügt und weil wir in der heutigen Welt mit Massenvernichtungswaffen, ökonomischen und ökologischen Katastrophen keine Möglichkeit zum Überleben haben, wenn wir diesen archaischen Mechanismus nicht überwinden lernen. Es geht dabei einmal um das Erkennen der Mechanismen der Gewalt im alltäglichen, persönlichen Leben (wo bin ich Gewalt ausgesetzt?, wo übe ich selbst Gewalt aus?) und in den gesellschaftlichen Zusammenhängen. Und dann geht es um das Erlernen von Instrumenten zur Überwinden der Gewalt durch Versöhnung und gewaltlosen Aktivismus. Dafür machen wir Workshops, Seminare, Lesungen, wir studieren bestimmte Themen intensiv und veröffentlichen unsere Erkenntnisse und wir organisieren Veranstaltungen wie Festivals, Demonstrationen, Filmpreise, etc.

Welt ohne Kriege ist international und hat 2009 einen weltweiten Marsch für Frieden und Gewaltfreiheit initiiert. Ansonsten arbeiten die verschiedenen Gruppen in ihren Ländern und Orten und thematisieren die Formen der Gewalt, die bei ihnen die vorrangigsten sind.

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M: Wie wichtig ist die Vernetzung pazifistischer Organisationen und Initiativen und warum?

J: Vernetzung ist wichtig, um eine größere Sichtbarkeit und Kraft für ein bestimmtes Thema zu erreichen. In bestimmten Momenten können so tolle Dynamiken entstehen, die zu solchen Phänomenen wie den Indignados oder Occupy führen. Solche Ereignisse sind zwar nur vorübergehend sichtbar, aber sie verändern immer etwas in den kollektiven Vorstellungen und in der nachfolgenden Zusammenarbeit der Menschen. Aus 15M sind zahlreiche Initiativen hervorgegangen, die jetzt in ihren jeweiligen Stadtteilen aktiv sind.

In Deutschland haben die Organisationen leider untereinander häufig irgendwelche Animositäten und daher klappt es schon seit Jahren nicht wirklich, hier eine große Bewegung auf die Beine zu stellen. Im Bereich von freiwilligem ehrenamtlichen Engagement mit Einzelpersonen zu arbeiten dagegen macht viel Freude, weil es ein Bereich in der Gesellschaft ist, der weitgehend ohne Abhängigkeit von Geld funktioniert. Jeder macht seine Sache aus Überzeugung und nicht, weil er seine Miete davon zahlen muss. Dadurch fallen viele Konkurrenzgedanken weg und man freut sich einfach, wenn jemand anders etwas Schönes auf die Beine stellt und unterstützt ihn darin. In diesem Bereich gibt es einige gute Projekte in Deutschland.

Aber um eine wirkliche Veränderung in Bezug auf die brisanten Themen bei uns mal ins Rollen zu bringen: Waffenhandel, Militarisierung der BRD, ökonomische Krise etc. braucht man eine Vernetzung auf allen Ebenen.

so erzieht man sich feinde

M: Welche Ziele verfolgst Du in Deiner Arbeit für den Frieden in der nahen Zukunft?

J: Momentan schreibe ich vor allem für Pressenza, weil ich herausgefunden habe, dass ich das noch am besten kann. Ich möchte einfach gerne vermitteln, dass es immer andere Möglichkeiten gibt als diejenigen, die man uns als alternativlos präsentiert, dass es immer wichtig ist, alle Hintergründe und Beweggründe gut zu verstehen, und dass es viele positive Beispiele überall gibt, die häufig zu wenig wahrgenommen werden. Ich habe den Eindruck, dass der Glaube an gewalttätige Lösungen zur Konfliktbekämpfung, speziell in Deutschland, wieder zunimmt. Da muss man mit Argumenten und Beispielen dagegen halten.

Sonst möchte ich wieder mit Workshops zum Thema Gewalt und Versöhnung anfangen, weil ich damit unglaublich gute Erfahrungen gemacht habe. Viele Teilnehmer (egal ob in einem afrikanischen Slum oder in Deutschland) sehen plötzlich Möglichkeiten, spezielle bedrückende Lebenssituationen zu verändern, die sie vorher nicht gesehen haben. Das macht sehr viel Spaß. Und selbst bin ich damit auch noch längst nicht fertig.