Erstabdruck in der Zeitschrift „Big Business Crime„, geschrieben von Wilson Arnulfo Ramírez Vizcaino/ Elke Zwinge-Makamizile

Den Richterspruch von 2011, der die Firma Chevron-Texaco nach 20 Jahren Prozessdauer zur  Zahlung von 9,5 Milliarden US-Dollar verurteilte, bestätigte der Obersten Gerichtshof Ecuadors (Corte Nacional de Justicia) im Jahre 2013. Trotzdem ist er immer noch nicht umgesetzt. In  Ecuador hat Chevron keine Aktiva mehr und in anderen Ländern wurde die Umsetzung des Urteils, das heißt die Belastung von Chevron-Vermögen zugunsten der ecuadorianischen Opfer und der Umwelt, noch nicht veranlasst beziehungsweise verhindert. Dies kann zu der Annahme verleiten, dass für die 30.000 geschädigten Personen, die von der Umweltverseuchung durch Texaco betroffen sind, Gerechtigkeit eine Utopie bleiben muss.

Insgesamt ist Texaco für den Ausfluss von nicht weniger als 71 Millionen Liter Erdölrückstände und 64 Millionen Liter Rohöl auf mehr als 2 Millionen Hektar Gelände, für die daraus resultierende Vergiftung von Flüssen und Grundwasser verantwortlich.

In der Bevölkerung des betroffenen Amazonasgebietes ist die Zahl der Krebserkrankungen im Vergleich zu den anderen Landstrichen um das Mehrfache gestiegen (vgl. unter anderem die Weltspiegel-Reportage über den Fall Chevron-Texaco in der ARD, 2014).

Vorgeschichte

In den 1960er Jahren wurden viele Ländern Lateinamerikas von Militärdiktatoren regiert. Im Fall Ecuadors war es 1963 eine sogenannte Militärregierungs-Junta, bestehend aus den Leitern der  Marine, des Heeres, der Luftwaffe, welche die verfassungsmäßige Regierung des Dr. Carlos Julio Arosemena Monroy stürzte. Mit dieser Militärregierung, die sich selbst als Befehlsempfänger des US-Botschafters verstand und eng mit dem US-Auslandsgeheimdienst CIA zusammenarbeitete, konnte das US-Unternehmen Texaco gute Geschäfte machen.

Das Buch “Das Erdöl in Ecuador – die neue Ära des Öls” offenbart, dass der ecuadorianische Staat der Minen- und Erdölgesellschaft Ecuadors eine Konzession für 4.350.000 Hektar erteilte. Dieses Unternehmen hat anschließend die Konzession dem Konzern Texaco-Gulf übertragen “ohne Wissen und ohne die Genehmigung der Regierung (Ecuadors), für welche (die Minen- und Erdölgesellschaft Ecuadors) dem ecuadorianischen Staat 0,022 (!) Sucres pro Hektar zahlte”.

Vor diesem Hintergrund vergab die Militärregierungs-Junta 1964 dem Unternehmen Texaco-Gulf  ein Gebiet von 1,4 Millionen Hektar im ecuadorianischen Amazonas, verlängerbar zur  Exploration gemäß dem Erdölgesetz von 1937. Im Jahr 1965 wurde das Dekret Nr. 1464 erlassen, das die Konzessionen für Erdölgesellschaften im ecuadorianischen Regenwald regelte. Es legt eine Höchstkonzession von 500.000 Hektar für die Exploration fest sowie von 250.000 Hektar für die Erdölförderung. Während der letzten Regierungsperiode von José María Velasco Ibarra fand eine Überprüfung der Verträge über die der Firma Texaco-Gulf erteilten Konzessionen für  Erdölvorkommen statt. Das Unternehmen musste 930.000 Hektar zurückgeben – diese Rückgabe fand aber erst am 13. März 1969 statt, also vier Jahre nach dem Erlass Nr. 1464 von 1965.

Die von der Gesellschaft Texaco, Wirtschaftsbeteiligte des Unternehmens Texaco-Gulf, betriebene Bohrstelle Lago Agrio 1 meldete im Jahre 1967 den ersten Erdölfund. Dies führt zu einer  Tagesförderung von 2.640 Barrel Öl. So begann die groß angelegte Erdölförderung im  ecuadorianischen Amazonas. Weitere Ölvorkommen wurden in der Gegend von Sacha, Shushufindi und Auca, ebenfalls im Regenwald Ecuadors, gefunden. Das Unternehmen Texaco-Gulf verhandelte daraufhin die bereits abgeschlossenen Verträge neu; der geänderte Vertrag wurde im Amtsblatt Nr. 209 vom 26. Juni 1969 veröffentlicht.

Der Preis, den die Firma für die Vergabe jedes Hektars bezahlte, lag lediglich zwischen 0,32 und 5 Sucres pro Jahr (Sucre war die Währung Ecuadors bis zur Dollarisierung im Jahr 2000; in den 1960er Jahren entsprach ein US-Dollar etwa 15 bis 20 Sucres, zuletzt im Jahre 2000 waren es dann etwa 25.000 Sucres), wie der Ingenieur Victor Guevara M. in seiner Abschlussarbeit beschreibt.

Im Jahr 1971, während der Präsidentschaft von Velasco Ibarra, wurde das Gesetz zu fossilen Brennstoffen sowie das Gesetz zur Gründung einer staatlichen Ölfirma Ecuadors (CEPE) verabschiedet; beide Gesetze traten 1972 in Kraft. Im Gesetz zu fossilen Brennstoffen wurde bereits darauf hingewiesen, dass die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung der Umweltverschmutzung der Flora und Fauna sowie aller weiteren natürlichen Ressourcen ergriffen sowie die  Verschmutzung der Gewässer, der Atmosphäre und der Erde vermieden werden müssen. Würde sich Texaco daran halten?

Nachdem die Regierung im Jahre 1977 die Verträge mit Gulf beendet hatte, wurden die Ölfelder auch weiterhin durch die Firma Texaco betrieben. Außerdem war Texaco für das Transecuadorianische Pipelinesystem (SOTE) zuständig, mittels derer das Rohöl zur Erdölraffinerie in Esmeraldas (Nordwesten Ecuadors), gepumpt wurde. Gemäß vertraglichen Vereinbarungen mit Texaco sollte das Pipelinesystem bis Mitte 1985 an Ecuador zurückgegeben und dann an eine  nationale Firma übertragen werden. Ungeachtet des Vertrages blieb SOTE weiter in Besitz der  Firma Texaco, bis dann endlich 1989 die Übergabe des Transecuadorianischen Pipelinesystems an den Staat gefordert wurde.  In Ecuador wurden zunächst verschiedene Tochterfirmen von CEPE gegründet, von denen jede einen anderen Anteil an Verarbeitung, Produktion und Vermarktung des Erdöls übernehmen sollte. 1990 kam es schließlich zur Gründung des Konsortiums Petroecuador; das Ministerium für Energie und Bergbau rief eine institutionelle Kommission ins Leben, um die Güter der Fima Texaco an den Staat zu übergeben.

Mitte 1992 wurden alle Aktivitäten Texacos in Ecuador beendet, nachdem die Firma auf illegale Weise Gebiete des Amazonas erworben und nur minimale Geldbeträge für die Ölförderung gezahlt hatte. Außerdem wandte sie zerstörerische Förderungsmethoden an, die zu starker  Umweltverschmutzung  führten.

Ein historischer Umweltprozess beginnt

Die von Texaco in den Jahren von 1972 bis 1992 im Zusammenhang mit Ölförderungsarbeiten in Ecuador hinterlassene Verschmutzung kam in den 1990er Jahren ans Licht, kurz nachdem Texaco (2001 von Chevron aufgekauft) seine Arbeiten auf ecuadorianischem Gebiet beendet und die  staatliche Firma Petroecuador mit der Erdölförderung begonnen hatte. Sie war die einzige Firma, die im betreffenden Zeitraum Erdölexploration und -förderung ausführte.

Dass eine Klage der von Umweltschäden Betroffenen erst im Jahre 1993 erhoben wurde, lag  lediglich an den finanziellen Verhältnissen der Bauern und Indigenen dieser Gegend. Die Regierung unter dem Präsidenten Sixto Duran Ballén verfolgte zu dieser Zeit eine neoliberale Politik von  Protektionismus und Privatisierungen. Die umweltzerstörenden Praktiken von Texaco wurden über 20 Jahre lang systematisch ignoriert, die in Ecuador geltenden Normen nicht respektiert. Dies betraf insbesondere die Nichtanwendung moderner Ölförderungstechniken, wie etwa das Rückpumpen toxischer Ölschlämme in tiefere Bodenschichten, die bereits in den USA, aber nie im  ecuadorianischen Amazonasgebiet ausgeführt wurden.  Auch wenn die durch Texaco verursachte Umweltverschmutzung des ecuadorianischen  Amazonasgebietes eine Realität war, mit der Indigene und Bauern leben mussten, hatte sie doch nicht das Gewicht, das sie verdiente. Die betroffene Bevölkerung lebte in Armut und verfügte über keine Lobby. Der Fall wurde erst durch die US-amerikanische Anwältin Judith Kimberling in ihrem Buch „Amazon Crude“ bekannt gemacht. Der Film „Crude“ klärte ebenfalls über die Schäden auf sowie über den Druck und die juristische Verve des Unternehmens, das sich seiner Verantwortung zu entziehen bestrebt war.

Der Fall Aguinda

Ab 1993 wurde vor dem Bundesgericht New York in den USA der Fall Aguinda verhandelt. 30.000 von Umweltschäden im ecuadorianischen Amazonas betroffene Indigene und Bauern brachten diese Klage ein und forderten die Sanierung der von Texaco verursachten Schäden am Regenwald im  Osten Ecuadors.  Texaco konnte jedoch mit der Unterstützung des ecuadorianischen Präsidenten Duran Ballén  rechnen, vermittelt über den Botschafter der USA in Quito, so dass die ecuadorianische Regierung ihre pro-Texaco-Haltung beibehielt. Sie führte das Argument an, dass dieser Prozess die  Souveränität (!) und Auslandsinvestitionen gefährden würden und versuchte, den Richter zur  Ablehnung des Falls zu bringen. Der Richter tat dies nicht, doch er starb 1997. Dann übernahm der Richter Rackoff den Rechtsstreit.

Während des Prozessierens in den USA hatte Texaco eine Unterredung mit der Regierung Durán Ballén, um eine “Umweltsanierung” in den betroffenen Gebieten zu erreichen (in Wahrheit wurden giftige Becken nur mit Erde zugeschüttet). Präsident Durán Ballén unterzeichnete in den Jahren 1995 und 1998 Verträge, die Texaco von künftigen Forderungen gegenüber dem ecuadorianischen Staat oder Petroecuador befreiten. Außerdem behauptete Texaco zeitgleich, dass die Klage  unbegründet sei. Doch ein Grundpfeiler des Rechts ist, umso mehr im Fall von Menschenrechten, dass niemand über subjektive Rechte verhandeln darf, die nicht die seinigen sind. So ist es im  Bürgerlichen Gesetzbuch Ecuadors festgelegt, nach welchem sich besagter Vertrag zu richten hatte, abgesehen von weiteren universellen Rechtsgrundsätzen (Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Daher ist der Vertrag, in welchem Texaco von künftigen Klagen des ecuadorianischen Staats befreit wurde, nichtig.

Übertragung des Falls von den USA nach Ecuador

Das Berufungsgericht von New York beschloss 2002, dass der Fall an die Justiz der Republik  Ecuador zu übertragen sei. Somit urteilte es gegenüber Chevron-Texaco (2001 hatte Chevron die  Texaco Corporation übernommen), dass es keine Verjährung geltend machen könne und außerdem den Entscheidungen der ecuadorianischen Justiz Folge leisten müsse. Es entsteht ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde ein transnationales Erdölunternehmen der Gerichtsbarkeit eines  „Dritte-Welt-Landes“ unterstellt bei einer Klage, die von Einzelpersonen eingebracht ist. Und dies auch noch bei einem Umweltthema!

Im Jahre 2003 reichten die durch Texaco Geschädigten beim Vorsitzenden des  Appellationsgerichtes der Stadt Nueva Loja (Hauptort der Provinz Sucumbíos im Nordosten  Ecuadors), Alberto Guerra, eine Klage gegen Chevron-Texaco ein. An diesem Tag begann der  historische Rechtsstreit gegen eine der größten Ölgesellschaften der Welt.

Das ecuadorianische Urteil von 2011 – ein Meilenstein im globalen Umweltrecht 

Um die Immunität zu verstehen, die Chevron-Texaco nach wie vor für sich in Anspruch zu nehmen versucht, müssen wir das Urteil von 2011 untersuchen, welches der Gerichtshof der Provinz  Sucumbíos sprach und durch das Chevron-Texaco wegen Umweltschäden verurteilt wurde. Gegen diesen Richterspruch berief sich das Unternehmen auf eine vermeintlich fehlende gerichtliche  Zuständigkeit der ecuadorianischen Richter, obwohl das Appellationsgericht von New York darauf hingewiesen hatte, dass das Unternehmen der Rechtsprechung Ecuadors Folge leisten müsse.  Außerdem leugneten die Verteidiger des Konzerns, dass Chevron Nachfolger von Texaco sei.

Im Prozess wurde jedoch geschlussfolgert, dass die Gesellschaften Chevron S.A. und Texaco Corporation  fusionierten, sieben Jahre nachdem die Klage 1993 an den Gerichten der USA  anhängig war. Zudem wird in dem Urteil die Form verdeutlicht, in welcher Texaco agiert: Texaco unterhielt eine  Tochtergesellschaft: TEXPET. Auf Seite 16 des Urteils von 2011 steht: „TEXPET war nicht mehr als ein Instrument, mit welchem TEXACO INC agierte.“

Auf dieser Grundlage  verurteilte die Justiz eines Entwicklungslandes die weltweit schlimmste Erdölverseuchung durch ein Unternehmen des globalen Nordens!  Die Summe von 9,5 Milliarden US-Dollar war damals die höchste je verhängte Strafe im Umweltrecht. Chevron bezahlte freilich nicht und will auch nicht zahlen.

Rechtliche Strategien Chevrons

Bis heute lauert Chevron-Texaco darauf, dass sich die ecuadorianische Regierung an dem von 30.000 Indigenen und Bauern eingereichten Prozess beteiligt oder sich einmischt. In diesem Fall könnte sie sich auf den Abschlussvertrag berufen, den die damalige Regierung Ecuadors seinerzeit mit Texaco unterzeichnete.

Außerdem verklagte Chevron den ecuadorianischen Staat mehrfach. 2004 initiierte Chevron ein Schlichtungsverfahren in New York gegen das staatliche ecuadorianische Erdölunternehmen  Petroecuador, und bezog sich dabei auf das Abkommen über gemeinsame Arbeiten (AOC, spanisches Kürzel). Der Supreme Court of the United States lehnte 2009 Chevron-Texacos Anfrage zur Revision der Entscheidung des Bundesbezirksgerichts New York Süd von 2007 ab (sogenannter Fall Chevron I).

Texaco begann dann im Jahre 2006 einen Schlichtungsprozess am Ständigen Schiedshof in Den Haag nach den Regelungen der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) auf der Grundlage des Bilateralen Vertrags zur Förderung und zum Schutz von  Investitionen, den Ecuador und die USA 1993 unterzeichneten. Doch Texaco befand sich zu keinem Zeitpunkt unter dem Schutz dieses Abkommens, welches erst 1997 in Kraft trat: fünf Jahre  nachdem das Unternehmen das Land verlassen hatte!

Wieso konnte Texaco sich also vor der UNCITRAL auf den Vertrag berufen? Die Antwort gibt das Buch mit dem Titel “Wenn Ungerechtigkeit zum Geschäft wird”. Dort erfährt man, dass die Richter der “internationalen Schiedsgerichte weit davon entfernt sind, Wächter der Neutralität zu sein”. Sie sind die “Schlüsselakteure der Schiedsindustrie und haben finanzielle Interessen bezüglich der Schiedssprüche zu Investitionen. Die Richter der Schiedsgerichtsbarkeit haben in einem viel größeren Maß als die (anderen) Richter einen finanziellen Eigennutz am System. Sie beziehen reichlich Entlohnung für ihre Dienste. (…) Im Unterschied zu anderen Richtern gibt es kein festes Gehalt, sodass es keine Höchstgrenze ihres Einkommens gibt. (…) Der Richter, der den Fall Chevron-Texaco gegen Ecuador führte, bezog 939.000 Dollar.”

Zudem besagt der Artikel 16 des Modellgesetzes der UNCITRAL über Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit sowie der Artikel 23 der Schiedsgerichtsbarkeitsregeln der  UNCITRAL, dass das Gericht selbst über seine Zuständigkeit entscheidet. Ein nach den Regelungen der UNCITRAL gebildetes Gericht besitzt eine umstrittene “Kompetenz-Kompetenz”, so heißt im Juristenjargon die Kompetenz, sich selbst für zuständig zu erklären und in Eigenregie einen neuen Kompetenzbereich für seine eigene Institution zu erfinden.

Auf dieser Grundlage  erklärte sich ein Gericht für zuständig und initiierte den internationalen Schlichtungsprozess gegen den ecuadorianischen Staat vor dem Ständigen Schiedshof in den Niederlanden; der Fall wurde bekannt als Chevron II. In dem Schiedsspruch entschied das Gericht teilweise zu Gunsten Chevrons und verurteilte Ecuador aufgrund einer angenommenen Rechtsverweigerung durch Langsamkeit in sieben von Texaco zwischen 1991 und 1993 eingebrachten Prozessen zur Zahlung von ca. 96  Millionen US-Dollar.

Ecuador habe durch sein Verhalten dem Bilateralen Vertrag zur Förderung und zum Schutz von Investitionen Ecuador-USA zuwidergehandelt, welcher in diesem Fall  allerdings rechtswidrig rückwirkend angewendet wurde. Außerdem erklärte die Prozessvertretung des Staats Ecuador, dass die Verzögerungen von Texaco selbst verschuldet waren.

Chevron brachte 2009 noch einen Prozess gegen Ecuador am Ständigen Schiedshof Den Haag ein, jetzt aufgrund eines Abschlussvertrags von 1998: Fall Chevron III. Laut Enrique L. Rodríguez  behauptet Chevron darin, dass “Petroecuador oder Ecuador verantwortlich” seien für den  Richterspruch von 2011 und dass Ecuador daher Chevron eine Wiedergutmachung zu zahlen habe wegen des „moralischen Schadens“, den Ecuador dem Unternehmen durch den Prozess zugeführt habe.  Wie im oben genannten Fall entschied das Gericht über seine eigene Zuständigkeit und lehnte so die Beschwerde des ecuadorianischen Staats über dessen Nicht-Zuständigkeit (aufgrund der oben beschriebenen ungültigen Anwendung rechtswidriger Rückwirkung des Investitionsschutzabkommens) ab.

Der Botschafter Ecuadors in der BRD, S.E. Jorge Jurado, erklärte zur Haltung der zweitgrößten Erdölgesellschaft der USA: „Chevron versucht die Summe der für die Sanierung und  Wiedergutmachung zu zahlenden 9,5 Milliarden Dollar auf den ecuadorianischen Staat abzuwälzen. Das entspräche einer sehr hohen Prozentzahl des Staatshaushaltes Ecuadors. Wir sprechen hier von sehr gravierenden Konsequenzen.“

Den Haag vereitelt Ausführung des Urteils von 2011

Mangels Chevron-Aktiva in Ecuador muss in Ländern, wo Chevron Vermögen besitzt, das  ecuadorianische Urteil von 2011 Anwendung finden (juristisch gesprochen: eine Exequatur im  Ausland veranlasst werden). Der Ständige Schiedshof in Den Haag hat hingegen am 17. September 2012 verfügt, dass die Regierung Ecuadors “alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreife, um die Ausführung bzw. die Anerkennung jedweden Urteils gegen Chevron innerhalb und außerhalb Ecuadors auszusetzen oder aussetzen zu lassen”.

Dieser Schiedsspruch verletzt die Rechte Einzelner und überrollt die Souveränität des Staats, indem das Gericht den Behauptungen Chevrons, dass der ecuadoranische Staat das Urteil von 2011 gegen Chevron beeinflusst habe, Glauben schenkt. Dies ist nicht statthaft, denn im Prozess von 2003 bis 2011 klagten geschädigte ecuadorianische Bürger und nicht der Staat Ecuador!

Der zweite Teilschiedsspruch vom Februar 2012 besagte bereits, dass „das Schiedsgericht die Republik Ecuador angewiesen hat, sei es durch die Legislative, Exekutive oder Judikative, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen um die Ausführung oder die Anerkennung innerhalb oder außerhalb Ecuadors aufzuhalten”. Laut Enrique Linares Rodríguez lehnte es „der Justizgerichtshof der Provinz von Sucumbíos in der Resolution vom 17. Februar 2012 ab, die  einstweiligen Maßnahmen zu ergreifen, die der Schiedsgerichtshof angeordnet hatte. Dazu stützte er sich auf die „Achtung der Menschenrechte als höheres Gut, das oberhalb der Interessen von Einzelnen, von Investoren, steht.“

Nach dieser unerwarteten Antwort des Gerichtshofs von Sucumbíos erlässt das Schiedsgericht den vierten Schiedsspruch, in welchem es verkündet, dass die Republik Ecuador die Schiedssprüche missachtet hat, indem sie nicht vermied, dass die Betroffenen die Prozesse zur Ausführung des Urteils von 2011 in den USA, Argentinien, Brasilien und Kanada in die Wege leiten. Der finale Schiedsspruch soll noch in diesem Jahr erfolgen.

Zur Vollstreckung des Urteils von 2011 in den USA

Auf Druck Chevrons entschied 2011 der Richter Lewis Kaplan vom Bundesbezirksgericht New York Süd, die Vollstreckung des ecuadorianischen Urteils von 2011 zu unterbinden. Chevron hatte in diesem Zusammenhang ecuadorianische Umweltaktivisten als angebliche „kriminelle Vereinigung“ präsentiert.

Kaplan entschied dagegen, dass die von Texaco Geschädigten die Möglichkeit hätten, “irgendeinen Versuch der Anerkennung oder Vollstreckung des Urteils an irgendeinem Ort der Welt“ vorzunehmen. Im Klartext: Ein nordamerikanischer Richter maßt sich an, für die gesamte Erde Recht zu sprechen! Damit verletzte er Grundsätze des internationalen Rechts, des öffentlichen Rechts und der Souveränität der Staaten.  Der Supreme Court der USA bestätigte hingegen 2012, dass das Urteil des ecuadorianischen  Gerichts an jedem Ort der Erde zur Vollstreckung kommen darf. Doch dies ist bislang noch in  keinem Land zustande gekommen, auch wenn man in Argentinien im November 2012 schon einmal kurz davor stand.

Die Vollstreckung würde nicht nur einen Meilenstein im internationalen Umweltrecht, sondern auch einen Durchbruch für die Gerechtigkeit und das Gewicht von Menschenrechten gegenüber  wirtschaftlicher Macht von multinationalen Konzernen darstellen.

Falls Chevron dagegen vor dem Schiedshof in Den Haag gewinnen sollte, würde dies die Immunität der transnationalen Konzerne gegenüber Staaten belegen.  Langfristig ist wiederum mit Widerstand der souveränen Völker zu rechnen: So nahmen an einem internationalen Anti-Chevron-Protesttag am 21. Mai 2014 weltweit Solidaritätsgruppen teil.

Bei den 18. Weltjugendfestspielen in Quito war „Chevron-Toxico“ wichtiges Thema. Ende 2013 hat die  Regierung des Präsidenten Rafael CORREA DELGADO die Kampagne „Die schmutzige Hand Chevrons“ („La Mano sucia de Chevron“) initiiert, um sich gegen die juristischen Attacken Chevrons zur Wehr zu setzen.

Auf internationaler Ebene ist die Einrichtung eines inoffiziellen Tribunals „Gegen die Verbrechen und Straflosigkeit der transnationalen Konzerne“ zu nennen sowie die von Ecuador und Südafrika eingebrachte Resolution zu einem internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte  gegenüber transnationalen Unternehmen beim UNO-Menschenrechtsrat (angenommen im Juli 2014). Der Außenminister Ecuadors, Ricardo Patino Aroca, hat den Fall Chevron vor der UNO-Generalversammlung vorgetragen. Auch die Schaffung einer Beobachtungsstelle der transnationalen Konzerne als Think Tank der Länder des Südens mit dem Ziel einer fruchtbaren Zusammenarbeit im Rahmen neuer Kräfteverhältnisse einer sich bildenden multipolaren Welt gilt es als eine der weiterführenden Initiativen hervorzuheben.


Quellen:

Victor Guevara M., „El Sistema de Contratación en las actividades del Sector Petrolero y su  Incidencia en la Economía del País” (“Das Anstellungssystem der Aktivitäten des Erdölsektors und seine Auswirkung auf die Wirtschaft des Landes“).

Dr. Carlos Julio Arosemena im Interview, veröffentlicht in der Zeitschrift Diners No. 43, Dez. 1985. Petroecuador (Hrsg.), “El petróleo en el Ecuador la nueva era petrolera” (“Das Erdöl in Ecuador – die neue Ära des Öls”), 2013.

Gus Van Harten, “Cuando la injusticia es negocio” (“Wenn Ungerechtigkeit zum Geschäft wird”), 2012.

Enrique Linares Rodríguez, “Homologación en Terceros Estados de La Sentencia Dictada en  Ecuador vs. Chevron” (“Gerichtliche Genehmigung der Ausführung in Drittstaaten des in Ecuador gegen Chevron gesprochenen Urteils”), veröffentlicht im Anuario Español de Derecho Internacional Privado, Bd. XII: 201. Docket Nos. 11–1150–cv(L) 11–1264–cv (CON), Dokument 644–1, S. 27.

Übersetzer des Beitrags des ecuadorianischen Juristen Wilson Arnulfo Ramírez Vizcaino: Tobias Baumann und  Katharina Hecht

Wilson Arnulfo Ramírez Vizcaino ist Jurist und lebt in Berlin.

Elke Zwinge-Makamizile ist Mitglied im Deutschen Friedensrat sowie in der Internationalen Liga für Menschenrechte.