Taina Gärtner ist Bezirksverordnete in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain und setzt sich schon lange und intensiv für Flüchtlinge und ihre Rechte ein. Das Flüchtlingsprotestcamp auf dem Oranienplatz war aufgelöst worden, nachdem eine Vereinbarung (einigungspapier_oranienplatz) zwischen den Flüchtlingen und dem Senat unterschrieben worden war. Was aus dieser Vereinbarung und den Flüchtlingen geworden ist, erzählt Gärtner in folgendem Artikel, der im Stachel erschienen ist.
Im August setzte der Senat erstmals Flüchtlinge, die die Vereinbarung vom Oranienplatz unterzeichnet hatten, auf die Straße. Ohne ihnen Vorbereitungszeit zu geben oder eine Perspektive in Aussicht zu stellen, wurden sie aufgefordert, Berlin zu verlassen. In der Gürtelstraße, ganz im Osten Friedrichhains, besetzten deshalb einige von ihnen das Dach ihrer Unterkunft und protestierten dort fast zwei Wochen lang. Der Senat ließ sie ohne medizinische Versorgung aushungern.
Am Nachmittag des 25.8.14 spielten sich in der Unterkunft Gürtelstraße, in der 104 ehemalige Oranienplatzbewohner untergebracht wurden, erschütternde Szenen ab. Herr Böhringer, Geschäftsführer des ehemaligen Hostels, verlas eine Liste mit Namen von 67 Bewohnern, welche bis zum nächsten Morgen das Haus verlassen sollten. Der Senat hatte ihre Asylanträge abgelehnt und dies überwiegend mit der Nichtzuständigkeit begründet. Damit wurden sämtliche freiwilligen Geldleistungen, sowie die Bezahlung der Unterkünfte eingestellt.
Die Betroffenen wurden daraufhin völlig mittellos in die Obdachlosigkeit geschickt. Eine Gruppe von neun Betroffenen besetzte kurzerhand das Dach ihrer Unterkunft, um eine Wiederaufnahme des Oranienplatz-Agreements zu erkämpfen, welches in keinster Weise umgesetzt worden war. Den Flüchtlingen war eine umfassende Prüfung im Rahmen aller rechtlichen Möglichkeiten zugesichert worden. Es sollten Anträge auf Umverteilung ihrer Verfahren nach Berlin gestellt werden. Die Ausländerbehörde sollte beratend tätig sein. Das ist alles nicht passiert, sondern ins Gegenteil verkehrt worden.
Unmenschlicher Umgang mit den protestierenden Flüchtlingen
Am zweiten Tag der Besetzung wurde den Protestierenden Strom und Wasser abgestellt, dem an Tuberkulose erkrankten Mouhamed Tanko wurden seine Medikamente verweigert. Nur durch massiven Druck von solidarischen Ärzten und Berater/innen erhielt er am dritten Tag die lebenswichtigen Medikamente, sowie täglich eine nicht ausreichende Menge Wasser. Für die anderen Besetzer war bei sommerlichen Temperaturen nichts vorgesehen. Essen- und Wasserspenden wurden nicht weitergeleitet, diese wurden oft in Sichtweite genüsslich provokativ von Polizist/innen verzehrt. Ärzten, Anwälten und anderen Vertrauenspersonen wurde kein Kontakt gewährt, der gesundheitliche Zustand der Gruppe verschlechterte sich rapide durch die Aushungerung und den Wassermangel. Als Mouhamed am 13. Tag starke Herzprobleme bekam, entschloss sich die Gruppe, den Protest zu beenden. „Wir haben nicht 2011 Krieg und Nato-Bombardements in Libyen und die mit Gewalt erzwungene Überfahrt nach Europa überlebt, um hier in Berlin im Protest zu sterben!“ Den 24jährigen Yahya hat der Protest dennoch fast sein Leben gekostet. Er kam im Anschluss eine Woche auf die Intensivstation, eine zuvor unbemerkt gebliebene Krankheit hatte durch die inhumanen Zustände einen Schub bekommen, was beinahe zu totalem Organversagen führte.
Statt Sicherheit Notunterkünfte
Untergekommen ist die Gruppe nun in einer Einrichtung der Heilig-Kreuz-Gemeinde, welche nach der Besetzung der Thomaskirche durch andere Betroffene jetzt insgesamt 85 Flüchtlingen Obdach bietet. Bei vielen dieser Menschen führte der abrupte Rausschmiss zur Retraumatisierung. Dasselbe war ihnen Anfang 2013 im asylgebenden Italien passiert, als quasi über Nacht die Lager geschlossen wurden und sie dann, mit etwas Reisegeld versehen, genötigt wurden, das Land zu verlassen. Viele der sogenannten Lampedusas kamen dann nach Berlin, lebten auf dem Oranienplatz oder in der besetzten Schule unter menschenunwürdigen Umständen. Im April 2014 konnten sie im Zuge des Agreements in verschiedene Unterkünfte ziehen und erwarteten ein Ende ihrer Odyssee. Ohne die Hilfe der Kirche und vieler solidarischer Privatpersonen wären diese Menschen verloren. Der Senat ist gefordert, endlich zu handeln und humanitären Aufenthalt zu gewähren! Die Gesetzgebung lässt das explizit zu! Bis sich etwas bewegt, müssen aber weitere Menschen untergebracht werden. Wer ein Zimmer oder zumindest ein Sofa bieten kann: Schreibt an lampedusainberlin@gmx.net oder direkt über https://www.facebook.com/LampedusaBerlin
Taina Gärtner