Während in Berlin mit spektakulären Kunstaktionen und einem berlinweiten Volksfest dem Mauerfall vor 25 Jahren gedacht wird, der Freiheit brachte für diejenigen, die danach dürsteten, ein besseres, selbstbestimmteres Leben zu führen, versuchen politische Künstler_innen in einer mutigen Aktion auf die aktuellen Mauern, die heutzutage um Europa errichtet sind, aufmerksam zu machen. In großen Zahlen versuchen Menschen diese Mauern aus genau diesen Gründen zu überwinden: dem Durst nach einem besseren, selbstbestimmteren Leben. Und ebenso sterben sie bei diesem Versuch zu tausenden. „Tote an unseren EU Außengrenzen sind komplett inakzeptabel“, sagt der künstlerische Leiter der Aktion, Philipp Ruch, und kritisiert das „Gedenkkartell“, dass weniger Erinnerung als vielmehr Verschleierung betreibe.

Die Künstler_innen und Aktivist_innen, die die EU Außengrenzen per Bolzenschneider abreissen wollen, sind jedoch vorerst an der aufgescheuchten Grenzpolizei in Bulgarien gescheitert, was bei dem vorangegangenen Medienrummel nicht weiter verwunderlich ist.

Am Freitag hatte das Zentrum für Politische Schönheit mithilfe seiner Medienkampagne, die sich insbesondere durch das für Aufregung sorgende Entführen der Gedenkkreuze für Mauertote gut anließ, zwei Busse finanziert, die mit jeweils 50 Insassen in Richtung EU Außengrenze aufbrachen.

Verabschiedet wurden sie vor dem Maxim Gorki Theater von der Intendantin Shermin Langhoff höchstpersönlich mit den Worten „Gedenken kommt von Denken“ und sie gab den über den roten Teppich in die Busse Kletternden ihren Segen. „Die Mauer muss weg“ skandierten die Daheimbleibenden bei Abfahrt.

Die Busse werden bestiegen. Foto: www.europaeischer-mauerfall.de

Die Busse werden bestiegen. Foto: www.europaeischer-mauerfall.de

Natürlich waren bereits hier Polizei und Staatsschutz anwesend und filzten aufs Gründlichste das Gepäck der Reisenden nach unerlaubtem Werkzeug, das für Straftaten verwendet werden könnte, wie der Demontage von Grenzen, welche wohl nur in seltenen geschichtlichen Momenten toleriert wird. Sie fanden allerdings nichts. Um das Ganze zu beenden, händigte ihnen Philipp Ruch schließlich eine Drahtschere aus: „Sie befinden sich mitten in der Inszenierung“.

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Der Staatsschutz sucht nach Bolzenschneidern. Foto: Oliver Feldhaus.

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Philipp Ruch händigt Drahtschere aus. Foto: www.europaeischer-mauerfall.de

Die Reise ging über Serbien in Richtung Bulgarien, wo die türkische Grenze erreicht werden sollte. Bereits an der Grenze nach Serbien wurden die Busse stundenlang aufgehalten und durchsucht. Sie bekamen eine Polizeieskorte, die den weiteren Rhythmus der Fahrt bestimmte. An der Bulgarischen Grenze erhielten sie vom zusteigenden Innenministerium persönlich eine Belehrung über das in Bulgarien gewünschte Verhalten friedlicher Revolutionäre bezüglich der Grenzzäune. Ab hier fahren die Grenzschützer – Mauerschützer genannt – im Bus mit.

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Das Bulgarische Innenministerium klärt auf. Foto: www.europaeischer-mauerfall.de

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Foto: www.europaeischer-mauerfall.de

Vor der zum Abbau begehrten EU Außengrenze ist dann Full Stop. Grenzschützer halten die Busse auf und lassen nicht mit sich verhandeln. Die Busse mit den nach 40 Stunden Fahrt mittlerweile müden Revolutionären machen sich auf zur griechischen Grenze, denn die bulgarischen Quartiere sind ihnen versperrt. Hier empfangen sie vier Busse voller Kampfpolizei in voller Montur (Stand 9.11.14 20:30 Uhr)

Trotz dieser zu erwartenden Blockade des Zieles der Aktion, kann man sagen, dass das eigentliche Ziel voll erreicht wurde: Die Medienlandschaft und damit die deutsche Öffentlichkeit wurde durchgeschüttelt, der Gedenktag des Mauerfalles wurde erweitert um die Dimension der Gegenwart (Zitat: www.europaeischer-mauerfall.de), Spenden fliessen weiterhin ungebremst und sollen auch in Zukunft für das Ziel, den Abbau der EU Außengrenzen, verwendet werden. Über 36 000 Euro sind momentan eingenommen und bezeugen die starke Unterstützung, nicht nur durch tatkräftige Teilnahme, sondern auch durch Finanzierung.

Darüber hinaus wurden viele kleine Ziele erreicht, wie zum Beispiel auf eine fast schon vergessene Gedenkstätte aufmerksam gemacht (die Kreuze sollen im übrigen restauriert wieder an ihren Ort zurückwandern) und auch die Wirkung auf andere EU Mitgliedsstaaten sollte man nicht außer acht lassen. So wurde die Aktion auch in griechischen und bulgarischen Medien wiedergegeben und hat dort sicherlich das Bild vom über den Mauerfall jubelnden Merkel-Deutschen erweitert und die Sicht auf die Flüchtlingspolitik der EU zumindest angepiekst.