Istanbul-Konvention ist das erste spezifische, rechtsverbindliche europäische Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen | © Demotix
Am 1. August 2014 tritt die «Europäische Konvention zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt» (so genannte Istanbul-Konvention) in Kraft. Amnesty International ruft alle europäischen Staaten und auch die Schweiz dazu auf, das Abkommen so rasch wie möglich zu ratifizieren.
Sie werden geschlagen, belästigt, verstümmelt: Millionen von Frauen in ganz Europa, jeden Tag. Doch viele von ihnen leiden in aller Stille, weil ihnen die Mittel vorenthalten werden, sich aus einer scheinbar hoffnungslosen Situation zu befreien.
Damit sich dies ändert, hat der Europarat am 11. Mai 2011 in Istanbul eine eigene rechtsverbindliche Konvention zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verabschiedet: Die so genannte «Istanbul-Konvention». Sie soll Frauen stärken, damit sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Und sie soll dafür sorgen, dass dank umfassenden und konzertierten politischen Massnahmen künftige Gewalt verhindert wird und die Täter bestraft werden. Am 1. August 2014 tritt sie in Kraft.
«Die europäischen Staaten haben mit der Istanbul-Konvention ein starkes Instrument geschaffen, um die vielfältigen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen zu verhindern und zu bekämpfen», sagt Stella Jegher, Frauenrechtsexpertin von Amnesty International Schweiz. «Damit die vorgesehenen Massnahmen greifen, braucht es jetzt den politischen Willen der Regierungen: Sie müssen die Konvention so rasch als möglich ratifizieren und in gesetzliche und konkrete, praktische Massnahmen umsetzen.»
Bis heute haben 36 Mitgliedstaaten des Europarates die Konvention unterzeichnet, aber erst 14 haben sie ratifiziert.
Wann ratifiziert Deutschland und die Schweiz?
Deutschland hat die Konvention am 11. Mai 2011 unterzeichnet aber bis heute nicht ratifiziert. Derzeit prüft die Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Voraussetzungen für die Ratifikation.
Die Schweiz hat die Konvention am 3. Juli 2013 unterzeichnet. Zurzeit ist eine Botschaft an die eidgenössischen Räte dazu in Vorbereitung. Anfang 2015 soll eine Vernehmlassung über die Ratifizierung der Konvention sowie allfällige damit verbundene Gesetzesänderungen bei den Kantonen, den politischen Parteien und den interessierten Kreisen eröffnet werden.
Warum eine europäische Konvention?
Physische, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen sind in allen europäischen Ländern verbreitet. Gemäss einem neuen Bericht der EU hat eine von drei Frauen (33% bzw. 62 Millionen Frauen) in den EU-Mitgliedländern nach dem 15. Lebensjahr die eine oder andere Form geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt, wurde vergewaltigt, an den Genitalien verstümmelt, sexuell belästigt, geschlagen – oder ermordet.
Die «Istanbul-Konvention» wurde nach mehreren Jahren der Vorbreitung am 11. Mai 2011 von allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates in Istanbul einstimmig verabschiedet. Sie ist das erste spezifische, rechtsverbindliche europäische Abkommen zu Gewalt gegen Frauen. Sie definiert eine Reihe von Mindeststandards zur Verhinderung, Bekämpfung und Verfolgung verschiedener Formen von Gewalt, zum Schutz der Betroffenen sowie zu einer integrierten politischen Vorgehensweise.
Breites Anwendungsfeld
Das Anwendungsfeld ist dabei sehr breit gefasst: es reicht von allen Formen von Gewalt in Ehe und Partnerschaft (physische, psychische, sexuelle Gewalt, Stalking, etc.), über andere Formen der Gewalt im sozialen Nahraum wie Zwangsverheiratung oder Genitalverstümmelung, bis hin zu Gewalt im öffentlichen Raum, von der vor allem Frauen betroffen sind. Das Abkommen bezieht sich zwar in erster Linie auf Gewalt an Frauen, fordert die Mitgliedstaaten aber auch zu Massnahmen gegen Gewalt an Männern und Kindern auf. Ein besonderes Kapitel ist der geschlechtsspezifischen Gewalt im Zusammenhang mit Migration und Asyl gewidmet.
Pflichten der Unterzeichnerstaaten
Die Unterzeichnerstaaten sind verpflichtet, Opfer solcher Gewalt zu schützen und zu unterstützen. Sie müssen auch gewährleisten, dass Opfer Zugang zu Hotlines, Notunterkünften, medizinischer Versorgung, Beratung und Rechtshilfe haben.
Die Konvention verfügt zudem über einen spezifischen Monitoring-Mechanismus («GREVIO»), um eine effektive Umsetzung ihrer Bestimmungen seitens den Parteien zu gewährleisten.
Amnesty International hat bereits bei der Ausarbeitung der Konvention eine aktive Rolle gespielt und setzt sich mit Lobbying in allen Ländern für eine rasche Ratifizierung der Konvention und deren konkrete Umsetzung ein.
Mehr Informationen über Menschenrechtsnormen zu Gewalt gegen Frauen