Das Zentrum für politische Schönheit holt die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg zurück ins öffentliche Bewusstsein. Hier die chronologische Zusammenfassung der Künstler nach ihrer erfolgreichen Aktion.
Das humanitäre Inferno in Syrien
Seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs sind drei Jahre vergangen. Der Konflikt forderte bislang 160.000 Tote. Hinzu kommt eine Flüchtlingskatastrophe gigantischen Ausmaßes: in einem Land von 23 Millionen Einwohnern befindet sich die Hälfte auf der Flucht. Die Mehrzahl der Betroffenen sind Kinder: 5,5 Millionen haben ihre Heimat verlassen. Aber auch im von Fassbomben erschütterten Aleppo stehen tagtäglich Hunderttausende Menschen Todesängste aus. Hinzu kommt der Hunger: Assad lässt über 40 Gegenden in Syrien systematisch belagern, aushungern und bombardieren.
Der größte Mitgliedstaat der EU, die Bundesrepublik Deutschland, unternimmt nichts. Fast nichts. In zwei Kontingenten wurden jeweils 5.000 Syrern die Einreise nach Deutschland bewilligt. Auf die zweiten 5.000 Plätze lagen allein 76.000 Anträge vor. Ali Aram studiert in Deutschland und möchte seine Familienangehörigen aus Aleppo retten. Jedoch verdient der Jurastudent aus Hannover nach Meinung der deutschen Behörden zu wenig, um seine Angehörigen aus der Todeszone zu bringen. Dazu kommt das wachsende Desinteresse der deutschen Medien an der syrischen Apokalypse.
Gegen die deutsche Untätigkeit: die Kindertransporthilfe des Bundes
Die deutsche Politik hat, wie so oft, wenn es um die Rechte der Menschheit geht, auf ganzer Linie versagt. Das Zentrum für Politische Schönheit entwickelte deshalb stellvertretend für die Bundesregierung ein plakatives, aber sinnvolles Hilfsprogramm für die Menschen in Syrien. Angelehnt an die Kindertransporte des Jahre 1938/39, die 10.000 deutschen Kindern die sichere Ausreise ermöglichte, sollen 55.000 syrische Kinder in die sichere Bundesrepublik einreisen und temporär in deutsche Pflegefamilien untergebracht werden.
12. Mai 2014: Danke, Deutschland!
Die Website geht am Montag ans Netz. Am Folgetage ist die Kindertransporthilfe des Bundes auf der Titelseite der taz: „Danke, Deutschland!“. Deutschlandweit überschlagen sich die Medien.
Auf der Seite sucht das Bundesfamilienministerium interessierte Pflegefamilien für 55.000 syrische Kinder. Antragsformulare, Aufwandsentschädigungen und gesetzliche Grundlagen – an alles wird gedacht. Telefonisch können sich Interessierte rund um die Uhr beraten lassen.
Nur das Bekenntnis von Familienministerin Manuela Schwesig steht aus. Das Familienministerium lässt sich bis Mitte der Woche Zeit, um mitzuteilen, dass man mit einer Rettungsaktion für syrische Kinder nichts zu tun habe und auch in Zukunft nicht plane, Kinder außer Lebensgefahr zu bringen. Bundesweit sind engagierte Bürger in Aufruhr: rund 800 Familien erklären sich innerhalb von nur sieben Tage bereit, syrische Kinder bei sich aufzunehmen.
Berichte in: Die Zeit, Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung, Stern (Reuters TV)
14. Mai 2014: Dank vor dem Familienministerium
Dankbare Bürger versammeln sich vor dem Familienministerium, um Blumen, Kuscheltiere und Dankeskarten niederzulegen.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wird für ihren heroischen Rettungsakt – 55.000 Flüchtlingskinder aus Syrien zu retten – von der gesamten deutschen Bevölkerung gefeiert. Einziger Schönheitsfleck: die Ministerin weiß davon genauso wenig wie von der apokalyptischen Situation für die syrische Bevölkerung.
Bericht in: ZDF aspekte
15. Mai 2014: Denkmal der Kindertransporte von 1938
Am Bahnhof Friedrichstraße steht seit Jahren ein Denkmal der Kindertransporte von 1938. Da tagtäglich Hunderttausende Menschen achtlos an dem Werk vorbeigehen, schlagen wir als Bundesfamilien-Ministerium mit einem Infocenter vor dem Denkmal auf und informieren die Bevölkerung über die Chancen der aktuellen Kindertransporte.
Tausende Menschen nehmen unsere Flyer mit, die in nicht allzu ferner Zukunft im Museum ausgestellt werden dürften.
Bericht in: Abendschau (rbb)
16. Mai 2014: Gespräch im Kanzleramt
Für die Hauptstadtpresse ist es die Sensation des Jahres: uns gelingt es, innerhalb von 48 Stunden ins Kanzleramt vorzudringen. Gemeinsam mit Inge Lammel und Kurt Gutmann, zwei Überlebenden des Holocaust, die kurz vor Kriegsausbruch mit zwei Kindertransporten nach Großbritannien gerettet wurden, werden wir empfangen.
In dem Gespräch geht es um die Frage, weshalb nicht Eltern mit ihren Kindern einreisen dürfen. Das Kanzleramt, die Hochburg der deutschen Flüchtlingsabwehr, zeigt sich trotz des enormen medialen Drucks uneinsichtig. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass Deutschland im Vergleich zur Untätigkeit der europäischen Nachbarländer noch gut dasteht.
Den Glauben an die Humanität halten aber derzeit Staaten wie die Türkei, Jordanien und Libanon aufrecht, die Millionen syrischer Flüchtlinge retten. Das reiche Europa hat bislang gerade einmal 0,5 Prozent aller syrischen Flüchtlinge aufgenommen (Deutschland: 0,1 Prozent).
Bericht: Stern TV und Lektüre: Das Kanzleramtsgespräch im Wortlaut
21.-25. Mai 2014: Mahnmal gegen die Lebensgefahren und Todesängste der syrischen Kinder.
Am Bahnhof Friedrichstraße errichten wir in Sichtweite zum Kindertransportdenkmal ein Mahnmal gegen die Lebensgefahren und Todesängste der syrischen Kinder.
Zehntausende Menschen werden zum ersten Mal mit dem Zivilisationsbruch konfrontiert, der in Syrien gerade stattfindet: dichtbesiedelte Städte werden willkürlich aus der Luft bombardiert.
Das Mahnmal ist rund um die Uhr in Betrieb: Menschen können sich auch nachts informieren. Nebenan verarzten Syrerinnen und Syrer die geschockte deutsche Bevölkerung in einem Erste-Hilfe-Zelt.
„Sturmtrupp des aggressiven Humanismus“
Wenn unsere Aktion etwas erreicht hat, dann dies: Syrien ist wieder in den Medien. Die größte Flüchtlingskatastrophe seit Jahrzehnten haben wir ins öffentliche Bewusstsein zurückgeholt. Wir danken allen für die Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Unterstützung.
Berichte: Berliner Zeitung, Monopol-Magazin, Deutschlandfunk