Im Vorfeld des 25. Jahrestages des Massakers auf dem Tiananmen-Platz werden zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten in China verfolgt und verhaftet. Präsident Xi Jinpings Ankündigung von Reformen und einer offeneren Politik erweist sich damit als Lüge, sagt Amnesty International.
Dutzende engagierte Chinesinnen und Chinesen sind verhaftet, unter Hausarrest gestellt oder von der Polizei befragt worden, weil sie des Massakers von Tiananmen am 4. Juni 1989 gedenken wollten: Jener blutigen Niederschlagung von Protesten auf dem Tiananmen-Platz, bei welcher Hunderte, wenn nicht Tausende von unbewaffneten Demonstranten und unbeteiligten Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden.
«Der kommende 25. Jahrestag von Tiananmen ist eine Bewährungsprobe für Präsident Xi und seine Versprechungen von mehr Offenheit. Doch Xi hat sich bisher für Repression statt Reformen entschieden», sagt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International, der diese Woche in Hong Kong weilt, um den Opfern des 4. Juni 1989 die Ehre zu erweisen.
«Die Reaktion der chinesischen Behörden war sogar noch rigoroser als in den vorangehenden Jahren. Sie versuchen mit aller Kraft, die Erinnerung an die Ereignisse vom 4. Juni aus der kollektiven Erinnerung zu löschen.»
In den vergangenen Wochen wurden zahlreiche Aktive verhaftet, darunter etwa der Menschenrechtsanwalt PU Zhiqiang und der prominente Journalist Gao Ju. Andere wie Ding Zilin, die Sprecherin für die ‚Mütter von Tiananmen’, wurden unter Hausarrest gestellt.
25 Jahre lang haben Verwandte der Toten und Verletzten unter grossen persönlichen Opfern für Gerechtigkeit gekämpft. Die meisten Tiananmen-Mütter sind inzwischen alt geworden, manche Mitglieder der Gruppe – Mütter und Väter – sind gestorben.
«Chinas politische Führer müssen aufhören, mit der Geschichte Politik zu machen. Sie sollen vielmehr den Opfern endlich Gerechtigkeit zuteilwerden lassen. Die betroffenen Familien haben Anspruch darauf, dass die Regierung ihnen vollständig Rechenschaft ablegt», so Salil Shetty. «Doch es noch nicht zu spät für Präsident Xi, einen anderen Kurs einzuschlagen. Wir fordern ihn dringend auf, eine offene und unabhängige Untersuchung der blutigen Niederschlagung der Tiananmen-Demonstrationen im 1989 einzuleiten.»
Verbreitete Repression
Fünfundzwanzig Jahre nach dem grauenhaften Blutvergiessen greift die Regierung noch immer zu allen erdenklichen Mitteln, um chinesische Bürgerinnen und Bürger davon abzuhalten, ihre Meinung zu sagen und die Regierung zu kritisieren. Sie sperrt Aktivisten mit konstruierten Klagen ein und geht mit Gewalt gegen alle vor, die sich innerhalb des geltenden Rechtssystems für die Menschenrechte stark machen wollen.
2014 wurden Frauen und Männer, die Reformen fordern, besonders hart angepackt, insbesondere wenn sie sich in der Neuen Bürgerbewegung engagiert haben. Etliche führende Köpfe der Bewegung, deren Forderungen nach mehr Transparenz und weniger Korruption jenen von 1989 teilweise ganz ähnlich sind, wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.
«Die frappante Missachtung geltender Rechtsgrundsätze zeigt, wie erschreckend wenig die Regierung am Puls ihres Volkes ist, welches zunehmend nach politischer Partizipation ruft», urteilt Salil Shetty. «Wenn die chinesische Führung ernsthaft ihren Reformwillen zeigen will, muss sie aufhören, jede Rede- und Versammlungsfreiheit im Keim zu ersticken.»
Amnesty International appelliert einmal mehr an die chinesische Regierung,
- die Menschenrechtsverletzungen, die bei der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste 1989 begangen wurden, öffentlich anzuerkennen,
- eine offene und unabhängige Untersuchung der Ereignisse einzuleiten und die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen,
- den Opfern von 1989 und ihren Familien Wiedergutmachung zu zahlen,
- niemanden mehr zu verfolgen, weil er oder sie der Ereignisse von 1989 gedenken oder darüber sprechen möchte, oder auch sonst einfach das Recht auf freie Meinungsäusserung oder Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen möchte.